Am Dienstag ist ein Airbus 320 der deutschen Fluggesellschaft Germanwings in Südfrankreich abgestürzt, 150 Menschen verloren ihr Leben. Was Staatsanwalt Brice Robin aus Marseille bei der gestrigen Pressekonferenz hierzu mitzuteilen hatte, war kaum auszuhalten. Zum Zeitpunkt des Absturzes sei Copilot Andreas L. alleine im Cockpit gewesen, so habe die Auswertung des Voice Rekorders ergeben. Ganz bewusst habe er acht Minuten vor dem Aufprall das Flight Monitoring System bedient, um den Sinkflug einzuleiten. Der Flugkapitän aber, der zuvor wohl auf Toilette gewesen ist, blieb ausgeschlossen, hämmerte gegen die Cockpit-Tür, versuchte sie gar einzutreten. Vergebens: Er konnte die Tat nicht verhindern. Mit voller Wucht prallte die Maschine gegen ein Bergmassiv.

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Die bisher bekannten Fakten sprechen dafür, dass Andreas L. Selbstmord begehen wollte und keine Rücksicht darauf genommen hat, dass er hunderte Menschen mit sich in den Tod riss. So sprach etwa Maybrit Illner gestern in ihrer Talkshow von einem „149fachem Mord und Suizid“. Allerdings gibt es auch Stimmen, die mahnen, man solle das Ende der Ermittlungen abwarten, bevor man Menschen verurteile. "Wenn ein Staatsanwalt etwas behauptet, dann heißt es noch lange nicht, dass es definitiv so ist", gab etwa Ex-Verkehrsminister Peter Ramsauer (CDU) zu bedenken. "Viele Staatsanwälte haben schon viel in die Welt gesetzt, die Urteile waren dann völlig anders."

Würde ein Selbstmord die Haftungsfrage beeinflussen?

Doch wenn es tatsächlich Selbstmord war – können die Angehörigen dann trotzdem auf eine Entschädigung durch die Luftfahrtversicherung von Germanwings hoffen? Schließlich hätte der Copilot vorsätzlich gehandelt. Auch ist zu fragen, ob die Fluggesellschaft sowie ihre Versicherung für das individuelle Fehlverhalten von Andreas L. haftbar gemacht werden können. Muss gar befürchtet werden, dass die Hinterbliebenen leer ausgehen?

Der Luftfahrtberater Wolf-Müller-Rostin gibt Entwarnung. „Wenn diese Version des Hergangs sich bestätigen sollte, dann muss Germanwings dafür haften“, erklärt der Jurist dem Nachrichtensender n-tv. „Die Luftverkehrsgesellschaft hat für das Verhalten ihrer Piloten einzustehen. Auch wenn es das Ziel des Manövers gewesen sein sollte, sich umzubringen und 150 Menschen mitzureißen.“ Müller-Rostin war früher selbst als Justitiar für die Lufthansa tätig. Auch wenn er den Vertrag nicht kenne, geht der Fachmann davon aus, dass vorsätzliches Verhalten ebenfalls in den Versicherungsschutz eingeschlossen ist.

Die Angehörigen werden also auf jeden Fall eine Entschädigung bekommen – auch wenn dies die Trauer kaum aufwiegen mag. Fluggesellschaften sind in Deutschland gesetzlich verpflichtet, sowohl ihre Maschinen als auch Passagiere gegen Schäden zu versichern, und zwar in unbegrenzter Höhe. Die Schuldfrage soll hierbei weitestgehend ausgeklammert werden – auch, um die Angehörigen nicht nur durch lange Gerichtsprozesse zu belasten. Dass es trotzdem zu hässlichen Rechtsstreitigkeiten kommen kann, zeigt der Absturz einer Air-France-Maschine 2009 vor Brasilien. Immerhin zwei Jahre dauerte es, bis ein Gericht den Hinterbliebenen eine Entschädigung zugesprochen hatte.

Allianz ist Hauptversicherer des Fluges 4U9525

Hauptversicherer des verunglückten Fluges ist die Allianz Global Corporate & Speciality, wie eine Sprecherin bestätigte. Auch die Talanx-Tochter HDI hat bereits erklärt, dem Konsortium anzugehören. Aufgrund der hohen Haftungsrisiken sind an Luftfahrtversicherungen immer mehrere Gesellschaften beteiligt. Lufthansa-Chef Carsten Spohr hat bereits zugesichert, dass die Hinterbliebenen schnell und unbürokratisch Hilfe erhalten.

Doch wie viel Geld steht den Angehörigen zu? Dies ist im sogenannten "Montrealer Übereinkommen über die Beförderung im internationalen Luftverkehr" geregelt. Sobald die Opfer identifiziert sind, ist zunächst die Auszahlung eines Vorschusses vorgesehen, der derzeit bei mindestens 18.900 Euro liegt. Mit dieser ersten Zahlung soll verhindert werden, dass Angehörige unmittelbar durch den Absturz in finanzielle Not geraten.

Wie viel Geld den Angehörigen letztendlich zusteht, ist auch abhängig von der Schuldfrage. Kann die Airline nachweisen, dass weder sie noch einer ihrer Angestellten für den Absturz verantwortlich sind, muss sie maximal 143.000 Euro pro Person auszahlen. Sonst kann die Haftungssumme deutlich darüber liegen. Die gesetzlich vorgeschriebene Mindestversicherungssumme liegt derzeit bei 319.000 Euro pro Passagier, berichtet n-tv.

Auch keine Auswirkungen auf Leistungen der Lebens-, Sach- und Krankenversicherung

Dass der Co-Pilot die Germanwings-Maschine womöglich absichtlich abstürzen ließ, hat im Übrigen auch keine Auswirkungen auf die Versicherungsleistung bei Verträgen der Lebens-, Sach- und Krankenversicherung von Absturzopfern, teilte die Allianz Deutschland heute in einer Pressemeldung mit. Für Kunden der Allianz hat der Versicherer unter der Telefonnummer 0800.4720104 eine Hotline eingerichtet, bei der Angehörige und auskunftberechtigte Personen Rat erhalten. Explizit keine Auskunft können die Angehörigen jedoch zu den Schadensersatz-Leistungen der Flugzeugversicherung erwarten, wie Versicherungsbote auf Anfrage erfuhr. Hier sei die Fluggesellschaft Ansprechpartner und nicht der Hauptversicherer.

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Auch die Ermittler konnten heute Mittag neue Erkenntnisse vorweisen. Bei der Durchsuchung der Wohnung des verstorbenen Co-Piloten wurden Dokumente gefunden, "die auf eine bestehende Erkrankung und entsprechende ärztliche Behandlungen hinweisen." Das teilte die Düsseldorfer Staatsanwaltschaft in einer Pressemitteilung mit. Sogar für den Unglückstag habe eine Krankschreibung vorgelegen. Diese sei - ebenso wie weitere Krankschreibungen - zerrissen worden. Laut Staatsanwaltschaft deute das darauf hin, dass "der Verstorbene seine Erkrankung gegenüber dem Arbeitgeber und dem beruflichen Umfeld verheimlicht hat." Ein Abschiedsbrief oder Bekennerschreiben habe sich aber nicht in der Wohnung befunden.

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