“ARAG — Deutschlands größter Versicherer in Familienbesitz“, so heißt es nicht ohne Stolz auf der Webseite des Rechtsschutzversicherers. 1935 vom Verleger und Rechtsanwalt Heinrich Faßbender gegründet, so wuchs das Düsseldorfer Unternehmen über Jahre beständig, bis man zu den großen Playern in der Rechtsschutz-Sparte gehörte. Heute beschäftigt der Konzern nach eigenen Angaben mehr als 4.100 Mitarbeiter in 17 Ländern. Doch eines blieb immer gleich: Die Spitze des Vorstands wurde von Generation zu Generation in der Familie weitergegeben. Die ARAG ist eng mit dem Namen Faßbender verknüpft.

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Renko Dirksen wird neuer "Chef"

Das aber soll sich künftig ändern. Der jetzige Vorstandschef der ARAG SE, Paul-Otto Faßbender, hat den Aufsichtsrat des Unternehmens darüber informiert, dass er seinen zum 3. Juli 2020 auslaufenden Vertrag nicht verlängern möchte. Dies berichtet die ARAG in einem aktuellen Pressetext. Zwar soll es keine direkte Nachfolge im Vorstandsvorsitz geben: vielleicht auch darin begründet, dass es mit dem Ausscheiden des langjährigen Firmenlenkers einen Paradigmenwechsel geben wird. Denn der neue Mann an der Konzernspitze ist mit Faßbender weder verwandt noch verschwägert.

Renko Dirksen heißt der Manager, der nun Faßbender zum 4. Juli 2020 beerben soll. Oder eben gerade nicht beerben. Denn wie die ARAG berichtet, will der Aufsichtsrat das Vorstandsgremium personell neu ordnen. Der mit 42 Jahren recht junge Dirksen soll eher die Aufgabe eines Vorstandssprechers übernehmen und zugleich das, wie es heißt, gut eingespielte Vorstandsteam „moderieren“. Ziel sei es, „die jeweiligen Stärken der Vorstandsmitglieder zur Entfaltung zu bringen“.

Auch Arag investiert in digitale Zukunft

Neu im Konzern ist Dirksen freilich nicht. Bereits seit 2005 gehört der promovierte Fachjurist bereits der ARAG an, zunächst als Assistent des Vorstandschefs. Dann folgte ein schneller Aufstieg, der Dirksen unter anderem in die Vorstände der Kranken- und Leben-Töchter führte. Seit 2015 verantwortet er die Bereiche Kapitalanlage, Konzernentwicklung und Betriebs-Orga bei der ARAG SE: unter anderem betreut Dirksen das Digital-Programm „Arag Smart Insurer“, mit dem sich der Versicherer fit machen will für die digitale Zukunft.

Dirksen weiß also, wie man einen Konzern reformiert. Der jetzige Reformkurs trägt bereits seine Handschrift. Wobei das bei der alten ARAG etwas anders abläuft als bei vielen Mitkonkurrenten. Das Digitalprogramm der Düsseldorfer gestaltet sich eher zurückhaltend und ohne Stellenabbau, was freilich auch eine Folge der Altersstruktur ist. “Wir müssen zu einem Smart Insurer werden, weil wir in den nächsten zehn Jahren mehr als 30 Prozent unserer Belegschaft in Deutschland durch das Erreichen der gesetzlichen Altersgrenzen und Fluktuation verlieren werden“, berichtete Faßbender im Juni letzten Jahres gegenüber „VW heute“. Von 2018 bis 2020 investiert der Versicherer 80 Millionen Euro in sein Digitalprogramm.

Ein wichtiger Baustein ist das Investment in Start-ups, die juristische Arbeitsprozesse mit IT unterstützen und automatisieren: sogenannte Legal-Tech-Firmen. Unter anderem gründete die ARAG 2017 einen digitalen Rechtsdienstleister namens JUSTIX in Köln. Der Haken daran: In Deutschland sind viele der Dienste noch nicht zulässig, auch, weil Rechtsanwälte eine Art Standesschutz über ihr eigenes Berufsrecht genießen. Das setzt zum Beispiel für niedrigere Honorare bei digitaler Beratung enge Grenzen.

Deshalb weicht die Arag ins Ausland aus, um Services zu erproben. In den Niederlanden zum Beispiel können Privatleute ab 55 Euro im Jahr eine telefonische Erstberatung in Anspruch nehmen und haben Zugang zur Dokumentensuche und zu Anwälten mit festem Stundensatz, wie die "Süddeutsche" berichtete.

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Gerade im juristischen Bereich bremst deutsches Recht neue Ansätze für Service und Beratung stark aus. Während in anderen europäischen Staaten schon digitale Anwaltsnetzwerke eine Art Abo-Service anbieten, ist das hierzulande nicht oder nur eingeschränkt möglich. So ist es Rechtsschutzversicherern in Deutschland verboten, eigene Anwälte für die Kunden anzustellen, weil dadurch der Gesetzgeber die Unabhängigkeit der Juristen bedroht sieht. Dennoch will sich die ARAG zunehmend auch als Rechtsdienstleister positionieren und experimentiert mit neuen Online-Beratungsmodellen.

Dieselgate belastet Bilanz

Doch nicht nur im Ausland, auch in Deutschland schiebt die ARAG einiges an digitalen Services an. So hat der Versicherer im Vorjahr extra ein Portal für den sogenannten Dieselgate-Skandal gebaut. Nachdem der Autobauer VW und einige Schwesterfirmen hunderttausende Kundinnen und Kunden mit gefälschten Abgaswerten getäuscht hatte, belastet dieser Skandal die ARAG nun besonders: allein 8.500 Deckungszusagen seien bisher erteilt worden, berichtet Faßbender, die erwarteten Kosten beziffern sich auf 25 Millionen Euro.

Hier sollte das Portal Entlastung bringen und den Kunden eine Klage vereinfachen. Über die Webseite konnten sich die enttäuschten Fahrer informieren, Kontakt zu einem Anwalt aufnehmen und sich direkt für die Musterfeststellungsklage registrieren lassen. Dieses Instrument erlaubt es seit vergangenem Jahr, dass sich Verbraucher über Verein organisieren und gegen Konzerne vorgehen. Im Vorjahr sprangen besonders viele Verbraucher noch auf den Klageweg auf, da zum Jahresende wohl die Forderungen verjährt sind (der Versicherungsbote berichtete).

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In einem Punkt ist die ARAG dann doch weniger fortschrittlich: Der Vorstand des Versicherers ist nach wie vor komplett mit Männern besetzt. Der Frauenanteil beziffert sich genau auf null.

Erfolgreiches Geschäftsjahr 2018

Aktuell jedenfalls läuft es für die Arag sehr ordentlich: Faßbender wird seinem Nachfolger einen funktionierenden Konzern hinterlassen, wenn er mit 74 Jahren in den Ruhestand wechselt. Der Konzern hat seine gebuchten Bruttobeiträge 2018 um weitere 4,3 Prozent auf 1,65 Milliarden Euro ausgebaut. Die Konzern-Gesamtleistung – inklusive der Umsätze der Dienstleister – belief sich damit auf 1,68 Milliarden Euro, so berichtet der Versicherer im Pressetext.

Vor allem das traditionelle starke Rechtsschutz-Geschäft brummte 2018. Die Beiträge im Neugeschäft mit Rechtsschutz-Policen legten um gut 7 Prozent von 349,2 Millionen Euro auf 379,5 Millionen Euro zu. Der Konzernjahresüberschuss wuchs von 27,8 Millionen auf 34,7 Millionen Euro: ein Plus um satte 25 Prozent.

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Nicht ganz so stark ist die Arag in den anderen Sparten aufgestellt. In der Krankenversicherung wuchsen die Beitragseinnahmen um weitere 2,4 Prozent auf 373,7 Millionen Euro. Im Komposit-Geschäft sanken zwar die Bruttobeiträge von 281,0 Millionen Euro um 1,9 Prozent auf 275,7 Millionen Euro. Im strategisch besonders wichtigen internationalen Versicherungsgeschäft steigerte die ARAG ihre Beitragseinnahmen um 4,7 Prozent auf 672,6 Millionen Euro (Vorjahr: 642,2 Millionen Euro).

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