Versicherungsbote: Unser Thema ist die private Krankenversicherung und Beitragserhöhungen. Verbraucherschützer warnen teils vor der „Armutsfalle PKV“, weil die Prämien explodieren würden. Ist das aus Ihrer Sicht Panikmache oder auch ein Stück weit begründet?

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Gerd Güssler ist Versicherungsberater aus Freiburg mit mehr als 25jähriger Berufserfahrung zu unabhängigen Vergleichen der privaten und gesetzlichen Krankenversicherung. Zuvor war er unter anderem als Versicherungsmakler aktiv. Er gründete die KVpro.de GmbH, die unter anderem die Vergleichssoftware Lux anbietet.Gerd Güssler: Nicht alles ist Panikmache, aber das meiste. Man spricht gern bei den Privatversicherern von Beitragserhöhungen. Es ist korrekt, dass die Prämien steigen, denn man hat unterschiedliche Faktoren, die das bedingen. Aber auch eine gesetzliche Krankenversicherung steigt: weil sich jährlich die Beitragsbemessungsgrenze ändert, weil sich die Zusatzbeiträge ändern, weil sich die Leistungen verändern, auch beschnitten werden. Wenn man die Prämienanstiege für den Arbeitnehmer gegenüberstellt, dann haben wir in den letzten zehn Jahren bei den gesetzlichen Krankenkassen pro Jahr eine durchschnittliche Beitragssteigerung von fünf Prozent, sofern wir allein auf den Arbeitnehmeranteil schauen und bedenken, dass er den Zusatzbeitrag selbst zahlen muss.

Der zweite Punkt betrifft die Frage: Was für einen Beitrag habe ich in der PKV? Wenn ich einen zu günstigen Beitrag für meinen Tarif zahle, weil manche Versicherer mit „Dumping-Angeboten“ Neukunden lockten, dann ist die Anhebung gefühlt prozentual stark. Und damit verbreiten bestimmte Medien Panik, sagen aber nicht, was eine gleichwertige gesetzliche Krankenkasse kosten würde. Oder man nimmt einen qualitativ hochwertigen PKV-Schutz, der auch die entsprechende Prämie hat, und schaut sich da die Beitragssteigerung an. Denn es geht auch anders! Mein eigenes Beispiel, Gerd Güssler: ich bin 23 Jahre PKV-versichert bei demselben privaten Krankenversicherer und im gleichen Tarif, genieße einen hochwertigen Schutz und habe eine Durchschnittsanpassung von vier Prozent im Jahr.

Das Problem betrifft besonders ältere Versicherungsnehmer, die stärker von Prämiensprüngen in der privaten Krankenversicherung bedroht sind. Wie nehmen Sie dies in Ihrer Beratungspraxis wahr? Was würden Sie einem solchen älteren Versicherten raten, der einen hohen Prämienanstieg verkraften muss?

Güssler: Dieses Thema ist medial aufgebauscht. Es ist eher eine durch die Schlagzeilen gemachte Angst, dass die Leute bei den Prämien, die sie heute bezahlen – also 500 oder 600 Euro Beitrag -, davon ausgehen, dass sie im Alter eine Prämienexplosion von 40 Prozent in ihrem Tarif verkraften müssen, oder welche astronomische Zahlen sonst noch so genannt werden. Dann bekommen die Verbraucher tatsächlich Angst.

Um das zu betonen: Die private Krankenversicherung funktioniert. Aber sie funktioniert nur dann, wenn Sie passend kaufen und solange Sie als Verbraucher wissen, welche Rechte und Handlungsoptionen Sie im Alter haben. Den Versicherten fehlt es oft schlicht an Informationen, was bezüglich Tarifoptimierung und -wechsel möglich ist. Die Versicherten, die in meine Beratung kommen, kommen tatsächlich in der Regel, weil sie Angst vor Beitragsexplosionen haben. Wenn man dann mit ihnen spricht, dass sie später Zugang zum Standardtarif haben, dass der Arbeitgeberanteil nicht unbedingt ausgeschöpft ist, dass es Beitragsentlastungskomponenten gibt, wie sich die GKV entwickelt, bringt das Klarheit und nimmt den Verbrauchern die Angst vor Prämiensprüngen. Und dann wird auch ein Zeitpunkt fest, ab wann Handlungsoptionen klug zu setzen sind. Das ist in der Regel mit Beginn des Ruhestands der Fall.

Aber die Prämien in der PKV steigen nun auch etwas stärker an, weil die Versicherer niedrigere Zinsen anwenden müssen. Hier wäre es aus meiner Sicht fair, Ross und Reiter zu nennen: dass eine PKV mit einem Problem umgehen muss, das sie selbst nicht verursacht hat, nämlich einer Nullzinspolitik. Die Sparer und Versicherten müssen ganz persönlich die Nullzinspolitik der Notenbanken ausbaden, weil nun Zinseinnahmen fehlen, die als Beitrag verwendet werden.

Die Rückkehr in die GKV ist für viele Privatversicherte oft keine Option. Oder doch empfehlenswert, wenn es sich anbietet?

Güssler: Bezüglich der Rückkehr zu einer Krankenkasse gibt es einen wichtigen Punkt zu beachten. Den Leuten wird oft verschwiegen, dass alle Einnahmen im Ruhestand zu verbeitragen sind, wenn ich freiwilliges Mitglied werde. Das kann je nach Einnahmen höher ausfallen als in der PKV oder im Standardtarif der PKV.

Hierbei gilt es zusätzlich zu bedenken, dass es Leute gibt, die in die private Vollversicherung gegangen sind, weil eine gesetzliche Krankenkasse in ihrem Einzelselbstständigen-Dasein im Vergleich zum Umsatz zu teuer war und die auch kaum Rente haben.

Das ist aber kein Problem der privaten Krankenversicherung. Das ist ein Problem des einzelnen Bürgers. Eine Antwort der gesetzlichen Krankenkasse fehlt hier, dass man auch die geringeren Einkommen anders verbeitragt, nicht nur mit dem halben Höchstsatz. Wenn da die GKV eine Antwort hätte, dann müssten die „einfachen Solo Selbstständigen“ nicht zwingend in die einfachen Tarife der PKV und verbleiben bei den Kassen. Auf die Privatversicherer zu schimpfen, ist der falsche Ansatz.

Das ist ein Problem, das ich auch im Bekanntenkreis beobachte. Selbstständige mit kleinen Einkommen, oft in der Kreativszene, bietet die gesetzliche Krankenversicherung keinen preiswerten Schutz. Sie müssen auch den Arbeitgeberanteil aufbringen. Da wird wenig Rücksicht auf das Einkommen genommen: Oft sind diese mit den Kassenbeiträgen überfordert. Sehen Sie hier Reformbedarf? Dass man z.B. sagt, man muss auch die Krankenkassen zwingen Selbstständige preiswerter zu versichern?

Güssler: Ich würde andersrum argumentieren. Zum einen gibt es bereits die Regelung, dass Selbstständige mit kleinem Einkommen die halbe Bezugsgröße als Bemessungsgrundlage wählen können. Und wenn man gerade startet und den Gründerzuschuss in Anspruch nimmt, sind weitere Erleichterungen möglich, so dass man bei circa 276 Euro inklusive Krankengeld (KG) mit Gründungszuschuss beziehungsweise Härtefallregelung und bei 414 Euro inkl. KG beim Mindestbeitrag und circa 880 Euro beim Höchstsatz rauskommen würde.

Mir stellt sich hier eher die Frage: Ist die Person geeignet, in die Selbstständigkeit zu gehen? Oder ist das eine Notlösung, um nicht in Hartz IV oder die Arbeitslosigkeit zu rutschen? Das ist vor allem ein Dilemma der sogenannten Soloselbstständigen. Also für kleine Unternehmer ohne eigene Angestellte wie Taxifahrer oder auch Betreiber eines Online-Shops, die -warum auch immer- nicht Hartz IV in Anspruch nehmen, sondern den Ausweg Selbstständigkeit wählen. Das sind häufig auch jene Personen, die sich für eine PKV entscheiden, weil selbst der halbe Höchstsatz in der GKV vom Beitrag her zu teuer ist. Der Reformbedarf wäre eher, zu schauen, was man den Leuten in Hartz IV alles wegnimmt. Die Betroffenen müssen ihr ganzes Privatvermögen einsetzen, wollen sie entsprechende Unterstützung erhalten. Da geht mehr verloren, als das Krankenversicherungs-System ausgleichen kann.

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Wenn man Reformen anpeilt und die Selbstständigen bei den Krankenkassen bleiben sollen, wäre darüber hinaus eine Art Stufensystem der Verbeitragung denkbar. In der PKV ist das sauber auskalkuliert, aber in der GKV würde der Selbstständige auf die Kosten anderer mitleben, wenn die Beiträge niedriger angesetzt würden. Das ist so und ließe sich nicht vermeiden. Der Selbstständige muss sich wirklich überlegen, ob sein Businessplan tragfähig ist und nicht nur sagen: „Die Beiträge sind zu hoch“. Denn manche straucheln durch das ganze Leben und hängen im Ruhestand wieder in den öffentlichen Systemen. Es geht hier auch um die Eigenverantwortung. Die Gemeinschaft ist die Notlösung und soll nicht von der Eigenverantwortung entbinden. Nur für Bedürftige, das war mal die Grundidee von Bismarck bei Einführung der sozialen Krankenversicherung.

Teil 2 des Interviews lesen Sie am Donnerstag beim Versicherungsboten. Die Fragen stellte Mirko Wenig.

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