Claus-Dieter Gorr: Das deutsche Gesundheitssystem ist allgemein gut anerkannt und genießt eine hohe Akzeptanz in der Bevölkerung: exzellente Infrastruktur, hohe Versorgungsqualität, gute Ausbildung von Leistungserbringern. Eine frühe Nutzenbewertung sowie hohe Investitionen, beispielsweise in Forschungseinrichtungen und Qualitätszentren, steigern die Attraktivität des Systems und stärken dieses nachhaltig.

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In unserem 2014 veröffentlichten Faktencheck zum Gesundheits- und Versicherungssystem in Deutschland haben wir aber auch bereits eklatante Schwächen herausgearbeitet: Ärztemangel in ländlichen Regionen, mittelmäßige Qualität von Leistungen bei vergleichsweise hohen Kosten und der Investitionsstau bei Krankenhäusern sind nur einzelne Beispiele.

Es existiert kein gemeinsames Zielbild für das deutsche Gesundheitssystem. Dieses ist jedoch die essenzielle Voraussetzung für den Erfolg der zukünftigen Entwicklung. Es fehlt eine Strategie für Nachhaltigkeit, Beteiligungsgerechtigkeit, Eigenverantwortung. Der Leistungskatalog ist nicht transparent und ausdifferenziert und es gibt eine unlogische Zugangssteuerung der Bürger zu GKV und PKV. Im Hinblick auf die intergenerative Gerechtigkeit ist das Gesundheitssystem daher eher als defizitär ausgeprägt anzusehen. Insoweit bedarf es einer grundsätzlichen Neuausrichtung, die auch die Option einer Bürgerversicherung nicht ausschließt.

110 gesetzliche Versicherer gibt es in Deutschland laut GKV-Spitzenverband derzeit. Alle haben sie eine eigene Verwaltung, eigene Sachbearbeiter — und eigene Vorstände. So verdient selbst der Chef mit der niedrigsten Vorstandsvergütung aller Kassen, Dirk Hübner von der Thüringer Betriebskrankenkasse (TBK), noch 120.000 Euro im Jahr. Aus den Reihen der PKV ist immer wieder zu hören, dass mit der Reduzierung der Krankenkassen-Zahl auf einen einstelligen Wert die Ausgabenseite der GKV dramatisch gesenkt werden könnte. Dadurch könnte auch der Beitrag gesenkt oder das Leistungsniveau angehoben werden. Wie stehen Sie zu diesem Ansatz?

Wir haben dazu bislang keine eigene Analyse erstellt, aber Fusionen führen langfristig immer zu mehr Effizienz und auch Kosteneinsparungen. Aber eben auch zu weniger Wettbewerb. Das gleiche würde aber auch für die PKV – allerdings aus anderen Gründen – gelten. Aber, wer so argumentiert, der orientiert sich ohnehin in Richtung der Bürgerversicherung.

Das Kernproblem der GKV sehe ich allerdings an einer anderen systemischen Stelle, nämlich dem grundsätzlichen Vergütungssystem der Ärzte, der reinrassigen Planwirtschaft. Der Arzt bekommt im Vorhinein je Quartal ein Budget über seine Kassenärztliche Vereinigung, das auf dem Prinzip der tatsächlich abgerechneten Krankenscheine des gleichen Vorjahresquartals beruht. In der Folge muss er sehen, dass er im aktuellen Quartal etwa wieder die gleiche Anzahl an Krankenscheinen abrechnet, um im Folgejahr wieder auf das gleiche Budget zu kommen. Also werden mancherorts einfach die Patienten einbestellt, egal wie. Wir haben also kein Gesundheitssystem, sondern ein Krankheitserhaltungssystem, das einen erheblichen Anteil am BIP hat. Das ist das eigentliche Problem.

Sie sind im Vorstand des BVSV; Bundesverband der Sachverständigen für das Versicherungswesen tätig. Der eingetragene Verein hat sich den Verbraucherschutz auf die Fahnen geschrieben. An welchen Schrauben wollen Sie dabei drehen?

Der BVSV hat die Gründerjahre hinter sich und steht jetzt an der Stelle, sich breitflächig zu professionalisieren. Hier werden meine Kollegen von der PremiumCircle Deutschland GmbH und ich dazu beitragen, dass dieser Prozess zeitnah Fahrt aufnimmt. Inhaltlich werden wir die Fachbereichsleitung für BU und PKV übernehmen. Hier wird es für die angeschlossenen Sachverständigen und die Verbraucherzentren Mindeststandards für die PKV- und BU-Produkte geben. Gemeinsam werden wir dafür sorgen, dass der Endverbraucher verständliche und verlässliche Produkte erhält.

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Die Fragen stellte Mirko Wenig

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