Claus-Dieter Gorr: Nein, es ist fast immer an der Kompetenz und Beratungsleistung des Vermittlers festzumachen. Wenn man sich das Ergebnis der neuesten ASS-Compact-Umfage zu den beliebtesten PKV-Unternehmen der Makler anschaut, dann sind auf den ersten 10 Plätzen sowohl Unternehmen mit leistungsstarken, aber auch erheblich leistungsschwachen Tarifen vertreten. Das zeigt, dass die Auswahlparameter der Vermittler nicht allein an den Leistungsinhalten ausgerichtet sein können.

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Wenn der Vermittler einer der Schwachpunkte in der Beratungskette ist, dann muss man den Maklern vielleicht generell Produkte mit einem Mindeststandard an die Hand geben. Für die Krankenversicherer wäre das ja auch die Möglichkeit etwaigen politischen Eingriffen zuvorzukommen. Warum tun sich die Unternehmen damit so schwer?

Das ist sehr unterschiedlich gelagert, und die Bandbreite reicht von purem Unwillen über die der Auffassung, dass leistungsschwache Tarife ja sowohl verkauft als auch gekauft werden, weil die Kunden wüssten was sie kauften bzw. nicht kauften, bis hin zu vermeintlich mangelnden Kapazitäten. Sachlich betrachtet haben aber wohl die meisten PKV-Unternehmen kein Vertrauen mehr in die Zukunft der substitutiven Krankenversicherung. Jeder neue Tarif müsste mit hohem Aufwand am Markt positioniert und Kollektive umfänglich aufgebaut werden. Das traut man wohl den Vertriebswegen nicht mehr zu.

In vielen anderen Sparten werden aktuell die Tarife ganz massiv vereinfacht. Inzwischen gibt es mit Ottonova auch einen Krankenversicherer, der ausschließlich auf den digitalen Vertriebsweg baut. Wie schätzen Sie diese Entwicklung ein?

Ich war selbst von 2016 bis 2018 an einem digitalen PKV-Projekt beteiligt und musste feststellen, dass die Zeit für ein solch erklärungsbedürftiges Produkt, wie es die Vollkostenversicherung ist, noch lange nicht reif ist. Bei dem derzeitigen Kenntnisstand der Vermittler und potentiellen Endkunden zu den grundsätzlichen systemrelevanten Unterschieden und Funktionsweisen sowie den Auswirkungen der unterschiedlichsten Leistungsportfolien würde es noch Jahre dauern, bis der digitale Vertrieb der PKV funktionieren könnte. Die Branche hat es einfach über Jahre hinweg versäumt dafür zu sorgen, dass die PKV ein Nachfrageprodukt ist. Das Produkt muss kompetent und sehr aufwendig und komplex erklärt werden, damit der potentielle Kunde auch versteht, was er da kauft.

Wie könnte der als sehr umfangreich geltende KV-Vertrieb so vereinfacht werden, dass die Produkte flächendeckend digitalisiert werden?

Transparente verständliche Leistungskriterien und Erstattungsprozesse wären notwendig. Heute haben wir in der Regel mindestens drei aufeinander aufbauende Regelwerke, die die tariflichen Leistungen eines einzigen Tarifs beschreiben. In Teil I sind in der Regel die Musterbedingungen des PKV-Verbandes zugrunde gelegt, in Teil II sind dann meist die Abweichungen für das gesamte Tarifwerk des Versicherers zu finden, und in Teil III, den eigentlichen Tarifbedingungen, dann die – möglicherweise wieder stark abweichenden – tarifindividuellen Leistungsbeschreibungen. Das ist selbst für professionelle Analysten eine echte Herausforderung. Hinzu kommt das größer werdende Problem der unternehmensindividuellen Leistungsprozesse. Das ist aktuell eine oftmals personen- und tagesformabhängige Manufaktur vom grünen Würfeltisch aus.

Im Bereich der Sachversicherung sind sogenannte Innovationsklauseln inzwischen Standard. Warum wäre dieser Leistungspunkt auch für die PKV vernünftig? Gibt es ggf. andere Optionen, die sich die Krankenversicherer von anderen Sparten abschauen könnten?

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Ja, aber hier muss der Gesetzgeber den formalen Rahmen schaffen. Da sich die Mitgliedsunternehmen innerhalb des PKV-Verbandes aber nicht einig sind, wird es hier wohl zu keinen Innovationen kommen. PremiumCircle hatte Anfang 2019 einen Vorstandsworkshop initiiert, um mit den willigen Unternehmen ein Arbeitspapier für eine moderne PKV als Diskussionsgrundlage für die Politik zu entwickeln. Der PKV-Verband hat hier im Hintergrund offenbar kräftig dagegen gearbeitet, sodass es mangels Teilnahme der mitgliederstarken PKV-Gesellschaften zu keinem relevanten Ergebnis kommen konnte. Diese Chance ist jetzt erstmal vertan. Jetzt muss der PKV-Verband liefern, sonst geht es der substitutiven Krankenversicherung bald wie der DDR – die Geschichte schaltet sie einfach ab.

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