Will man das Durchschnittsalter der Mitarbeiter bei Versicherungsgesellschaften in Popkultur übersetzen, gibt es zunächst eine gute Nachricht: im Schnitt sind die Beschäftigten der Branche jünger als Campino von den Toten Hosen, die Musiker von Metallica oder Oasis. Deutlich jünger sogar, denn während genannte Musiker der Generation Ü50 angehören, pegelt sich das Durchschnittsalter der Beschäftigten in Versicherungsunternehmen bei knapp 45 Jahren ein, wie aus Zahlen des Arbeitgeberverbandes der Versicherer (AGV) hervorgeht. Dennoch plagen die Branche ernste Nachwuchssorgen: nur etwa jeder zehnte Mitarbeiter ist 30 Jahre oder jünger, so verrät die Statistik auch.

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4.200 neue Azubis – bei insgesamt 207.000 Beschäftigten

Diese Zahlen sollten man im Hinterkopf haben, wenn der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) nun als Erfolg wertet, dass die Zahl der Azubis bei Versicherern in diesem Jahr konstant gehalten werden soll. „Ungeachtet sinkender Beschäftigtenzahlen wird die Versicherungsbranche in diesem Jahr mindestens so viele Lehrstellen anbieten wie 2016“, heißt es in einem Pressetext des GDV. Michael Gold, Geschäftsführer des Arbeitgeberverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (AGV), nennt konkrete Zahlen: „Ich rechne mit rund 4.200 neuen Ausbildungsplätzen in den Unternehmen und Vermittleragenturen. Das würde dem Vorjahresniveau entsprechen“, so Gold.

4.200 neue Azubis – das sind weniger als zwei Prozent aller Mitarbeiter in Versicherungsunternehmen, die Auszubildenden mit eingerechnet. Denn zum Jahresende 2016 beschäftigten die Versicherer ziemlich genau 207.200 Personen, berichtet der Arbeitgeberverband. Zum Vergleich: Allein das deutsche Handwerk hat im letzten Jahr mehr als 70.000 Ausbildungsplätze vergeben. Laut Statistischem Bundesamt haben 2016 bundesweit insgesamt rund 511.000 junge Frauen und Männer eine Ausbildung oder Lehre begonnen.

Azubi-Zahlen bei Versicherern sinken seit 2010

Wie sind die aktuellen Zahlen einzuschätzen? Der GDV betont, dass die Versicherungsbranche immer noch über dem bundesweiten Schnitt ausbildet. Zum Jahresende 2016 beschäftigten die Versicherer und von ihnen mitfinanzierten Agenturen in der Summe 13.700 Azubis. Die Ausbildungsquote – der Anteil der Lehrlinge an der Gesamtbeschäftigung – hat nach AGV-Angaben bei 6,5 Prozent gelegen. Über alle Branchen hinweg kamen 2015 auf 100 Beschäftigte durchschnittlich 5,1 Auszubildende, so zeigen Berechnungen des Soziologischen Forschungsinstituts Göttingen. Ausbildungsstellen, die nicht direkt von Versicherern und ihren Agenturen vergeben werden, sondern zum Beispiel von Maklerbüros, sind hierbei noch nicht berücksichtigt.

Dennoch: In den letzten Jahren boten die Assekuranzen immer weniger jungen Menschen eine Ausbildungsstelle. Das zeigt sich, wenn man die Agenturen herausrechnet: Seit 2010 sinkt die Zahl der Azubi-Stellen bei den Versicherern jedes Jahr leicht, von damals noch 13.300 Azubis auf nun 11.400. Das bedeutet einen Rückgang um circa 14,3 Prozent. Insofern könnte man sagen, dass der leichte Abwärtstrend der letzten Jahre nun zumindest gestoppt werden kann, wenn die Zahl der Azubis konstant bleibt. Doch reicht das, um das Nachwuchsproblem zu lösen? Zur Erinnerung: Nur circa jeder zehnte Mitarbeiter bei Versicherern ist 30 Jahre oder jünger.

Klientel für Ausbildungsberufe schrumpft

Zukünftig könnte sich für die Versicherungsbranche das Problem stellen, überhaupt noch geeignete Schulabgänger zu finden. Das wissen auch die Versicherer selbst. Das klassische Klientel für Ausbildungsberufe schrumpfe, schreibt der GDV in seinem Pressetext. Laut Prognose des Bundesinstituts für Berufsbildung wird die Zahl der nichtstudienberechtigten Schulabgänger von derzeit gut 500.000 bis zum Jahr 2025 auf 450.000 sinken. Die Gründe: Zum einen gebe es insgesamt weniger Schüler, zum anderen lege ein größerer Anteil von ihnen das Abitur ab, um im Anschluss zu studieren.

Aufhorchen ließ diesbezüglich vor wenigen Wochen eine Umfrage der Industrie- und Handelskammern unter rund 800 Finanzdienstleistern. Demnach haben Versicherer und Banken tatsächlich zunehmend Probleme, geeignete Bewerber für Lehrstellen zu finden. Gab dies 2015 nur knapp jedes fünfte Unternehmen zu Protokoll (23 Prozent), waren 2016 schon 29 Prozent betroffen. Leider weist die IHK-Studie nicht aus, wie sich der Anteil auf Versicherungen und Banken verteilt.

An der Ausbildungsvergütung können die Nachwuchssorgen nicht liegen: Mit einem durchschnittlichen Bruttolohn von 1.028 Euro im Monat zählt der Beruf des Versicherungskaufmannes bzw. der Kauffrau zu den bestbezahlten Ausbildungsberufen in Deutschland, so geht aus Zahlen des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) hervor.

Das Ausbildungsniveau steigt

Die Branche versucht auf das Problem zu reagieren, indem sie das Angebot an Ausbildungs- und Studienoptionen erweitert. Um Talente zu gewinnen, bieten die Versicherer immer mehr duale Studienplätze an, berichtet der GDV. Das heißt, die Schulabgänger können eine praktische Ausbildung im Versicherungsunternehmen mit einem Studium verbinden, zum Beispiel der Mathematik oder Betriebswirtschaften. Auch werbe die Branche verstärkt um neue Bewerbergruppen wie Studienabbrecher.

Häufigster Ausbildungsberuf bei Versicherern sei weiterhin mit einem Anteil von rund 85 Prozent der Versicherungskaufmann bzw. -kauffrau. Aber deren Anteil sinke beständig, dafür werden verstärkt andere Berufe wie der Informatiker gesucht. Insgesamt sei das Ausbildungsniveau in der Versicherungsbranche in den letzten Jahren gestiegen, berichtet AGV-Vorstand Michael Gold. Waren 2010 erst 7,8 Prozent der Versicherungs-Azubis Teilnehmer eines dualen Studiengangs, habe der Anteil 2015 bereits bei 12,9 Prozent gelegen.

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Doch das Problem, geeigneten Nachwuchs zu finden, liegt vielleicht weniger bei den Ausbildungsbedingungen. Ein hoher Arbeits- und Vertriebsdruck in den Unternehmen, lange Arbeitszeiten und das schlechte Image der Branche könnten noch eher Schulabgänger davon abhalten, den Weg in die Versicherungsbranche zu wählen. Das gilt besonders für den Ausschließlichkeitsvertrieb der Versicherer, der noch größere Nachwuchssorgen hat: bei den Vertretern nähert sich das Durchschnittsalter den 50 Jahren an. Auch hier gibt es Zahlen, die nachdenklich stimmen: Laut der aktuellen Strukturanalyse des Bundesverbandes Deutscher Versicherungskaufleute (BVK), an der sich mehrheitlich Vertreter beteiligten, erhoffen sich 83 Prozent der Befragten eine „höhere Zufriedenheit am Arbeitsplatz“ - selbst dann, wenn sie ihrem Unternehmen treu bleiben wollen (der Versicherungsbote berichtete).

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