In Deutschland hat jede werdende Mutter das Recht zu entscheiden, ob sie ihr Kind in einer Klinik oder per Hausgeburt zur Welt bringen will. So zumindest in der Theorie. Die Haftpflichtprämien für Hebammen explodieren seit Jahren, immer mehr Geburtshelferinnen geben ihre Tätigkeit auf. Und so kann eine flächendeckende Versorgung mit Hausgeburten nicht mehr garantiert werden. Zum 1. Juli sind die Jahresprämien erneut angehoben worden: von 6.274 auf nun 6.843 Euro, wie der Deutsche Hebammenverband (DHV) berichtet.

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Haftpflichtkosten explodieren - auch aufgrund höherer Schadensforderungen

Mit welcher immensen Geschwindigkeit die Haftpflichtprämien für Hebammen steigen, zeigt ein Rückblick auf die letzten zehn Jahre. Noch 2006 kostete der Schutz 1.473 Euro Jahresprämie, 2010 bereits 3.689 Euro, 2014 schon 5.091 Euro. Und für das Jahr 2017 soll der Gruppentarif für die DHV-Mitglieder weiter angehoben werden: auf dann 7.639 Euro Jahresprämie.

Ausgangspunkt für die Kostenzunahmen sind die ebenfalls gewachsenen Kosten für schwere Geburtsschäden, die laut Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) im Zeitraum 2003 bis 2012 eine fast 80 prozentige Häufung erfahren haben (neuere Zahlen nicht vorliegend). Neben Schmerzensgeld muss auch der Erwerbsausfall des Kindes erstattet werden – und zwar ein Leben lang. Durch den medizinischen Fortschritt steigt zudem die Lebenserwartung auch Schwerstgeschädigter: Pflege- und Therapiekosten fallen für einen deutlich längeren Zeitraum an (siehe Schaubild).

Versicherungsleistungen für schwere Geburtsschäden sind zwischen 2002 und 2012 stark gestiegen. Quelle: GDV

In manchen Regionen besteht keine wirkliche Wahlfreiheit

Die Konsequenzen für werdende Mütter sind bitter: eine flächendeckende Hebammen-Versorgung ist nicht mehr gewährleistet. Damit steht auch die Wahlfreiheit, immerhin ein festgeschriebenes Menschenrecht, zur Disposition.

"Es droht eine dramatische Unterversorgung in der Geburtshilfe und in der Wochenbettbetreuung", klagt Martina Klenk, Präsidentin des DHV, gegenüber Spiegel Online. "Wir haben schon jetzt massive Versorgungsengpässe in Kliniken, die mit freiberuflichen Beleghebammen arbeiten, bei Hausgeburten und in Geburtshäusern", sagt Klenk. "In Großstädten wie auf dem Land." Erst kürzlich habe zum Beispiel das Geburtshaus in Fulda schließen müssen. Eine "Landkarte der Unterversorgung" sammelt, wo die Not am Größten ist.

Insgesamt sind in Deutschland gut 16.000 Hebammen freiberuflich tätig, davon knapp 9.800 als Mitglied des DHV. Weitere sind im "Bund freiberuflicher Hebammen Deutschlands" (BfHD) organisiert. Aber nur gut 2.600 dieser Hebammen bieten tatsächlich noch Geburtshilfe an, die Mehrheit konzentriert sich auf Wochenbettbetreuung und Schwangerschaftsvorsorge. 147.352 Kinder - jedes fünfte Baby - wurden 2014 mit Hilfe einer freiberuflichen Hebamme geboren, rechnet der DHV vor - in der Klinik, im Geburtshaus oder zu Hause.

„Wir haben einen Haftpflichtausgleich noch nicht einmal auf Papier“

Doch zahlen die Krankenkassen nicht einen Zuschlag, um die explodierenden Kosten aufzufangen? Ja, im letzten Jahr wurde dieser neu ausgehandelt. Aber nur bis zu einer bestimmten Höchstgrenze.

Mindestens 1.954 Euro der Haftpflichtprämie müssen die Hebammen selbst aufbringen und damit einen Monatsbeitrag von rund 163 Euro. Eine hohe Bürde bei schlechter Bezahlung: Zeit Online bezifferte den durchschnittlichen Monatsverdienst einer festangestellten Hebamme auf 1.900 Euro, Freiberufler verdienen oft weniger.

Hinzu kommt, dass die Hebammen in Vorleistung gehen müssen, bis sie einen Teil der Kosten erstattet bekommen. Erst nach einem halben Jahr können sie den Sicherstellungszuschlag beantragen und die Teilerstattung erhalten. Und hier hapert es offenbar gewaltig bei der Abrechnung - die Hebammen müssen lange auf den Ausgleich warten, zu lange.

Ende April hatten rund 1.500 Hebammen den Sicherstellungszuschlag beim GKV-Spitzenverband beantragt. Das bedeutet, dass zehn Monate nach Inkrafttreten des Zuschlags ein Großteil der betroffenen 2.600 Hebammen immer noch keinen Ausgleich bekommen hat. „Wir haben einen Haftpflichtausgleich noch nicht mal auf dem Papier“, so DHV-Präsidiumsmitglied Katharina Jeschke, die die Verhandlungen über Zuschüsse mit den gesetzlichen Krankenkassen führt.

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Ausgerechnet die privaten Krankenversicherer weigern sich komplett, einen Haftpflicht-Zuschuss an freiberufliche Hebammen zu zahlen. Sie wollen es den Kräften des Marktes überlassen, welche Hebamme sich behaupten kann und welche nicht. Und damit auch, in welchen Regionen das Menschenrecht auf eine Hebammen-Geburt gewahrt bleibt.

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