Deutschland ist eine „Autonation“, so ist es in vielen Gazetten von Spiegel bis Focus derzeit wieder zu lesen — angesichts des drohenden Bedeutungsverlustes einer Branche, die den Mobilitätswandel hin zu grüner Technik verschläft. Zum Auto haben viele Deutsche eine besondere Beziehung. Marken wie Opel Olympia, Ford Taunus und VW Käfer begleiteten das Wirtschaftswunder nach dem 2. Weltkrieg und den Aufstieg der Nation zur Wirtschaftsweltmacht. Mobilität stand nun nicht mehr für Flucht und Vertreibung, den schnellsten Weg in den Bombenkeller. Sondern für Freiheit, Freizeit und wochenendliche Ausfahrten, auch für neue Arbeitsplätze.

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In der Kfz-Versicherung spiegelt sich die Bedeutung des Autos in einem teils aberwitzigen Kampf der Assekuranzen um jeden einzelnen Kunden. Im Geschäftsjahr 2017 gaben die 50 größten Autoversicherer im Schnitt noch mehr für Schäden aus, als sie an Prämie einnahmen: Die Schaden-Kosten-Quote lag laut dem Branchenmonitor von V.E.R.S. Leipzig bei 100,21 Prozent. Liegt dieser Wert über 100 Prozent, sind Schadenzahlungen und Verwaltungskosten nicht durch Prämieneinnahmen gedeckt. In vielen Jahren zuvor steckte die Branche gar noch tiefer in den roten Zahlen. Zwar hat sich die Situation verbessert: mit einer Combined Ratio von 97,08 Prozent konnte man 2018 wieder gewinnbringend wirtschaften. Doch im Zweifel akzeptieren die Versicherer Verluste, um möglichst viele Autofahrer an sich zu binden (der Versicherungsbote berichtete).

Marktführerschaft - „Ich weiß, wie das funktioniert!“

In der Versicherungsbranche ist die Allianz unangefochten deutscher Marktführer. Nicht so in der Autoversicherung: zum Jahresende 2018 hatten die Münchener rund 8,6 Millionen Fahrzeuge versichert, der Konkurrent HUK-Coburg hingegen rund 12 Millionen. Zwar konnte die Allianz aufholen, da man im laufenden Geschäftsjahr den Automobilklub ADAC als Partner hinzugewann: und damit rund 650.000 Fahrzeuge obendrauf. Doch noch immer klafft eine gewaltige Lücke zum Versicherer aus der oberfränkischen Kleinstadt.

Das soll sich nun ändern, die Allianz bläst zum Angriff. Im Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ (Mittwoch) sagt Deutschland-Chef Klaus-Peter Röhler, es sei durchaus realistisch, der HUK die Marktführerschaft wieder abzunehmen. „So etwas geht natürlich“, wird der Diplom-Kaufmann und Jurist zitiert. Seit Anfang 2018 ist Röhler Chef der Allianz auf dem Heimatmarkt.

Dabei gibt sich Röhler durchaus selbstbewusst. „Ich weiß, wie das funktioniert“, kommentiert er die Pläne, die neue Nummer 1 auf dem Autoversicherungsmarkt zu werden. Nicht von ungefähr. Zehn Jahre lang leitete der 54jährige unter anderem das Auslandsgeschäft in Italien. Dort hatte die Allianz ihre Kfz-Tarife stark vereinfacht und auf nur drei Varianten eingestampft. Mit Erfolg: Die Generali habe man überholt und sei nun zweitstärkster Autoversicherer in der Alpenrepublik, so Röhler. In der Direktversicherung hält die Allianz sogar die Pole Position.

"Keep it fast and simple!"

Nicht von ungefähr hat Oliver Bäte, Chef der Allianz Gruppe, Klaus-Peter Röhler zum Vorstandschef gemacht. Italien ist ein Vorbild für die neue Strategie der Allianz, das Motto: “Keep it fast and simple“. Die Produkte sollen einfacher werden, die Prozesse schlanker. Und alle Tarife auch online abschließbar sein. Das soll auch die Verwaltungs- und Schadenskosten senken. 80 Prozent der Kfz-Verträge würden inzwischen ohne menschliche Intervention bearbeitet, berichtet Röhler der „Süddeutschen“.

Was das mit Blick auf den Endkunden bedeutet, hatte Röhler bereits im Sommer 2018 dem „Handelsblatt“ berichtet. Als Zeitfenster für einen Vertragsabschluss hatte er in der Kfz-Versicherung ganze 90 Sekunden vorgegeben. Seit Ende letzten Monats ist auch der neue Direktversicherer der Münchener am Markt: Allianz Direct. Dort heißt es: „In 20 Sekunden Beitrag berechnen!“ Auch die Abwicklung von Schäden solle innerhalb eines Tages möglich sein. Der Onlineversicherer soll bald schon weltweit einheitliche Tarife anbieten und auch als Produktlabor dienen. Vorerst ist der Start auf Deutschland, die Niederlande, Spanien und Italien begrenzt (der Versicherungsbote berichtete).

Zunächst wird aber auch Allianz Direct eher Kosten erzeugen statt Geld in die Kassen spülen. Im August hatte Allianz-Finanzchef Giulio Terzariol bei der Vorstellung der Halbjahresbilanz berichtet, dass der Turboversicherer in den ersten zwei bis drei Jahren eher im roten Bereich wirtschaften werde. Strukturen müssen aufgebaut, Werbungen geschaltet, Neukunden eingesammelt werden. „Es ist normal, dass Allianz Direct in der Ausbauphase eine höhere Kostenquote hat“, so Terzariol laut "Handelsblatt".

Zudem läuft bei den Münchenern nicht alles reibungslos ab. Zuletzt hatte man mehrfach mit Systemausfällen zu kämpfen, so dass gerade in der privaten Krankenversicherung sich Anträge stauten. Das brachte Bäte den Vorwurf ein, er treibe den digitalen Wandel zu schnell und rigoros voran. Auch viele der rund 8.000 Vertreter zeigten sich unzufrieden: Sie äußerten in internen Online-Foren den Verdacht, sie sollen langfristig ersetzt werden (der Versicherungsbote berichtete).

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Die Allianz auf dem Weg zum Digitalversicherer? Dem widerspricht Deutschland-Chef Röhler. Denn selbst in der Autoversicherung würden bis zu 90 Prozent der Kundinnen und Kunden zwar im Netz vergleichen, aber doch beim Vertreter oder Makler abschließen. Einen Arbeitsplatz-Abbau im Vertrieb oder Innendienst sieht er vorerst nicht, schon weil der Konzern weiter wachse: "Wir sind eher in der umgekehrten Situation, dass wir Personal brauchen", sagt er der "Süddeutschen".

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