Dabei hat sich Ottonova auf rutschiges Terrain begeben. Online-Abschlüsse von privaten Krankenversicherungen sind umstritten. Die Verträge sind in der Regel hoch komplex. Der nicht fachkundige Antragsteller riskiert Fehler bei den Gesundheitsfragen sowie Leistungslücken. Bei falschen Angaben im Antrag kann der Versicherer später geltend machen, dass die sogenannte vorvertragliche Anzeigepflicht verletzt wurde - dann steht im Zweifel der Versicherungsschutz auf dem Spiel. Deshalb empfiehlt selbst der Verbraucherschutz eine umfassende Beratung für PKV-Neukunden. Monika Maria Riesch, Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Versicherungsrecht im Deutschen Anwaltverein, rät davon ab, derart komplexe Policen per Mausklick abzuschließen.

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"...nur Minimal-Leistungssätze getestet"

Der Versicherungsbote hat Ottonova mit dem schlechten Ranking-Ergebnis konfrontiert - und der Digitalversicherer antwortete. Zunächst verweist der Versicherer auf Testergebnisse ebenfalls etablierter Rating-Häuser, in denen man besser abschnitt.

“Ottonova bietet ausschließlich Premium-Tarife an, was die Bewertung unseres First Class Tarifs von 1,1 durch die renommierte Rating-Agentur Assekurata belegt“, berichtet Bernhard Brühl, Aktuar und Vorstand des Versicherers. „Ganz bewusst incentivieren wir in einigen Leistungsbereichen die proaktive Vorsorge wie zum Beispiel beim Zahnersatz durch die professionelle Zahnreinigung, deren Kosten wir einmal pro Jahr erstatten. In der Bewertung von KVPro wurden, soweit wir es einschätzen können, nur die Minimal-Leistungssätze der jeweiligen Tarife berücksichtigt und zur Bewertung herangezogen. Das hieße, dass im Bereich des Zahnersatzes eine Kostenerstattung von 60 Prozent als Grundlage genommen wurde. Unser First-Class-Tarif deckt allerdings 90 Prozent der Kosten ab. Voraussetzung dafür ist die Inanspruchnahme einer professionellen Zahnreinigung im Jahr.“

Mit anderen Worten: Auf welche Leistungen ein Versicherter Anspruch hat, hängt bei den Ottonova-Tarifen auch davon ab, ob er sich gesundheitsbewusst verhält, regelmäßig zur Vorsorge geht etc.. Ein Anreiz auch für die junge, an Selbstoptimierung orientierte Zielgruppe des Versicherers. Das habe der KVpro-Test nicht berücksichtigt und nur die minimal garantierten Leistungen eingerechnet, so die Begründung für das schlechte Ranking-Ergebnis.

Eine professionelle Zahnreinigung sei bei Ottonova zwei mal im Jahr jeweils bis zu 125 Euro vom Tarif abgedeckt, berichtet Vorstand Brühl. Er verwies auf das sich ändernde Verständnis einer Versicherung. So verstehe man sich als „Gesundheitspartner“ und erinnere die Versicherten rechtzeitig, wenn eine Zahnreinigung im Jahr noch nicht erfolgt sei. „Die Diskrepanz zwischen den wahrscheinlich von den Testern kalkulierten 60 Prozent und den in der Praxis bis zu 90 Prozent abgedeckten Kosten bewertet den Tarif so, wie er in der Realität vermutlich nicht eintreffen wird“, sagt Bernhard Brühl.

Standardisierung - und/oder zunehmende Komplexität?

Die Antwort des Ottonova-Vorstandes verweist auf ein allgemeines Problem, das sich sowohl Produkttestern als auch Vergleichsportalen stellt. Nur scheinbar werden die Versicherungsprodukte im Zuge der Digitalisierung standardisierter und einfacher. Stattdessen haben die Kundinnen und Kunden vermehrt die Möglichkeit, online Leistungen hinzu- oder abzuwählen, wenn sie sich für einen Tarif entscheiden.

Zugleich können garantierte Leistungen eines Vertrages stärker als bisher an das individuelle Verhalten des Versicherten geknüpft sein. Beispiel „Pay-as-you-live“-Tarife: Manche Extras eines Vertrages darf der Versicherte nur nutzen, wenn er per App oder Tracker eine gesunde Lebensweise nachweist. Das aber erschwert die Vergleichbarkeit der Tarife und trägt dazu bei, dass sie im Grunde komplexer werden.

Auf dieses Problem macht auch Matthias Brauch aufmerksam, Geschäftsführer der softfair GmbH - und damit des Marktführers unter Makler-Vergleichsprogrammen. „Standardisierung und Vereinfachung bedeutet nicht unbedingt weniger Komplexität in den Tarifen. Gesellschaften wie die Allianz verschlanken zwar ihre Produktfamilien. Gleichzeitig packen sie aber unzählige Wahlmöglichkeiten in einen Tarif. Das Prinzip „Keep it simple“ mag dann für eine Gesellschaft umgesetzt sein. Für uns Vergleicher ist es aber eine echte Herausforderung – dann gibt es auf einmal 500 statt fünf Tarifvarianten“, sagt Brauch in einem Interview für das aktuelle Versicherungsbote-Fachmagazin 02/2018.

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Aber weiß der potentielle Ottonova-Kunde, welche Leistungen an bestimmte Verhaltensweisen geknüpft sind? Im Grunde verkomplizieren derartige Vorbedingungen auch den Versicherungsschutz. Und könnten damit ein zentrales Versprechen gefährden: dass die Tarife einfach und leicht verständlich sind - und ohne vertragliche Fallstricke daherkommen.

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