Hier sei zunächst auf ein grundsätzliches Problem hingewiesen: Die auslösenden Faktoren erlaubten es schwarzen Schafen der Branche in den 2000er Jahren, Neukunden zunächst mit Dumping-Tarifen in einen Vertrag zu locken. Und dann die Prämien eben deutlich raufzusetzen im Laufe der Zeit. Zwar wird die umstrittene Praxis von vielen Anbietern nicht mehr verfolgt: Sie merkten schlicht selbst, dass ihnen der Wettbewerb um möglichst günstige Kunden schadet. Hieraus rekrutieren sich auch viele Beitragsschuldner, die tatsächlich mit den Prämien überfordert sind. Aber wer als PKV-Versicherer schlecht wirtschaftet, kann auch heute noch die hohen Kosten über die Beiträge auf die Kunden umlegen.

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Tatsächlich sind die jetzigen gesetzlichen Regeln auch ein Ärgernis aus Sicht der Versicherungswirtschaft. Sie tragen dazu bei, dass der Versicherer die Prämien nur in bestimmten Intervallen anheben kann, aber jahrelang gar nicht. Weitere Faktoren, die ebenfalls Auswirkungen auf die Beiträge haben, werden nicht berücksichtigt. Etwa der Niedrigzins an den Kapitalmärkten, den sich die Versicherer nicht ausgesucht haben, da können sie schlicht nichts dafür. Die Niedrigzinspolitik der Zentralbanken trägt dazu bei, dass mehr Geld notwendig ist, um die Alterungsrückstellungen anzusparen. Aktuare und Versicherungswirtschaft machen sich für eine Reform der auslösenden Faktoren stark: Sie wollen, dass mehr Gründe berücksichtigt werden dürfen, um Prämien anzuheben.

Medikamente, Demografie, Abschlusskosten - für die PKV kein Problem?

Aber die auslösenden Faktoren sind nicht der einzige Grund für Beitragssprünge. Wer sich mit Versicherungsvorständen und Branchenvertretern vertraulich unterhält, der erhält „Off the record“ einen Einblick, dass die Branche durchaus Probleme hat. Die Alterung der Gesellschaft belastet natürlich auch die Privatversicherer, trotz der hohen Alterungsrückstellungen. Nicht nur, weil ältere Menschen im Schnitt deutlich höhere Gesundheitskosten erzeugen - sondern auch, weil künftig schlicht weniger Neukunden nachkommen werden. Abschluss-, Vertriebs- und Werbekosten sind weitere Faktoren, die Einfluss auf die Versicherungsprämie haben.

Ein weiteres Problem sind die grundsätzlich steigenden Kosten für Behandlungen und Medikamente, die Privatversicherer teils besonders stark belasten. Eben nicht allein als Folge des medizinischen Fortschritts oder der Demografie. Sondern schon deshalb, weil die Versicherer auf das Versprechen angewiesen sind, höhere Honorare und mehr Leistungen zu erstatten, natürlich abhängig vom Tarif. Beispiel Medikamente: Arznei ist in Deutschland besonders teuer, nirgendwo sonst in der EU kosten Pillen, Spritzen und Tropfen so viel. Das gilt speziell, wenn die Medikamente neu eingeführt werden. Die Hersteller dürfen die Preise im ersten Jahr selbst bestimmen, einen Kostendeckel wie in anderen europäischen Staaten gibt es hierzulande nicht.

Es sind oft die privaten Versicherer, die diese neuen Medikamente bereitwillig bezahlen, wenn Ärzte sie verschreiben: auch wenn der medizinische Nutzen fragwürdig oder umstritten ist. Denn die Privatversicherer werben ja gerade damit, dass die Patienten Anrecht auf die neuesten Medikamente haben, auch wenn es bereits preisgünstige Alternativen auf dem Markt gibt. So kann es passieren, dass ein Mittel gegen Hepatitis C im ersten Jahr hierzulande doppelt so teuer ist wie in Großbritannien. Und eine sechsmonatige Behandlungszeit im ersten Jahr 200.000 Euro verschlingt, im zweiten nur noch 96.000 Euro - für einen einzigen Patienten.

Ein Blick auf die Zahlen: Zwischen 2007 und 2016 stiegen die Ausgaben für ambulante Arzneimittel in der privaten Krankenversicherung von 2,047 Milliarden Euro auf 2,973 Milliarden Euro: ein stolzes Plus von 45 Prozent. Im selben Zeitraum sind die Arzneikosten bei den gesetzlichen Kassen „nur“ um 33,5 Prozent gewachsen. Hier ist auch die Politik gefragt.

Fehlende Transparenz - auch ärgerlich, weil es gute Wettbewerber gibt

Die fehlende Transparenz bei den Tarifen ist auch deshalb ärgerlich, weil es ja tatsächlich gute Privatversicherer auf dem Markt gibt. Solche mit niedrigen Vertriebs- und Abschlusskosten. Mit einer soliden Tarifkalkulation, so dass die Prämien langfristig relativ stabil bleiben. Mit gutem Service und einer vernünftigen Mischung von Preis und Leistung.

Solange aber andere Anbieter die Versicherten für schlechtes Wirtschaften und unsolide Tarifkalkulation zur Kasse bitten dürfen, fehlt mir der Glaube daran, dass der Markt das Problem der schwarzen Branchen-Schafe schon irgendwie selbst löst. Die vom Gesetzgeber erlaubte Intransparenz begünstigt Marktversagen. Es gibt zu viele Möglichkeiten, eine unseriöse Kalkulation vor den Verbrauchern zu verstecken. Und wer schlecht wirtschaftet, vielleicht sogar vorsätzlich, kann die Kosten später einfach über die Beiträge auf die Versicherten umlegen.

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Deshalb mache ich mal einen ganz konkreten Vorschlag. Will ein Versicherer die Prämien besonders stark anheben, dann muss eine unabhängige Institution das noch einmal prüfen. Nicht jene Aktuare, die von den Versicherern selbst bezahlt werden. Es muss sich um eine strenge, unabhängige Watchdog-Institution handeln. Wer das sein kann? Keine Ahnung. Die BaFin prüft ja jetzt schon die Aktuare - wenn auch nicht sehr streng. Wie viel zum Beispiel ein Treuhänder von einem Versicherer bezahlt bekommt, spielt für die Versicherungsaufsicht keine Rolle. Auch hier wäre der Gesetzgeber gefragt, strengere Regeln zu definieren. Und bei den Verbraucherzentralen fehlt mir aktuell der Glaube, dass sie dieser Aufgabe personell und in Sachen Aktuars-Know-how gewachsen wären.

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