Kann ein gelernter Dachdeckergeselle zwar nicht mehr in seinem alten Beruf arbeiten, aber als Rettungsassistent, so darf der Berufsunfähigkeitsversicherer seine Rentenzahlungen einstellen. Der neue Beruf ist auch dann mit seiner bisherigen Lebensstellung vergleichbar, wenn der Betroffene eine etwas höhere Wochenarbeitszeit akzeptieren muss und nur mit Zulagen einen vergleichbar hohen Lohn erzielt. Das hat das Oberlandesgericht Düsseldorf mit einem rechtskräftigen Urteil entschieden. Über den Richterspruch informiert aktuell die Kanzlei Jöhnke & Reichow bei Cash Online.

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Dachdeckergeselle lernte zum Rettungsassistenten um

Im verhandelten Rechtsstreit konnte ein Dachdeckergeselle nach bestandener Gesellenprüfung seinen Beruf nicht mehr weiter ausüben. Der Berufsunfähigkeitsversicherer erkannte dies an und zahlte ihm ab 2006 eine monatliche Rente von knapp 350 Euro aus. Doch in der Zwischenzeit lernte der junge Mann um und begann im Juli 2008 eine Tätigkeit als Rettungsassistent.

Bei einer Nachprüfung im April 2016 kam das auch dem Versicherer zu Ohren. Er stellte daraufhin seine Zahlungen ein und berief sich auf eine Klausel in den Allgemeinen Bedingungen der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung. Demnach könne ein Versicherungsnehmer auf einen anderen Beruf verwiesen werden, wenn dieser mit der bisherigen Lebensstellung der zuletzt ausgeübten Tätigkeit vergleichbar sei (§ 2 Abs. 1 BUZ).

Das aber wollte der Mann nicht akzeptieren und klagte die Rente ein. Er argumentierte, dass beide Berufe eben nicht die gleiche Lebensstellung bedeuten. Unstrittig war hierbei, dass bestimmte Punkte durchaus erfüllt waren, die für eine Verweisung sprachen. So erforderte die neue Tätigkeit keine deutlich geringeren Kenntnisse und Fähigkeiten, womit ein wichtiges Kriterium erfüllt war. Auch dürfte die soziale Wertschätzung eines Rettungsassistenten nicht unter der eines Dachdeckergesellen liegen. Beide Kriterien berechtigten also den Versicherer dazu, keine Rente mehr zahlen zu müssen, wie auch beide Streitparteien anerkannten (vgl. BGH, Urteil vom 20. Dezember 2017, Az.: IV ZR 11/16).

Debatte über Höhe der Vergütung und Arbeitszeiten

Der Streit entbrannte sich jedoch an der Bezahlung der erforderlichen Arbeitszeit. So machte der Dachdeckergeselle zunächst geltend, dass er bald als Dachdeckerfachgeselle gearbeitet hätte, da er beinahe drei Jahre auf Dächern tätig gewesen sei. Nach dieser Zeit rückt man quasi in der Hierarchie ein Stück höher und erhält laut Rahmentarifvertrag auch mehr Lohn. Weil es quasi ein Automatismus sei, nach 36 Monaten mehr Geld zu erhalten, wollte er den Lohn als Dachdecker auch nach dem höheren Gehalt berechnet haben.

Dies lehnten die Richter jedoch ab. Eine solch hohe Vergütung hätte der Dachdeckergeselle keineswegs erzielt. Bei Berufsunfähigkeits-Policen sei es allgemein üblich, auf den tatsächlich zuletzt ausgeübten Beruf abzustellen und nicht auf einen fingierten Beruf, hoben die Richter mit Blick auf ein BGH-Urteil hervor. Denn allein die Berufsausübung vor Eintritt des Versicherungsfalls liefert die Vergleichsmaßstäbe dafür, ob die neue Tätigkeit der bisherigen Lebensstellung entspricht (Urteil vom 15. Februar 2017 – IV ZR 91/16).

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Folglich haben auch mehrere Oberlandesgerichte bereits bestätigt, dass das Einkommen vor Eintritt des Versicherungsfalls ausschlaggebend für den Vergleich der Lebensstellung sei und nicht die künftig zu erwartenden Lohnanstiege durch Beförderung etc., die erst im Laufe der weiteren Berufskarriere erfolgen würden (u.a. OLG Frankfurt, Urteil vom 21. November 1985, Az.: 15 U 107/84). Auf das Argument, er hätte später weit mehr verdient, konnte sich der Kläger folglich nicht berufen.

Vergleichbarer Lohn nur mit Zulagen und weniger Freizeit erreichbar

Auch ein anderes Argument des Klägers schmetterte das Oberlandesgericht ab. So argumentierte der Kläger, dass er nur mit Zulagen für Wochenend- und Nachtarbeit als Rettungsassistent einen vergleichbar hohen Lohn erzielen könne wie als Dachdeckergeselle. Und auch dann liege seine Vergütung deutlich darunter. Dieses Lohn-Extra erziele er aber nur, wenn er eine deutlich längere Wochenarbeitszeit in Kauf nehme. So müsse er nun 48 Stunden pro Woche arbeiten, als Dachdeckergeselle habe er schon nach 39 Stunden den Hammer fallen lassen können.

Das aber ließen die Richter nicht gelten. Werden Zulagen regelmäßig und verlässlich gezahlt, dann prägen sie die Einkommenssituation und somit auch die Lebensstellung, weshalb sie zu berücksichtigen seien, hob der Senat hervor. Zwar erziele der Mann als Rettungsassistent mit 48 Wochenstunden einen Stundenlohn von 15,48 Euro brutto, während er mit seinen 39 Stunden als Dachdecker einen etwas höheren Stundenlohn von 16,36 Euro habe erzielen können. Hieraus folgt jedoch weiter, dass der Kläger als Rettungsassistent lediglich 5,38 Prozent weniger verdiene, als dies bei unveränderter Fortsetzung seiner Tätigkeit als Dachdeckergeselle der Fall gewesen wäre.

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Einkommensverluste und Verlust von Freizeit müssen in bestimmten Rahmen hingenommen werden

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs müssen im Rahmen der Vergleichsbetrachtung zur „bisherigen Lebensstellung“ Einkommensverluste in einem zumutbarem Rahmen hingenommen werden, betonte das Rheinländische Gericht (BGH, Urteil vom 22. Oktober 1997 – IV ZR 259/96). Bei einem Einkommensverlust von weniger als 10 Prozent sei jedoch die Zumutbarkeitsgrenze in keinem Fall überschritten, so habe auch bereits das OLG Celle entschieden (OLG Celle, Urteil vom 22. Mai 2017 – 8 U 59/17).

Ebenfalls keinen Anklang fand die Einlassung des Klägers, weil er nun oft am Wochenende arbeite und deutlich länger, gehe ihm Freizeit verloren, etwa um sie mit Freunden und Familie zu verbringen. Dies sei unerheblich, zumal auch Dachdecker aufgrund der Witterung wechselnde Arbeitszeiten hätten, wie schon aus dem Rahmentarifvertrag hervorgehe. Zudem dürfe Freizeit nicht mit Einkommen verrechnet werden, weil mit vermehrter Freizeit kein Unterhalt zu erzielen sei, wie bereits der Bundesgerichtshof urteilte (Urteil vom 7. Dezember 2017, Az.: IV ZR 434/15).

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Auch, dass der Mann weniger Zeit mit der Familie verbringe, vermag keine Berücksichtigung zu finden. Beim Vergleich der Lebensstellung entscheide allein Ausbildung, Einkommen und soziales Ansehen beider Berufe über das Anrecht auf Rente.

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