Herr Guldimann, Sie sind Schweizer und leben seit vielen Jahren in Berlin. Waren Versicherungen bei Ihrem Umzug ein Thema für Sie?

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Tim Guldimann: Nein, als Diplomat war ich in der Schweiz versichert. Erst seit meiner Pension hatte ich mit meiner Krankenversicherung Probleme.

Warum denn das?

Das war ein persönliches Problem mit der Versicherung meiner Frau, die als deutsche Angestellte nicht mehr bei einer schweizerischen Versicherung sein konnte. Ihre Überschreibung in die deutsche allgemeine Versicherung war enorm kompliziert. Ein anderes allgemeines Problem besteht für mich wie für alle Auslandschweizer mit einer privaten schweizerischen Krankenversicherung. Die Versicherungen können solche Verträge auflösen, zum Beispiel wenn im höheren Alter ein größeres Kostenrisiko entsteht: Die Alternative einer deutschen privaten Krankenversicherung ist dann extrem teuer.

Ganz allgemein: Wo sehen Sie die größten Unterschiede zwischen dem Schweizer und deutschen Versicherungssystem?

Tim Guldimann, Schweizer Diplomat, Politikwissenschaftler und Politiker der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz (SP).Tim Guldimann / transparent beraten Bei den Sachversicherungen wie Hausrat– oder Haftpflichtversicherungen gibt es kaum Unterschiede. Ganz anders sieht es bei den Sozialversicherungen aus. In Deutschland ist das Krankenversicherungssystem eindeutig sozialer – in der Schweiz die Altersvorsorge.

Die Schweizer Altersvorsorge ist besser als die deutsche?

Das schweizerische System ist sozialer als das deutsche und schützt besser vor Altersarmut. Die schweizerische AHV (Alters- und Hinterlassenenversicherung) garantiert allen eine minimale Rente, die in Abhängigkeit von den früheren Beiträgen bis doppelt so groß sein kann. Die Beiträge sind nach oben nicht gedeckelt, was von Reichen sehr hohe Beiträge verlangt. Ebenfalls ist die berufliche Vorsorge in der Schweiz besser als in Deutschland organisiert. Ab einem gewissen Einkommen ist jeder Arbeitnehmer automatisch über seinen Arbeitgeber versichert. Dabei ist die Freizügigkeit garantiert, das heißt, beim Jobwechsel nimmt man seine berufliche Vorsorge an den neuen Arbeitsplatz mit. Das erlaubt viel mehr Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt.

Dafür geben Sie dem deutschen Krankenversicherungssystem bessere Noten.

Das deutsche System ist sozialer. Die Krankenkassen-Prämie ist in Deutschland einkommensabhängig. Und Kinder sind bei den Eltern mitversichert. Geringverdiener und Familien werden so finanziell entlastet. Die Schweizer zahlen hingegen eine Kopfprämie, sie wird unabhängig vom Lohn festgelegt. Jedes Kind kostet zusätzlich. Zwar gibt es teilweise Prämienverbilligungen für Wenigverdiener, doch die finanzielle Belastung bleibt trotzdem hoch und ist insbesondere für ärmere Familien auf ein untragbares Niveau gestiegen.

In Deutschland werden hingegen Privatversicherte besser versorgt als die Kassenpatienten.

Ja, das ist eine Zweiklassengesellschaft, das Problem wird schon lange diskutiert. Passiert ist wenig. Etwas haben aber die Schweiz und Deutschland gemeinsam. Beide Länder kämpfen mit stetig steigenden Gesundheitskosten. Reformen bleiben Flickwerk, weil umfassende Reformen politisch nicht konsensfähig sind. Auf der politischen Bühne sind immer zu viele Interessengruppen und Lobbys am Werk.

Mit ähnlichen Problemen kämpft die Altersvorsorge.

Die Ursachen sind hier einfach: Bei konstantem Pensionierungsalter werden die Menschen immer älter. Damit steigen die Rentenkosten und – das wird immer vergessen – auch die Kosten für ihre Gesundheitsversorgung. Gleichzeitig hat die Nullzinspolitik die Einnahmen aus den Anlagen der Rentenversicherungen massiv reduziert, das trifft in beispielsweise der Schweiz die zweite Säule und die privaten Ersparnisse. Für die AHV mit ihrem Umlageverfahren stehen den Beiträgen der jüngeren Generationen immer höhere Rentenzahlungen für die Pensionierten entgegen.

Haben Sie eine Lösung?

Ich glaube, eine nachhaltige Lösung kann nur über eine Flexibilisierung des Rentenalters und seiner Erhöhung liegen. Das muss aber sozialverträglich organisiert werden und vor allem die nicht-bezahlte frühere Betreuungsarbeit insbesondere von Frauen berücksichtigen. Die Alters-Guillotine bei 65-Jahren halte ich für falsch. Menschen in körperlich belastenden Berufen müssen früher in Rente gehen können, um nicht in die Invalidenversicherung ausgesteuert zu werden, es sei denn eine frühe Umschulung erlaubt eine Weiterbeschäftigung. Umgekehrt verliert die Gesellschaft wertvolle Kompetenzen von noch arbeitsfähigen Fachkräften, die mit 65 verrentet werden. Ich zum Beispiel bin mit meinen 69 Jahren für viele intellektuelle Aufgaben noch durchaus leistungsfähig.

Als Diplomat haben Sie nicht nur in Deutschland, sondern unter anderem auch in Ägypten, Tschetschenien, Iran und Kroatien gearbeitet. Wie beurteilen Sie die Sozialversicherungen in diesen Ländern?

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Dazu kann ich nicht viel sagen, da ich über die Schweiz versichert war. Generell sind aber in diesen Ländern die Leute vor allem damit beschäftigt, im Hier und Jetzt über die Runden zu kommen. Die staatliche Sozialversicherung bietet viel weniger Schutz als bei uns.

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