Dr. Michael Kemmer, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Deutscher Banken. Fotoquelle: Bundesverband Deutscher Banken e.V. Sind es in Deutschland nicht regulierungswütige Bürokraten, die das Bargeld abschaffen wollen - Sondern die Banken selbst, die bewirken, dass der Bürger immer seltener an seine Scheine kommt? Tausende Filialen wurden in den letzten Jahren geschlossen und so vermeintlich ganze Regionen vom Banknetz getrennt (der Versicherungsbote berichtete). Zum Beispiel im Umland von Leipzig: Hier werden Kommunen nur noch mit einem Sparkassen-Bus bedient, der einmal pro Woche Bargeld aufs Land fährt und vor allem Senioren mit frischen Scheinen versorgt.

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„Nicht unsere Aufgabe, Kunde vom Bargeld abzubringen“

Zu der Frage, ob Banken die Totengräber des Bargeldes sind, musste sich nun indirekt Michael Kemmer positionieren, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Bankenverbandes. „Wenn der Kunde mit Bargeld zahlen möchte, sehen wir es nicht als unsere Aufgabe an, ihn davon abzubringen“, sagte Kemmer der Deutschen Presse-Agentur (dpa-AFX). „Das ist bei uns anders als in den skandinavischen Ländern: Die Leute lieben das Bargeld, sie zahlen gerne noch mit Scheinen und Münzen – das hat in Deutschland eine kulturelle Tradition”, stellte Kemmer fest.

Laut Kemmer ist die Zahl der Geldautomaten konstant geblieben. Es gebe keinen Rückgang, dafür sinke die Zahl der Filialen weiter. Und tatsächlich: Nach Angaben der Statistischen Bundesbank gab es im Jahr 2015 deutschlandweit 57.850 Bankautomaten: ein Plus von 4.500 gegenüber dem Vorjahr. Es wurden also sogar mehr Abhebe-Möglichkeiten geschaffen statt gestrichen. Und das, obwohl die Zahl der Filialen regelrecht einbrach. Gab es im Jahr 1997 noch 60.000 Bankfilialen in Deutschland, sind laut Bankenverband knapp 32.000 übrig geblieben.

In vielen Dörfern und Kommunen wird das freilich anders wahrgenommen. Welt Online berichtet von Ortsbürgermeistern und Dorfbewohnern, die Initiativen gegründet haben, weil es in ihrer Region plötzlich keinen Geldautomaten mehr gibt. Und wenn in der Großstadt ein neuer Automat eröffnet wird, aber auf dem Land einer geschlossen, nützt das jenen ländlichen Regionen, aus denen sich Banken immer mehr zurückziehen, nichts. Sie werden vom Bargeld abgekoppelt.

Beispiel Nieder-Liebersbach im Odenwald: In dem 2.000-Seelen-Städtchen wurde am 1. März der letzte Geldautomat abgebaut. Die nächste Abhebemöglichkeit ist nun in einer anderen Gemeinde, die viele ältere Bürger nur mit dem Bus erreichen können. Die Fahrtzeit dorthin: Zwei Stunden. In dem Ort hatte sich extra eine Unterschriften-Kampagne gegründet, damit weiter frisches Bargeld abgehoben werden kann, 400 Unterschriften eingesammelt. Die Sparkasse zeigte sich nicht gesprächsbereit.

„Bargeldhaltung für die Banken sehr teuer“

“Klar ist auch, dass die Bargeldhaltung für die Banken sehr teuer ist”, erklärte Kemmer. Der Bankenlobbyist führt aus: “Es fallen Kosten für Mitarbeiter, Anschaffungskosten für Geldautomaten, Zählmaschinen und Kosten für die Echtheitsprüfung, Versicherung et cetera an”. Und so könnte ihre Zahl in den nächsten Jahren tatsächlich weiter verringern. Letztlich sei es aber die Entscheidung des Kunden, ob er bargeldlose Zahlungsmittel nutze oder lieber bar zahle. “Wir wollen da niemanden bevormunden.”

Nach Recherchen von Welt Online kostet es die Banken rund 20.000 Euro, eine einfache Maschine für das Abheben von Bargeld anzuschaffen. Da sind die Kosten für den Unterhalt noch nicht eingerechnet. Hinzu kommen jährlich circa 10.000 Euro an laufenden Aufwendungen – für Wartung, Versicherung und Miete.

Geld von der Supermarktkasse

Aber es gibt eine Alternative zum Automaten: die Supermarktkasse. Immer mehr Sparkassen und Banken kooperieren mit Supermärkten und Tankstellen, um die Menschen mit frischen Scheinen zu versorgen. Wenn die Leute dort einkaufen, können sie sich an der Kasse Bargeld auszahlen lassen: Die Summe wird dann zusammen mit dem Einkaufswert vom Konto abgebucht.„Cash Back“ oder "Cash in Shop" heißt das Verfahren, das zuvor bereits von Direktbanken ohne eigenes Filialnetz wie DKB oder N26 erprobt wurde. Zum Einsatz kommt es zum Beispiel bei Rewe, Edeka, Penny, Netto und Aldi Süd, die entsprechende Kooperationen mit Geldhäusern gestartet haben. Gerade die Abbuchung an der Tankstelle ist aber oft mit einer extra Gebühr verbunden.

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Dass die Deutschen nach wie vor am liebsten mit Bargeld zahlen, zeigt ebenfalls die Statistik. 78 Prozent aller Zahlungen erfolgen in Deutschland noch immer bar, berichtet Kemmer laut dpa-AFX. Zwar ist auch diese Zahl rückläufig: 2008 waren es noch 82 Prozent. Aber drei von vier Kunden zahlen ihre Einkäufe bar und eben nicht mit Karte: für viele Bürger auch ein Stück Freiheit.

dpa-AFX

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