Der 19. Dezember 2018 ist ein Datum, das sich die privaten Krankenversicherer rot in ihrem Kalender notiert haben werden. Viel steht auf dem Spiel: An diesem Tag wird der Bundesgerichtshof in Karlsruhe (BGH) erstmals mündlich den sogenannten PKV-Treuhänderstreit verhandeln, ein Grundsatzurteil wird erwartet. Die Branche muss im Fall einer Niederlage fürchten, dass tausende Prämienanhebungen der letzten Jahre unwirksam sind und die Versicherten die entsprechenden Gelder zurückfordern. Über die anstehende Verhandlung berichtet aktuell das Handelsblatt.

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Wenige Aktuare als Watchdogs - alle im Ruhestand

Konkret geht es um die Frage, ob die Prämienanhebungen der Privatversicherer unwirksam sind, weil sie von befangenen Treuhändern abgenickt wurden. Seit 1994 schreibt der Gesetzgeber vor, dass unabhängige Aktuare den Versicherern auf die Finger schauen, ob das Plus bei den Beiträgen auch gerechtfertigt ist. So sollen die Versicherten vor willkürlichen Prämiensprüngen geschützt werden. Denn ungern lassen sich die Gesellschaften bei der Tarifkalkulation in die Karten schauen, damit auch die Konkurrenz nicht erfährt, wie man rechnet.

Nur in zwei Fällen dürfen die Versicherer tatsächlich die Kosten für Bestandskunden raufsetzen: Wenn die Ausgaben die kalkulierten Kosten um zehn Prozent übersteigen. Und wenn sich die Lebenserwartung der Versicherten stärker als kalkuliert erhöht, weil dies im statistischen Schnitt auch zu höheren Gesundheitsausgaben führt.

Doch in den letzten Jahren hat sich ein System entwickelt, in dem nur wenige Aktuare mit den Beitragsanpassungen befasst sind. Ganze 16 Treuhänder wachen derzeit über die Prämien der Branche und sind im Schnitt für drei Anbieter tätig, so musste die Bundesregierung auf Anfrage der Grünen einräumen.

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Diese Aktuare beziehen auch einen Großteil ihrer Gelder oft nur von ein oder zwei Gesellschaften. Pro Jahr erhalten sie mitunter eine sechsstellige Summe von nur einem einzigen Versicherer ausgezahlt (der Versicherungsbote berichtete). Laut Handelsblatt handle es sich bei den 16 Aktuaren durchweg um Pensionäre, die zuvor selbst über Jahrzehnte Tarife für Versicherer entwickelt haben.

Beide Streitparteien geben sich siegessicher

Diese Konzentration auf wenige Aktuare im Ruhestand könnte den Versicherern nun auf die Füße fallen. Viele Kläger, die Prämien zurückwollen, werden von der Berliner Kanzlei Pilz, Wesser und Partner vertreten. In 60 abgeschlossenen Gerichtsverfahren habe man nur eine Niederlage erlitten, berichtet Verbraucheranwalt Knut Pilz. Den Anfang machte das Landgericht Potsdam. Es kippte eine Prämienanpassung der Axa, weil deren Treuhänder 300.000 Euro im Jahr erhalten haben soll: mehr als 30 Prozent des Einkommens.

Doch siegesgewiss gibt sich auch der PKV-Verband. Er beruft sich auf ein Urteil des Oberlandesgerichtes Celle: dem einzigen Richterspruch bisher in höherer Instanz. Die Richter schmetterten demnach die Klage eines Verbrauchers ab, weil es nicht Aufgabe der Zivilgerichte sein könne, über die Unabhängigkeit der Treuhänder zu urteilen. Dies komme allein der Finanzaufsicht BaFin zu. Auch könne eine Prämienanpassung auch dann korrekt sein, wenn sich die Aktuare als befangen entpuppt haben, so betonten die Richter. Entscheidend sei allein, ob der Versicherer tatsächlich richtig gerechnet habe - dies müsse gesondert überprüft werden (der Versicherungsbote berichtete, OLG Celle, 8 U 57/18).

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Brisanz erhält der Fall nun zusätzlich dadurch, dass auch Verbraucherschutz und -verbände dazu raten, sich gegen die Prämienanpassungen zu wehren. Die Webseite "Finanztip", geleitet von von Hermann-Josef Tenhagen, rät auf der Internetseite enttäuschten Verbrauchern dazu, das Plus an Beiträgen von der Kanzlei Pilz prüfen zu lassen. Noch weiter geht die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen: Sie bietet Versicherten für 95 Euro an, die Erfolgsaussichten einer Klage zu testen.

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