Junge freche Ossis, die es dem Altkapital in Westdeutschland von Baden-Baden über Frankfurt, Hannover bis Hamburg zeigten? Das wollten viele nicht wahrhaben. Ossis, die im Laufe der vergangenen 15 Jahre nach Schätzungen über eine Milliarde Euro für Werbung in Google ausgaben und zusätzlich nach Schätzungen über 120 Millionen Euro netto für TV-Werbung - und das über viele Jahre fast ohne viel Fremdkapital? Und obendrein es sich leisten konnten im Jahr geschätzt weit über 40 Millionen Euro für Personal auszugeben?

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Ein Märchen, wie viele fanden. Ein Traum, von dem weltweit Millionen Jung-Unternehmer vergeblich träumen. Thomas Wagner, der sich selbst mit Hilfe eines Buches das Programmieren beigebracht hatte und früher leidenschaftlich gerne Fußball spielte, ließ ihn wahr werden.

Selbst der damalige SPD-Oberbürgermeister von Leipzig, Wolfgang Tiefensee, feierte mit den Unister-Gründern früh das junge aufstrebende Unternehmen. Ein älteres Foto zeigt Tiefensee mit den Unister-Gründern in jungen glücklichen Tagen als strahlende Helden.

Noch 2009 wollte Wagner gar ein Fünfsterne-Luxusgolf-Resort vor Leipzigs Toren am Cospudener See bauen. Das Geld war vorhanden. Auch eine Firmenzentrale für 1.400 Mitarbeiter gegenüber der Oper in Leipzig war für 30 bis 40 Millionen Euro im Gespräch. Eine Baugenehmigung gab es dafür bereits vom Stadtrat. Sie war unter Zähneknirschen genehmigt worden, da die Höhe des Baus etwas höher als die gewünschte Traufhöhe war. 2010 berichteten darüber sogar ZDF WISO und zahlreiche weitere Medien.

2012 begann die Krise

Doch seitdem die Integrierte Ermittlungseinheit Sachsen (INES) im Dezember 2012 Unister mit kolportierten bis zu vier Razzien überzogen hatte, war die Krise Alltag. Mit INES hatte Unister ausgerechnet eine der in Deutschland als am aggressivsten gegen die Wirtschaft agierenden Staatsanwaltschaft an den Hacken.

Nicht nur, dass die sächsischen Staatsanwälte mit über 120 Ermittlern bei Unister 2012 einmarschiert waren und die Gründer und Gesellschafter Thomas Wagner und Daniel Kirchhof für Tage vor Weihnachten 2012 in U-Haft gebracht hatten. Nein: Damit sie den Dresdner Knast überhaupt wieder verlassen konnten, mussten sie die hohe Kaution in bar nach Dresden bringen lassen und dort hinterlegen.

Da Wagner nicht so viel Geld gehabt haben soll, soll ein Freund aus Frankfurt dafür eingesprungen sein und die 500.000 Euro in bar zur Verfügung gestellt haben. Ähnlich soll es bei Kirchhof gelaufen sein. Sparsam war man bei Unister schon immer und auch die Gesellschafter haben sich nie größere Gewinne ausbezahlt und eher äußerst moderate Gehälter bezahlt. Bei Wagner waren es über Jahre, wie er vor Gericht einmal schriftlich bestätigte, unter 50.000 Euro im Jahr. Dass bei Unister mehr verdient wird, wie einige finden auch zu viel, das fing bei Unister erst mit der neueren Manager-Generation an, die sagten, die Krise fordere ihren Tribut.

Unister war jedenfalls seit den medial begleitenden Razzien faktisch weitgehend von den sonst bei jungen schnell wachsenden Unternehmen üblichen Venture Capital-Gebern weitgehend abgeschnitten. Eine Katastrophe für das einstige ostdeutsche Vorzeigeunternehmen Unister, das zu den größten privaten Arbeitgebern in Ostdeutschland gehört. Die bis heute laufenden Verfahren gegen Unister werden in Dresden von den beiden Staatsanwälten Dr. Dirk Reuter und Andreas Günthel gebündelt.

Die Refinanzierung der Expansion kam ins Stocken

All dies erklärt, warum Thomas Wagner zur Refinanzierung des in seiner Expansion kaum mehr zu stoppenden Unternehmens offensichtlich immer wieder frisches Geld brauchte und dabei sich sogar zu dem abenteuerlichen Venedig-Deal genötigt gesehen hatte. Denn traditionelle Banker zeigten Unister seit dem gerichtlichen Verfahren all zu oft die rote Karte und erhöhten somit dramatisch den Druck auf das Unternehmen, das sich zuletzt aber auch ganz gut berappelt hatte und auf einem sehr guten Weg schien.

Konkurrenten, die Unister einstmals übernehmen wollten, schauten sich die Unister-Krise teils genüsslich aus der Ferne an und hofften, irgendwann einmal zu einem völlig unterbewerteten Kaufpreis bei Unister zuschlagen zu können. Immerhin hatte Bloomberg Unister noch vor zwei Jahren auf einen Wert von gut und gerne zwei Milliarden Euro geschätzt. Jeder weitere Krisenmonat war also ein guter Monat für die kapitalistischen Raubritter oder Wagners Gegner in Leipzig, die das Gefühl hatten, mit dem Karrieristen Wagner noch mehr als nur ein Hühnchen rupfen zu müssen.

Eingeleitet hatte die Krise bei Unister auch ein im Sommer 2012 erschienener achtseitiger Artikel der Computer Bild aus dem Hause Axel Springer SE. Den Artikel empfanden damals wie heute viele als äußerst hetzerisch. Schnell machte die Runde, der Artikel sei so ungewöhnlich bösartig, dass man nicht ausschließen wolle, dass er mit Hilfe von Unister-Konkurrenten lanciert worden sein könnte.

Letztlich gilt aber auch Springer mit seinem Vergleichsportal Idealo, über das ebenso Flüge verkauft werden, zumindest im Bereich der Preisvergleiche und der Flutticket-Vermittlung als Unister-Konkurrent. Und Fakt ist: Der Artikel hatte Wagner geradezu auffällig kriminalisiert und sollte einen markanten Wendepunkt darstellen, welcher wenige Monate darauf in den sächsischen Razzien bei Unister mündete.

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