Wenn Menschen pflegebedürftig werden, müssen sie immer höhere Eigenbeiträge zahlen: viele Bürger fühlen sich damit überfordert. Führende Politiker der SPD sprechen sich dafür aus, die gesetzliche Pflegeversicherung zu reformieren und den Eigenanteil zur Pflege zu deckeln. „Wir müssen das System umdrehen. Der Eigenanteil muss gedeckelt werden, alle künftigen Kostensteigerungen müssen dann von der Pflegeversicherung bezahlt werden“, sagte SPD-Chefin Andrea Nahles der „Bild am Sonntag“.

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Am Montag legte daraufhin SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach nach. Bei der Finanzierung der Pflege seien die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen am Limit, sagte Lauterbach am Montag im ZDF-Morgenmagazin. "Wir können die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen nicht stärker belasten“, so der Politiker. Deshalb wolle die SPD den Eigenanteil einfrieren und das künftige Kostenplus von den Pflegekassen bezahlen lassen.

Der Pflegeheimplatz wird deutlich teurer

Hintergrund der Debatte ist, dass die Pflegekosten seit der Gesundheitsreform der Schwarz-roten Koalition stark angestiegen sind. Seit Inkrafttreten der Pflegestärkungsgesetze ist für die Betroffenen zwar vieles besser geworden. Unter anderem haben nun auch Menschen mit geistiger Beeinträchtigung wie Demenz Anspruch auf Pflegeleistungen, die früher komplett durch das soziale Netz fielen. Auch werden pflegende Angehörige besser unterstützt. Doch zugleich sind an manchen Stellen die Kosten für die Betroffenen nahezu explodiert, wie Zahlen vom Verband der Ersatzkassen zeigen.

Wenn Pflegebedürftige in einem Heim betreut werden, so müssen sie hierfür immer höhere Summen aus eigener Tasche zahlen. Im Januar 2019 betrugen die Kosten im Bundesschnitt 1830 Euro monatlich: ein Plus gegenüber dem Vorjahr von 3,25 Prozent. Auch im Jahr 2018 gab es schon einen deutlichen Preissprung. Regional gibt es bei den Pflegeheimkosten zudem gewaltige Unterschiede: Wer in Nordrhein-Westfalen lebt, dem teuersten Bundesland, muss im Schnitt sogar 2.252 Euro für einen Pflegeheimplatz zahlen. Viele Menschen sind mit den Kosten überfordert.

Es sind aber keineswegs die gesamten Pflegeheim-Kosten, die nun nach dem Willen der SPD gedeckelt werden sollen, sondern nur der sogenannte Eigenanteil zur Pflege. Hierbei gilt es zu bedenken, dass sich die Rechnung fürs Pflegeheim aus zwei Komponenten zusammensetzt. Zum einen wäre da der einrichtungseinheitliche Eigenanteil (EEE), der vom Pflegeheim-Betreiber, den Pflegekassen und Kommunen ausgehandelt wird: hier stecken die rein pflegebedingten Aufwendungen drin. Hinzu treten als zweiter Bestandteil die Kosten für Unterkunft, Ernährung und notwendige Investitionen in das Pflegeheim.

Weil die Pflegekasse aber selbst bei den Pflegekosten nur ein Teil übernimmt, soll nun zumindest der Eigenanteil zur Pflege gedeckelt werden, geht es nach dem Willen der SPD. Bisher ist der Eigenanteil, den Pflegebedürftige und ihre Angehörigen zahlen müssen, nach oben hin offen. Gedeckelt ist hingegen der Zuschuss der Pflegeversicherung. Dieses Prinzip soll sich künftig umkehren. Hamburg und einige andere Bundesländer haben bereits einen Vorstoß gewagt, diesen Anteil bei dem Betrag einzufrieren, der aktuell im Bundesschnitt für Pflege berappt werden muss: 618 Euro.

Pflegekosten werden weiter steigen

Wenig beruhigend ist vor dem Hintergrund die Prognose, dass die Pflegekosten auch in Zukunft steigen werden, und zwar deutlich. In der Pflege fielen in den kommenden Jahren neue Milliardenkosten an, sagte Lauterbach dem ZDF-Morgenmagazin. Angesichts der Personalnot müssten speziell Altenpflegekräfte deutlich besser bezahlt werden. Dabei wiederholt der SPD-Politiker eine altbekannte Forderung: eine einheitliche Bürgerversicherung solle dafür sorgen, dass künftig auch Beamte und Gutverdiener einzahlen. Zusätzlich seien Steuerzuschüsse notwendig, um die explodierenden Kosten aufzufangen.

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Besonders brisant: Um das Kostenproblem zu lösen, macht Lauterbach auch vor den Rücklagen der privaten Krankenversicherer nicht Halt. Es müsse auch darüber nachgedacht werden, die hohen Rücklagen der privaten Versicherungen zur Finanzierung der Pflege einzusetzen. Zur Erinnerung: Die Alterungsrückstellungen gehören den privat Versicherten. Sie werden angespart, um die Beitragslast im Alter zu reduzieren — Sie einfach wegzunehmen, könnte schlicht gegen das Gesetz verstoßen.

Antwort des PKV-Verbandes: mehr Eigenvorsorge

Auf wenig Gegenliebe stoßen die Vorschläge der SPD erwartungsgemäß beim Verband der privaten Krankenversicherer. „SPD-Plan zur Pflege ist ein ungedeckter Scheck zu Lasten der Enkelkinder“, schreibt der Verband in einem am Montag veröffentlichen Presse-Statement. „Die SPD will die Eigenanteile der Pflegebedürftigen deckeln und alle Kostensteigerungen auf die künftigen Beitrags- und Steuer­zahler verlagern“, heißt es in dem Text. „Das ist sozialpolitisch nicht gerecht. Eine Deckelung wirkt auch zugunsten von Gutverdienern, die sehr wohl aus eigener Kraft für die Pflege-Kosten aufkommen bzw. vorsorgen können“.

Als weiteres Argument gibt der PKV-Verband zu bedenken, dass angesichts einer „demografischen Entwicklung mit immer mehr Älteren“ ein Deckel für Pflegekosten wenig nachhaltig sei. Er führe in eine „verdeckte Verschuldung der Sozialversicherung“. Die Folgen seien steigende Beitrags- und Steuersätze auf Kosten der Jüngeren und steigende Lohnzusatzkosten zu Lasten des Wirtschaftsstandortes Deutschland.

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Auch eine Bürgerversicherung würde „kein einziges Finanzierungsproblem“ lösen, schreibt der PKV-Verband. Die große Mehrheit der heute Privatversicherten würde keines­wegs den Höchstbeitrag in einer „Pflege-Bürgerversicherung“ zahlen, wenn diese käme. Aber sie würde lebenslang die gleichen Kosten verursa­chen wie alle anderen – nur ohne kapitalgedeckte Vorsorge. Ein Zugriff auf die hohen Rücklagen der Privatversicherer, wie Lauterbach ihn fordert, sei zudem "schon verfassungsrechtlich nicht möglich".

...mehr Eigenvorsorge!

Wie die Probleme der Pflege in Deutschland gelöst werden können, diese Antwort bleibt auch der PKV-Verband im Pressestatement schuldig. Man brauche „mehr Eigenvorsorge“, heißt es zum Ende des Textes. Oder anders formuliert: Die Menschen sollen mehr private Pflegezusatzversicherungen abschließen, was immerhin vernünftig ist. Zusatzpolicen sind aktuell noch eine Nische, obwohl sich damit die hohen Kosten im Pflegefall auffangen oder zumindest schmälern lassen. Gerade einmal fünf Prozent der Bevölkerung haben einen solchen Schutz abgeschlossen.

Vor allem das Problem fehlender Pflegekräfte wird sich aber kaum lösen lassen, wenn man allein auf die selbstheilenden Kräfte des Marktes vertraut. Schlecht bezahlt, überfordert und mit unzähligen Überstunden, arbeiten viele Pfleger schon heute am Limit, so eine Studie im Auftrag von ver.di aus dem Jahr 2018. Bundesweit fehlen den Kliniken demnach bereits 80.000 Pflegekräfte. Die Krankenhäuser müssten ihr Personal um 22 Prozent aufstocken, um den Bedarf zu decken. Die Bundesregierung kommt auf nicht ganz so krasse Zahlen: Auf eine Anfrage der Grünen im Bundestag antwortete sie, rund 25.000 Stellen in der Pflege seien aktuell nicht besetzt.

Eine alarmierende Prognose präsentiert die Bertelsmann-Stiftung: Demnach könnte die Zahl der Pflegebedürftigen bis 2030 auf 3,4 Millionen anwachsen und dann 500.000 Pflegekräfte fehlen. Hier sei dringendes Gegensteuern notwendig, mahnt die Stiftung, und zwar sofort. Am Status Quo festhalten und an Eigenverantwortung appellieren hilft angesichts solcher Szenarien wenig.

Dass die recht teuren Pflegezusatz-Policen ebenfalls das Portemonnaie gerade von Geringverdienern belasten, weil sich die Kosten nicht am Einkommen der Versicherten orientieren, ist ebenfalls ein Fakt. Auch, dass der Steuerzahler schon jetzt für die Pflegekosten der Privatversicherten zur Kasse gebeten wird. Fast die Hälfte aller Vollversicherten in der PKV sind Beamte — mit Anspruch auf Beihilfe auch bei Pflegeleistungen.

…und was ist mit ambulanter Betreuung?

Einen ganz anderen Einwand zum SPD-Vorstoß hat die Deutsche Stiftung Patientenschutz. Zwar begrüßt sie die Pläne im Grundsatz, wie zdf.de berichtet. Aber verweist zugleich darauf, dass der Großteil der Pflegebedürftigen von Angehörigen in den eigenen vier Wänden betreut wird. Drei von vier Betroffenen werden aktuell noch zu Hause versorgt, so geht aus Daten des Statistischen Bundesamtes hervor.

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Es müsse erst einmal geklärt werden, von welchen Pflegekosten überhaupt die Rede sei, gibt nun Stiftungsvorstand Eugen Brysch gegenüber dem ZDF zu bedenken. Würden die reinen Pflegekosten sowohl bei der stationären als auch bei der ambulanten Pflege komplett übernommen, könnten die Pflegebedürftigen weiterhin selbst entscheiden, welche Form der Pflege sie in Anspruch nehmen möchten. Damit wäre auch Pflegephilosophie "ambulant geht vor stationär" weiter gewährleistet.

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