Geht es nach dem Willen der EU-Kommission, sollen transnationale Konzerne künftig transparenter ausweisen müssen, wo sie ihre Gewinne versteuern. „Country-by-country-reporting“ nennt sich die angedachte Reform. Demnach soll es den Unternehmen künftig schwieriger sein, Erlöse, die sie in den einzelnen EU-Staaten erzielen, in Steueroasen zu verschieben. Und Europa hätte gute Gründe dafür: Laut einem Bericht der EU-Kommission gehen europäischen Staaten durch Steuervermeidung 50 bis 70 Milliarden Euro pro Jahr verloren.

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Doch ausgerechnet die Bundesregierung stellt sich gegen die Pläne für mehr Steuertransparenz. Demnach müsste die Richtlinie auch den EU-Ministerrat passieren, wo sich Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) aber gegen die Reform ausspricht. Das berichtet der Berliner „Tagesspiegel“ am Freitag. Das Europaparlament als dritte beteiligte Instanz hatte das Reformpaket schon vor einem Jahr abgesegnet.

Steuervermeidungstricks mittels Lizenzverträgen

Der Gesetzentwurf der EU-Kommission sieht vor, dass große Konzerne mit einem Umsatz von 750 Millionen Euro künftig ausweisen müssen, in welchen Staaten sie wie viel Gewinn verbuchen und wie sie diesen versteuern. Damit reagiert die EU auch auf jüngste Skandale wie beispielsweise jene Steuervermeidungstricks, die durch die „Panama Papers“ öffentlich geworden sind. Und die gezeigt haben, dass vielen europäischen Staaten Milliardeneinnahmen verloren gehen.

Große transnationale Konzerne wie Amazon, Starbucks oder Apple nutzen demnach Gesetzeslücken, um ihre Gewinne in Steueroasen zu verschieben, wo sie keine oder nur sehr geringe Steuern zahlen. Das funktioniert stark vereinfacht über Lizenzmodelle:

Demnach besitzen die Konzerne Betreibergesellschaften in einer Steueroase, zum Beispiel Luxemburg. Dorthin müssen Tochter- und Schwesterfirmen hohe Lizenzgebühren abführen, wenn sie in anderen europäischen Staaten Gewinne machen. So drücken sie künstlich den Gewinn in jenen europäischen Ländern, wo das Finanzamt stärker zugreift. Sie profitieren hierbei davon, dass auf Verwertungsrechte für die Lizenzen keine Steuern fällig werden.

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Beispiel Amazon: Der Onlinegigant hat in den Jahren von 2006 bis 2014 auf drei Viertel seiner Gewinne in Europa keine Steuern gezahlt, so klagte EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vesthager im Herbst letzten Jahres. Sie warnt vor den Konsequenzen: die großen Konzerne würden sich mit ihren Steuertricks gegenüber kleinen und mittelständischen Firmen Vorteile verschaffen, die brav in ihren Staaten Abgaben zahlen. Das führe dazu, dass diese auch im Wettbewerb um nationale Kunden deutlich im Nachteil seien.

Auch EU-Staaten sind Steueroasen

Doch der Riss geht mitten durch die EU. Nicht nur karibische Operettenstaaten wie Panama oder die Bermudas entpuppen sich als Oasen zur Steuervermeidung, sondern auch Staaten wie Luxemburg, Irland und die Niederlande. Sie fürchten um die Vorteile, die ihnen die Steuervermeidungstricks der Konzerne einbringen. Allein Irland verdankt den fragwürdigen Deals rund 150.000 Arbeitsplätze, schätzen Experten. Illegal sind sie bisher nicht.

Als die EU vor einem Jahr von Apple eine Steuernachzahlung von 13 Milliarden Euro verlangte, unterstützte Irland zunächst eine Klage gegen die Steuernachzahlung vor dem Europäischen Gerichtshof, obwohl die Republik selbst von dem Geld profitiert hätte. Auch das Luxemburgische Finanzministerium stellte sich quer, als der Online-Gigant 250 Millionen Euro nachzahlen sollte. Es sind jene Staaten, die nun teils auch im Ministerrat mauern.

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"System, das von Ländern und Unternehmen akzeptiert wird"

Die Staaten, die sich nun im EU-Ministerrat gegen den Vorstoß stellen, erhalten prominente Unterstützung durch die Bundesregierung - und durch Olaf Scholz. Man müsse „ein effizientes System schaffen, aber eines, das von den Ländern und Unternehmen akzeptiert wird, die wir mit an Bord haben müssen“, zitiert der „Tagesspiegel“ eine Rede, die der Bundesfinanzminister im Wirtschaftsausschuss des EU-Parlamentes hielt. Mit anderen Worten: Scholz will kein System etablieren, dem die betroffenen Konzerne nicht auch selbst zustimmen. Auch die betroffenen EU-Steueroasen will er nicht verärgern.

Der "Tagesspiegel" spekuliert nun über mögliche Ursachen, weshalb Olaf Scholz gegen die EU-Reform mauert. Ein möglicher Grund: Auch die deutsche Industrie profitiert von den Steuervermeidungstricks: Und hat sich bereits gegen die Pläne ausgesprochen. Laut einer OECD-Umfrage sind gleich zwölf Unternehmensverbände und acht Konzerne gegen die neue EU-Richtlinie, darunter einflussreiche Konzerne wie die Allianz und Siemens.

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Zwar fordere auch Scholz, dass die EU "entschlossen gegen Steuerdumping" vorgehe, berichtet der "Tagesspiegel". Aber eben in deutlich abgeschwächter Form, wenn er Unternehmen und Steueroasen mit am Tisch haben will. Dabei könnte auch die Furcht eine Rolle spielen, dass einige Konzerne sich dann möglicherweise ganz aus der EU zurückziehen - zum Beispiel nach Großbritannien. So hatte bereits der britische Finanzminister Philip Hammond mit einem Steuerwettbewerb gedroht, wenn die Brexit-Verhandlungen nicht im Sinne der britischen Regierung ausgehen.

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