Alexander Grimm: Auch hier ist die Antwort einfach: Wenn die Maschine permanent besser entscheidet als ein Mensch, wieso sollte ein Mensch dann die Entscheidung überwachen? Der Mensch verschwindet nicht aus dem Prozess – er konzentriert sich aber auf das wirklich Wichtige. Nämlich sich ernsthaft um den Kunden zu kümmern und ihn in der Schadensituation voll und ganz zu verstehen. Neben all den Vereinfachungen und Effizienzgewinnen durch Technologie, bleibt immer noch Psychologie und Empathie entscheidend, zum Beispiel in der Kommunikation eines negativen Ergebnisses des Schadenprüfungs-Prozesses. Hier ist der Mensch der Maschine (noch) einen Schritt voraus.

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Sind derartige technischen Ansätze auch auf andere Bereiche in der Versicherungswirtschaft übertragbar?

Überall wo Technologie das Leben für den Kunden einfacher machen kann, wird sich Technologie durchsetzen. Wo das ist, entscheidet letztlich der Kunde.

Der japanische Lebensversicherer Fukoku Mutual Life Insurance nutzt seit Januar 2017 das Watson-System des amerikanischen Unternehmens IBM. Der Versicherer habe durch den Software-Roboter fast 30 Prozent der Mitarbeiter in der betreffenden Abteilung eingespart. Wie schätzen Sie das Einspar-Potential ein?

Natürlich wird Technologie auch das Arbeitsleben und die Anforderungen an verschiedene Rollen verändern. Auf exzellenten (!), persönlichen Kundenservice wird – zumindest mittelfristig – auch jede Tech-Company angewiesen sein. Die manuelle Abarbeitung von vordefinierten Abfolgen oder Prozessen, wie sie immer noch in vielen Versicherungsunternehmen an der Tagesordnung ist, muss und wird sich in den nächsten ein bis zwei Jahren verändern. Zum einen Teil aufgrund des Effizienzdruckes, zum andern resultierend aus radikal verändertem Kundenverhalten. Kunden sind einfach nicht mehr bereit, drei Wochen auf die Bearbeitung eines 250-Euro-Schadens oder die Änderung von Adressdaten zu warten.

Auch die Zurich setzt 2017 künstliche Intelligenz bei der Schadenbearbeitung ein. Durch die Beschleunigung habe der Versicherer nach vier Monaten 40.000 Arbeitsstunden einsparen können. Könnten andere Unternehmen vergleichbare Ziele erreichen?

Wenn die hier eingesparten Arbeitsstunden dafür eingesetzt werden, dass Versicherungen wirklich kundenorientiert arbeiten, kann das sogar langfristig Arbeitsplätze in der Branche sichern. Viele Versicherer machen aus unserer Sicht aber den Fehler, Technologie nur aus der Effizienzperspektive zu betrachten. Dabei kann Technologie das Leben - gerade in der komplexen Versicherungswelt - für viele Kunden deutlich einfacher machen. Ohne Investition in Technologie können die veränderten Anforderungen des Kunden nicht bedient werden, und einige Marktteilnehmer werden - teilweise sehr kurzfristig - verschwinden. Das haben wir auch schon in anderen Branchen beobachtet.

Welche Auswirkungen wird diese Entwicklung auf den Arbeitsmarkt in der Branche haben? Wieviele Arbeitsplätze sind dadurch bedroht?

Wir glauben, dass es eine starke Veränderung in der Versicherungsbranche geben wird, die auch den Arbeitsmarkt betrifft. Viele Jobs im Vertrieb und Backoffice werden in ihrer jetzigen Form wegfallen, andere Jobs in den Bereichen User Experience (UX), Design, Data Analytics und IT werden entstehen. Es wird generell einen starken Shift der Organisation in Richtung Technologie geben und in Zukunft werden wir (hoffentlich) mehr CEOs sehen, die aus der digitalen Welt / Technologie kommen.

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Das Gespräch führte Björn Bergfeld

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