Am 31. August 2019 läuft der Gehaltstarifvertrag für den Innendienst der Versicherungen aus. Anlass für die ver.di-Tarifkommission, nun ihre Forderungen gegenüber den Versicherern zu präsentieren. Und die lassen aufhorchen, denn die Arbeitnehmer-Vertreter gehen sehr selbstbewusst in die Verhandlungen.

Anzeige

“Frage des Respekts und der Anerkennung“

Konkret fordert die Tarifkommission von ver.di, dass die Gehälter inklusive Zulagen um sechs Prozent angehoben werden. Nicht über mehrere Jahre gestreckt, wie es oft bei früheren Tarifverträgen der Fall war, sondern binnen einer Zwölfmonats-Frist. Zudem soll die Auszubildendenvergütung für alle Ausbildungsjahre ebenfalls um 80 Euro steigen.

Doch nicht nur monetäre Aspekte bringt die Gewerkschaft in die Tarifrunde ein: auch Arbeitszeit und -organisation werden die Gespräche bestimmen. So solle ein Rechtsanspruch auf Umwandlung von Tariferhöhungen in freie Tage ebenso garantiert sein wie ein Rückkehrrecht für heute in Teilzeit arbeitende Beschäftigte auf Vollzeit und die unbefristete Übernahme der Auszubildenden.

“Die Mitglieder der Tarifkommission waren sich einig: eine ordentliche Anhebung der Löhne und Gehälter für die Beschäftigten ist unbedingt erforderlich“, heißt es auf der Webseite von ver.di. Und: Man stelle sich "auf harte Verhandlungen ein“.

Mit Blick auf das Zeitmanagement erinnern die Arbeitnehmervertreter daran, dass die Mitarbeiter in den Konzernen einen zunehmenden Arbeitsdruck sowie einer zunehmenden Arbeitszeitverdichtung ausgesetzt seien. „Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, erwirtschaften die Gewinne der Branche. Von Ihnen werden immer höhere Leistungen und die Anpassung an die digitalisierungsbedingten Veränderungsprozesse der Branche gefordert“, heißt es an die Beschäftigten adressiert. Mehr Lohn sei nun auch eine Frage "des Respekts und der Anerkennung der Arbeit".

Schmerzhafte Umbauprogramme — und Nachwuchsprobleme

Dass die Gewerkschaften zunächst recht ehrgeizige Forderungen formulieren, ist nicht unüblich. Schließlich bilden sie die Grundlage für einen späteren Kompromiss mit den Arbeitgebern, bei dem oft weniger dabei herausspringt. Als Argumente für das notwendige Lohnplus verweist ver.di auf den Fachkräftemangel und die Nachwuchsprobleme der Branche. Laut Arbeitgeberverband der Versicherer (AGV) liegt der Altersschnitt beim Innen- und Außendienst der Versicherer (inklusive Azubis) aktuell bei 43,5 Jahren.

Darüber hinaus hätte das Lohnplus der vergangenen Tarifrunde Reallohnverluste bedeutet, so ein weiteres Argument. „Trotz eines schwierigen wirtschaftlichen Umfeldes geht es der Versicherungsbranche wirtschaftlich gut. Jährlich verkünden die Unternehmen gute bis hervorragende Geschäftsergebnisse“, schreibt ver.di. „Tariferhöhungen sollen die Beschäftigten am wachsenden Wohlstand beteiligen und steigende Preise ausgleichen.Die Inflation ist 2018 deutlich gestiegen, als das in der vergangenen Tarifrunde prognostiziert wurde. Der letzte Tarifabschluss konnte die Preissteigerung nicht ausgleichen“.

Zugleich aber zeigt sich ein gegensätzlicher Trend: Immer mehr Mitarbeiter des Innendienstes werden durch digitale Helfer ersetzt. So bauten die Versicherer auch 2018 Arbeitsplätze ab. Laut Arbeitgeberverband der Versicherer sank die Zahl der Beschäftigten binnen Jahresfrist um 1,4 Prozent auf 201.900 Mitarbeiter (der Versicherungsbote berichtete).

Noch deutlicher ist der Langzeittrend: Waren 2003 noch 244.300 Beschäftige bei den Versicherern angestellt, waren es Jahresende 2018 bereits 42.200 Personen weniger. In fast jedem Jahr der letzten 15 Jahre war ein Jobabbau zu beobachten. Und der Aderlass könnte sich weiter beschleunigen. Die Digitalisierung in der Versicherungsbranche werde dazu führen, dass mittelfristig vier von zehn Arbeitsplätzen bei den deutschen Versicherern wegfallen, so prognostiziert das Beratungshaus McKinsey in einer umstrittenen Studie (der Versicherungsbote berichtete).

Fast alle großen deutschen Versicherer haben aktuell ehrgeizige Umbauprogramme initiiert, die für die Mitarbeiter mehr Stress, hohen Anpassungsdruck und teils auch Ungewissheit und Angst um den Job bedeuten: als Beispiel seien die Allianz, Ergo, Axa und Generali genannt. Der Konzernumbau entwickelt sich in Zeiten des digitalen Wandels zum Dauerzustand. Hier setzt nun auch ver.di an, wenn die Gewerkschafter mehr (Frei)Zeit für die Mitarbeiter fordern: bietet der digitale Wandel doch auch die Chance, frei werdende Ressourcen besser zu nutzen.

Anzeige

Folgende Verhandlungstermine sind vorerst für die laufende Tarifrunde angesetzt: 19.09.2019 in Wuppertal, 30.10.2019 in Hannover und 29.11.2019 in München.

Anzeige