Ein komplexes Feld: Übergang zur nachgelagerten Rentenbesteuerung seit 2005


Ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 17/99), welches die bis dahin übliche unterschiedliche Besteuerung von Pensionen und Renten als verfassungswidrig erklärte aufgrund eines Verstoßes gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, zwang den Gesetzgeber zum Handeln. Der reagierte mit dem Alterseinkünftegesetz (AltEinkG) von 2005: Die Besteuerung der verschiedenen Arten von Alterseinkünften wird schrittweise angeglichen. Zugleich erhöhte der Gesetzgeber die Steuer auf Renteneinkünfte, um im Gegenzug die Beiträge für die gesetzliche Rentenversicherung und ihr gleichgestellte Aufwendungen (Betriebsrente und Rürup-Rente) nach um nach steuerfrei zu stellen – bis zum Jahr 2040 soll der Übergang zur sogenannten "nachgelagerten Rentenbesteuerung" vollzogen sein.

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So sinkt jedes Jahr der mit Einstieg ins Rentenalter unveränderliche prozentuale Teil der Rente, auf den keine Steuer gezahlt werden muss (der sogenannte „Rentenfreibetrag“), um zwei Prozentpunkte: 2018 betrug der Rentenfreibetrag 24 Prozent der Altersbezüge, 2019 beträgt er nur noch 22 Prozent. Schrittweise um 2 Prozentpunkte pro Jahr steigt im Gegenzug der Anteil der Beiträge für die Altersvorsorge, die steuerfrei gestellt werden können: 2005 „startete“ der Gesetzgeber mit 60 Prozent, die als Sonderausgaben vom steuerpflichtigen Einkommen abgezogen werden, bis zum Jahre 2025 wächst der Prozentsatz auf 100 Prozent an (jedoch wird der steuerfreie Arbeitgeberanteil darauf angerechnet).

Steuerpflichtig werden Renten, sobald die Einkünfte das steuerfreie Existenzminimum überschreiten: Für 2018 liegt dieser existenzsichernde Grundfreibetrag bei 9.000 Euro im Jahr. Überschreiten die Bezüge diesen Betrag, muss eine Steuererklärung abgegeben werden. Ob freilich auch Steuern bei Steuerpflicht gezahlt werden müssen, ist eine andere Frage, da auch Rentner Posten steuerlich geltend machen können – und zwar sogar „eine Menge“, wie die Verbraucherseite „test.de“ ausführt. Kirchensteuern, Spenden, Parteibeiträge, Krankheitskosten, Kosten für die Arbeit von Handwerkern und Helfern im Haushalt etc. ... wer nur knapp über dem Grundfreibetrag liegt, hat gute Chancen, keine Steuern zu zahlen.

Bundesregierung erwartet Steuermehreinnahmen in Höhe von 410 Millionen Euro


Nun ergab eine Antwort des Bundesfinanzministeriums auf eine Anfrage des Linken-Abgeordneten Matthias Birkwald: etwa 48.000 Rentner werden erstmals aufgrund der Beitragserhöhung in die Steuerpflicht genommen, wie das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) berichtet. Die Bundesregierung rechnet mit Steuermehreinnahmen in Höhe von 410 Millionen Euro, die nur aufgrund dieser Rentenerhöhung zusätzlich in die Staatskasse fließen.

Mehrere Dinge sind aus Sicht des Linken-Abgeordneten daran problematisch. So weist er darauf hin, dass Steuern bei immer geringeren Rentenbezügen gezahlt werden müssen: Galt für Neurentnerinnen und Neurentner des Jahres 2005 noch die Faustregel, dass eine Monatsbruttorente bis 1.286 Euro steuerunbelastet bleibt, sofern keine anderen Einkünfte vorliegen, so sinkt diese Schwelle für Neurentner*innen des Jahres 2018 bereits auf 1.170 Euro. Gerade für Menschen knapp oberhalb des steuerfreien Existenzminimums könnte dies zum Problem werden. Denn zum einen fühlen sich viele ältere Menschen von der komplexen Steuermaterie überfordert. Zum anderen aber gilt auch für die Steuerberatung: Guter Rat kann teuer (und damit für Rentner*innen schnell unerschwinglich) sein.

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Gefordert sind "kostenlose und niedrigschwellige Hilfen für ältere Menschen"

Was aber ist zu tun? Der Rentenexperte der Linken hat klare Vorstellungen: Die Bundesregierung soll „schnelle, kostenlose und niedrigschwellige Hilfen für ältere Menschen“ bei der Steuererklärung sowie eine „angemessene Personalausstattung in den Finanzämtern“ zur sachgerechten Bearbeitung der Anträge steuerpflichtiger Rentner bereitstellen. Jedoch übt, nicht nur aufgrund der zu geringen Höhe der Beträge, der Politiker noch grundsätzlichere Kritik am Übergang zur nachgelagerten Rentenbesteuerung. Noch immer nämlich ist nicht der Verdacht ausgeräumt, durch die komplizierte Lösung könnte es zu einer Doppelbesteuerung der Renten kommen. Eine solche aber ist, wie der Beschluss 2 BvL 17/99 des Bundesverfassungsgerichts auch explizit darlegt, verboten. Stattdessen wird der Gesetzgeber aufgefordert, „die Besteuerung von Vorsorgeaufwendungen für die Alterssicherung und die Besteuerung von Bezügen aus dem Ergebnis der Vorsorgeaufwendungen so aufeinander abzustimmen, dass eine doppelte Besteuerung vermieden wird.“

Doppelsteuer bei Renten?

Der Linke-Politiker Birkwald wirft der Bundesregierung vor, abzuwarten (und demzufolge das Problem einer doppelten Besteuerung auszusitzen). Jedoch gäbe es "mehrere Studien, die belegen, dass es immer öfter zu einer doppelten Besteuerung von Renten kommen wird, da die Belastung der Rentenbesteuerung nicht der Entlastung für Berufstätige entspricht", wie der Abgeordnete auf seiner Internetseite ausführt.

Den Verdacht einer doppelten Besteuerung der Renten hegt aber keineswegs nur der Linke- Politiker. Auch die ARD berichtete über diesen Missstand und benannte als Beispiel eine Rentnerin, deren Rente aufgrund des Eintritts ins Rentenalter 2017 mit einem Anteil von 74 Prozent besteuert wird, wohingegen aber nur 56 Prozent der geleisteten Rentenversicherungsbeiträge als Sonderausgaben steuerfrei gestellt werden durften.

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Das Problem: Aufgrund der komplexen Lösung beim schrittweisen Übergang zur nachgelagerten Besteuerung steigt der Anteil der geleisteten Rentenversicherungsbeiträge, die steuerfrei gestellt werden können, langsamer als der zu versteuernde Prozentsatz der Renten. Und damit würde es genau zu jener Doppelbesteuerung kommen, die das Verfassungsgericht der Regierung verboten hat. Der Bericht der ARD nennt sogar konkrete Zahlen: Der Anteil der doppelt besteuerten Bezüge liege für einen Durchschnittsrentner noch unter 10.000 Euro, wenn er 2017 in Rente ging. Für Rentner mit einem Einstieg ins Rentenalter im Jahr 2020 wären es aber schon 22.000 Euro, die zu viel besteuert würden.

Eine Prüfung des Bundesverfassungsgerichts ... ist in die Zukunft verwiesen

Eindeutig jedoch lässt sich die Frage nicht beantworten, ob und in welchem Maße die Bestimmungen des jetzigen Alterseinkünftegesetzes die Verfassung verletzen. Hat doch das Bundesverfassungsgericht bereits mehr als zehn Verfassungsbeschwerden, die sich auf dieses Problem bezogen, wegen mangelnder Erfolgsaussichten zurückgewiesen (als Beispiel: 2 BvR 2683/11), wodurch sich der Gesetzgeber bestätigt sieht.

Allerdings wurde unter anderem geltend gemacht für die Nichtannahme einiger Fälle, dass die Summe der von den Beschwerdeführern steuerfrei bezogenen Rentenanteile die Summe der von ihnen geleisteten Beiträge übersteige und dass sich die Beschwerden auf Fälle bezogen, in denen nur eine Abweichung vom sogenannten Nominalwertprinzip zur Errechnung einer Doppelbesteuerung führte.

Nach dem Nominalwertprinzip ist der zahlenmäßige Wert unabhängig von der Wertentwicklung für Berechnungen grundlegend. Die Beschwerdeführer rechneten aber auch die Wertentwicklung des Geldes in ihre Beweisführung ein, um eine Doppelbesteuerung zu unterstellen. Aus Sicht des Verfassungsgerichts aber darf der Gesetzgeber ganz im Sinne des Nominalwertprinzips verfahren.

Ist die Sache damit eindeutig und aus der Welt? Nicht ganz. Das Verfassungsgericht gab auch zu bedenken: Würde man, wie die Beschwerdeführer, zum Beispiel 2039 oder 2043 ins Renteneintrittsalter kommen, wäre durchaus möglich, dass heutige Regelungen später zur Doppelbesteuerung führen. Die Prüfung steht aber noch aus: Erst in den Veranlagungszeiträumen ist eine verfassungsrechtliche Prüfung dieses Verdachts möglich.

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