Die Versicherungswirtschaft arbeitet nach Regeln, die Wissen und Abläufe standardisieren. Das ist keine neuzeitliche Erfindung, wie Prof. Dr. Hans-Peter Schwintowski weiß, der an der Humboldt-Universität zu Berlin den Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Handels-, Wirtschafts- und Europarecht inne hat: „Gleichförmige Vertragsbedingungen sind dort der klassische Fall.“

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Versicherer sind mit Fällen konfrontiert, die für den Einzelnen und sein Leben einzigartig sein mögen – das Eigenheim, das Auto, der Hund –, aber sich aufgrund ihrer Ähnlichkeit auf eine gemeinsame Struktur zurückführen lassen.

Legal Tech macht es möglich Ungenauigkeiten im Recht aufzuzeigen.Legal Tech macht es möglich Ungenauigkeiten im Recht aufzuzeigen.Prof. Dr. Hans-Peter Schwintowski hält eine Professur an der Humboldt-Universität zu Berlin am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Handels-, Wirtschaft- und Europarecht. Außerdem hält er Anteile an der CODUKA UG.(c) CODUKA UG, Prof. Dr. Hans-Peter SchwintowskiSchon im Alten Rom, so Schwintowski, konnten sich Menschen gegen Feuerrisiko und Sterberisiko versichern, noch älter ist die Versicherung von Transportkarawanen. „Dennoch hat die Standardisierung im Versicherungswesen mit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erst recht spät eingesetzt“, sagt Schwintowski.

Viele Umstände des täglichen Lebens wie des Arbeitslebens sind ähnlich, lassen sich also aufgrund gemeinsamer Merkmale zusammenfassen, sodass für sie der immer gleiche Ablauf gilt. Auch Gesetze, rechtliche Regeln und Normen, sind nichts anderes als Standardisierung. Als Standardisierer wirken Anwälte wie Gerichte. Sie führen all die komplexen Konstellationen des täglichen Lebens auf eine Struktur zurück, die transparent und vergleichbar ist.

Mit der Digitalisierung erhält die Standardisierung eine neue Ebene. Mit dem Schlagwort der Digitalisierung verbindet sich gemeinhin die Vorstellung von mühseligen Fabriktätigkeiten, die Roboter erledigen.

Dabei hat die Digitalisierung schon lange auch die Bürowelt erobert: Weder die Lohnbuchhaltung noch das Briefeversenden möchte heute noch jemand in allen Schritten per Hand erledigen. Dies wäre nicht nur aufwendig, es wäre gleichsam fehleranfälliger.

Kommen nun Digitalisierung und Standardisierung zusammen, dann treffen große Datenmengen auf diese bereits geebnete Struktur, die Ordnung in die Wechselfälle des Lebens gebracht und sie vergleichbar gemacht hat. Elektronische Datenverarbeitung erlaubt ein anderes Arbeiten mit dieser Ordnung: „Durch die Verarbeitung von großen Datenmengen lässt sich die Standardisierungsarbeit von Anwälten und Gerichten weitreichend unterstützen. Damit wird einerseits Arbeit abgenommen, andererseits Zeit für die Fragen geschaffen, für die ein Computer kein Ansprechpartner sein kann. Beides zusammen erhöht die Qualität der Entscheidungen und kann den Prozess der Entscheidungsfindung beschleunigen“, erklärt Schwintowski.

Ihm zufolge verbessert sich mit Computern sogar die bereits etablierte Ordnung: „Sie wird klarer, nachvollziehbarer, in sich stimmiger.“ Denn in einem Punkt sind Rechner dem menschlichen Hirn überlegen: „Sie arbeiten schneller, zwar sind Standards vergleichbar. Dennoch kommt unser Kopf nicht mehr hinterher, wenn diese Fälle millionenfach anfallen. Der Computer hingegen kann das.“

Das birgt wiederum einen weiteren Vorteil: „Der Computer kann uns zeigen, wo wir Fehler machen. Wir können das Ganze verbessern, wenn wir Ungenauigkeiten ausmerzen.“ Die wesentlichen Konsequenzen der Digitalisierung im Rechtssystem betreffen also nicht nur die Quantität der Fälle, sondern auch die Qualität: „Diese ist viel höher in Hinblick auf Entscheidungen und Verfahren, vor allem, weil sie von Anfang an sehr viel durchsichtiger und auch viel preiswerter sind.“ Nun ist es schwierig zu klären, was gutes Recht und wann Recht richtig ist. Schwintowski will dies auch ganz sicher nicht festlegen. Aber er weiß: „So viel lässt sich bestimmt sagen: Gutes Recht ist dasjenige, das denselben Sachverhalt gleichförmig behandelt. Somit lässt sich Willkür ausschließen.“

Auch hierzulande kommt es vor, dass vor Gericht derselbe Sachverhalt eben nicht gleichförmig behandelt wird. Schwintowski gibt zwei Beispiele, das erste ist das Schmerzensgeld: „Bei gleichen Verletzungen gibt es in der Bundesrepublik unterschiedliche Schmerzensgelder. Die eine Instanz spricht 50.000 Euro Schmerzensgeld zu, die andere 25.000 Euro – oder umgekehrt. Das ist eine Folge einer sehr ungenauen Norm im Gesetz, die es offenlässt, was mit Schmerzen eigentlich gemessen und was mit Schmerzensgeld entschädigt wird.“

Im zweiten Beispiel geht es ebenfalls um Geld: „Auch im Strafrecht gibt es verschiedene Tagessätze für die gleiche Straftat. Solche Abweichungen empfinden die Menschen als Willkür.“

Bleibt die Frage, was genau hier die Digitalisierung leisten kann. Schwintowski antwortet mit Verweis auf die Tagessätze im Strafrecht „Viele Richterinnen und Richter wissen gar nicht, dass es diese Abweichungen gibt. In Zukunft werden sie es wissen und dann werden sie ihre Entscheidung entsprechend begründen müssen. Denn so etwas wird durch elektronische Systeme überprüfbarer.“

Digitalisierung kann also große Datenmengen bewältigen und macht es so möglich, gleiche Dinge in gleicher Form zu behandeln und Fehler aufzuspüren. Außerdem – das klang bereits an – ist sie preiswerter. Das wiederum ist auch für den Rechtsschutz relevant, vor allem bei relativ einfachen Strukturen, wie sie im Bereich von Bußgeldern zu finden sind. Wird ein Bußgeld verhängt – zum Beispiel wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung –, wägen die Betroffenen im Normalfall ab, ob sie damit zum Anwalt gehen. Dieser kostet nämlich, im Allgemeinen in viel größerer Höhe als die des Bußgelds. Das Risiko, dabei Geld zu verlieren, ist hoch. Das ist anders, wenn man per Maske im Internet nur ein paar Fakten in eine Datenbank eingibt. Schwintowski fasst zusammen: „Das kostet nicht viel. Und das wird den Rechtsschutz erheblich verbessern.“

Legal Tech verbessert den Zugang zum Recht, nicht zuletzt über die Kostenfrage. Mit diesem Prinzip arbeitet die CODUKA UG, an der sich Schwintowski aus Überzeugung direkt nach Gründung in kleinem Umfang beteiligt hat. Sie betreibt derzeit das Portal Geblitzt.de, wo Betroffene – ohne zusätzliches Geld dafür ausgeben zu müssen – Bußgeldverfahren prüfen lassen können. Weitere Portale, wie Gefeuert.de, werden in Zukunft dazukommen.

Geschäftsführer Jan Ginhold erläutert: „Zwar besteht das Recht auf diese Prüfung. Es ist aber nicht umsetzbar, wenn es finanziell nicht sinnhaft ist, weil für ein Bußgeld in Höhe von vielleicht 80 Euro mehrere 100 Euro an einen Anwalt gezahlt werden müssen.“ Nunmehr ist die Situation komplett gewandelt: „Man kann sich nicht verschlechtern, eher verbessern, wenn man jeden einzelnen Bußgeldbescheid überprüfen lässt.“

Legal Tech betrifft zunächst die leicht standardisierbaren Verfahren, wie eben die Bußgeldfälle. In der nächsten Entwicklungsstufe von Legal Tech werden Ginhold zufolge die Abläufe in Großkanzleien standardisiert. „Und schließlich wird die Software Arbeiten übernehmen, die derzeit ein Anwalt erledigt. Selbst das Erstellen von Schriftsätzen und das Formulieren von Gedanken sind letztlich ein Zusammenspiel von Datensätzen.

Der Anwalt hat das BGB im Kopf und setzt auf dieser Grundlage Schreiben auf – das kann irgendwann auch eine Software“, so Ginholds Überzeugung. Braucht es dann irgendwann auch keine Anwälte mehr? Die Frage beantwortet Ginhold entschieden: „Zumindest wesentlich weniger.“ Auch in der Versicherungsbranche wird Legal Tech für Veränderungen sorgen. Derzeit wird dort noch mit Paketen gearbeitet, die nicht unbedingt individuell auf den Einzelnen zugeschnitten sind, wie Hans-Peter Schwintowski sagt: „Da wird heute zu wenig differenziert und das führt zu Frust, wenn Versicherungsnehmern das Paket nicht einleuchtet. Wenn sie gar nicht entscheiden können, was im Paket alles enthalten sein soll, sondern Sachen mitversichert sind, die sie nicht betreffen.“

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Auch Rechtsschutzversicherungen könnten sich verändern. Erlaubt Legal Tech die kostenlose Prüfung von Bußgeldbescheiden ohne eine solche Versicherung und ohne Angst vor einer Prämienerhöhung, könnten sich die Pakete und die Leistungen anpassen. Jan Ginhold prognostiziert: „Man zahlt dann nicht mehr nach Gutdünken einen Monatsbeitrag, sondern man zahlt erst, wenn man das Problem hat. Dieser Ansatz ist fairer und direkter.“

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