Staatliche Soforthilfen nach Naturkatastrophen wird es zukünftig nur noch geben, wenn sich die Betroffenen um eine Elementarschadenversicherung bemüht haben. Darauf haben sich am 1. Juni die Bundesländer bei einem Treffen in Berlin geeinigt, wie die Deutsche Presse-Agentur (dpa) berichtet. Künftig könnten nur noch Versicherte nach Naturkatastrophen mit finanzieller Hilfe rechnen, denen der Abschluss einer Versicherung unmöglich gewesen sei, erklärte hierzu Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich laut dpa.

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Stanislaw Tillich: „Man kann Unternehmen und man kann Wohnhäuser versichern“

„Wer sich nicht versichert hat - und das aus wirtschaftlichen Gründen nicht gemacht hat, obwohl es durchaus möglich gewesen wäre - der wird zukünftig vom Staat keine Hilfe erfahren können“, wird Stanislaw Tillich zitiert. Man dürfe die Augen vor der Gefahr durch Naturkatastrophen nicht verschließen - nach dem Motto „das Wasser ist weg und das Vergessen setzt ein“, warnte Tillich. „Man kann Unternehmen und man kann Wohnhäuser versichern.“

Der Hintergrund: Eine private Wohngebäudeversicherung bietet allein keinen Schutz für Naturgefahren wie Hochwasser. Hierfür muss eine extra Elementarschadenversicherung abgeschlossen werden, die häufig als Zusatzbaustein zu einer Wohngebäude-Police, aber auch separat angeboten wird. Haushalte können sich mit einer solchen Police gegen Überschwemmung, Rückstau, Erdbeben, Erdsenkung oder Erdrutsch, Schneedruck, Lawinen und sogar einen Vulkanausbruch absichern lassen.

Beratungsdokumentation ist wichtig, wenn Hausbesitzer keinen Schutz finden

Wie aber verhält es sich mit jenen Personen, die keinen oder nur einen teuren Schutz gegen Elementarschäden abschließen können? Gerade in der höchsten Überschwemmungs-Risikozone Zürs4 wird Hausbesitzern unter Umständen finanzierbarer Versicherungsschutz verwehrt, so ergab eine nicht repräsentative Stichprobe der Verbraucherzentrale Sachsen. Trotz mehrfacher anonymer Anfragen erhielten Hausbesitzer für Hochrisiko-Zonen etwa für flussnahe Häuser in Grimma, das bei beiden großen Flutkatastrophen in Sachsen 2002 und 2013 überschwemmt wurde, kein Angebot.

In diesem Fall sollten die vergeblichen Anfragen bei den Versicherern mit dem Beratungsprotokoll eines Versicherungsvermittlers dokumentiert werden, um bei Hochwasser doch Anrecht auf Staatshilfen zu haben. Für Vermittler könnte hier ein Haftungsrisiko lauern: Sie müssen ihre Kunden über das Risiko aufklären, im Falle einer Naturkatastrophe keine staatliche Unterstützung mehr zu erhalten, wenn sie sich nicht das Bemühen um eine Elementar-Police nachweisen können.

Verbraucherzentrale Sachsen: Pflichtversicherung noch nicht vom Tisch

Die Verbraucherzentrale Sachsen tritt trotz der aktuellen Einigung der Bundesländer weiterhin für eine Pflichtversicherung gegen Elementarschäden ein. Demnach müssten alle Hausbesitzer eine entsprechende Police abschließen – ganz gleich, ob sie bedroht sind oder nicht. Weil das Risiko damit auf vielen Schultern verteilt werde, sei der Versicherungsschutz für alle finanzierbar, so das Argument.

„Die Verbraucherzentrale Sachsen ist schon seit vielen Jahren und wird auch in Zukunft für die Einführung einer gesetzlichen Versicherungspflicht gegen Naturgefahren bei Wohngebäuden bleiben“, erklärt Andrea Heyer, Referatsleiterin Finanzdienstleistungen bei der Verbraucherzentrale Sachsen, auf Anfrage des Versicherungsboten. „Ministerpräsident Tillich hat auf unseren Naturgefahrenkolloquium am 7. April 2017 erklärt, dass das Thema einer Versicherungspflicht nicht vom Tisch ist“, so Heyer weiter. Man wisse aus den letzten 15 Jahren aber auch, wie schwer es sei, die Politik von einer solchen Lösung zu überzeugen.

Die Mehrheit der Hauseigentümer bekomme derzeit relativ problemlos Elementarschadenversicherungsschutz, erklärt Heyer weiter. Dennoch habe Deutschland eine viel zu geringe Versicherungsdichte: rund 11 Millionen Gebäude seien ohne Absicherung. "Bezüglich der staatlichen Unterstützung nach Schadenfällen vertreten wir die Auffassung, dass es kaum zu akzeptieren ist, dass betroffene Hauseigentümer nach jeder Katastrophe auf private Spenden und staatliche Almosen angewiesen sind oder auch dass sie mit staatlicher Unterstützung rechnen können, ohne eigene Beiträge für eine Versicherung aufbringen zu müssen", fasst Heyer die Position der Verbraucherzentrale zusammen.

Heyer weiter: „In den letzten 15 Jahren ist es mit großen Kampagnen nicht gelungen, die Versicherungsdichte auf freiwilliger Basis auf das notwendige Maß zu erhöhen. Bei einer stetigen Fortschreibung der aktuellen Entwicklung brauchen wir noch gute 40 Jahre, um eine Quote von 90 Prozent zu erreichen. 90 Prozent erreichen wir aber bei einer freiwilligen Lösung nicht. Das zeigt auch das Beispiel Privathaftpflichtversicherung“, so die Verbraucherexpertin.

Die Verbraucherzentrale Sachsen hat vor wenigen Wochen eine Studie vorgestellt, wonach zwei Drittel der Deutschen eine Versicherungspflicht gegen Elementarschäden begrüßen würden. Rund 30 Prozent halten hierfür eine Versicherungsprämie in Höhe einer Kfz-Vollkasko für angemessen, die Mehrheit will weniger bezahlen (der Versicherungsbote berichtete).

2013: Bund schüttete knapp 460 Millionen Euro an Soforthilfen aus

Dass es ohne Bemühen um Privatschutz keine Staatshilfen mehr geben soll, bedeutet einen Paradigmenwechsel in der deutschen Politik: Bei den letzten großen Flutkatastrophen konnten die Bürger stets auf millionenschwere Soforthilfen hoffen.

Allein nach der letzten großen Flutkatastrophe im Jahr 2013 hat der Bund die Soforthilfeprogramme der Länder mit 459,85 Millionen Euro unterstützt, so geht aus einem Bericht des Bundesministeriums des Innern (BMI) hervor. Der Großteil der Gelder kam Unternehmen und Gewerbetreibenden zugute: Sie erhielten 209 Millionen ausgezahlt. Weitere 121,5 Millionen Euro flossen an Privathaushalte, um Häuser wieder bewohnbar zu machen oder Hausrat zu ersetzen. Die Land- und Forstwirtschaft erhielten 62,35 Millionen Euro und die Kommunen 67 Millionen Euro.

Doch die Soforthilfen waren nur ein kleiner Teil der Aufbaukosten: Die Bundesregierung verabschiedete ein Aufbauhilfegesetz, das es erlaubte, einen Wiederaufbaufonds mit acht Milliarden Euro auszustatten, um die langfristigen Folgen des Hochwassers zu beheben. Auch aus diesen Mitteln flossen 587,5 Millionen Euro an Privathaushalte sowie 527,5 Millionen Euro an die gewerbliche Wirtschaft.

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Tillichs Zitat macht deutlich, dass nun nicht nur Privatpersonen zukünftig eine Elementar-Police brauchen, wenn sie Soforthilfen nach Naturkatastrophen beanspruchen, sondern auch Betriebe und Gewerbetreibende.

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