Gestern war der Tag, an dem die Hoffnungen vieler Privatanleger buchstäblich vom Winde verweht wurden. Der Itzehoer Windparkbetreiber Prokon musste Insolvenz anmelden, rund 75.000 Anleger fürchten nun den Verlust ihres Geldes. Ungewöhnlich schnell reagiert nun die Bundesregierung auf den Fall. Laut einem Bericht der Süddeutschen Zeitung einigten sich die beteiligten Ministerien, dass die Finanzaufsicht Bafin künftig den Verkauf hochriskanter Finanzprodukte beschränken oder verbieten soll.

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“Die Vorarbeiten an einer entsprechenden Regelung laufen bereits auf Hochtouren“, schreibt das Münchener Blatt. Zudem sei die BaFin angewiesen worden, den Verbraucherschutz bei der Prüfung von Wertpapierverkaufsprospekten stärker zu berücksichtigen, und zwar bevor im Juli das neue Kapitalanlagegesetzbuch sowieso für strengere Richtlinien sorgt.

SPD hat es eilig, Wolfgang Schäubles Ministerium bremst

Für einen strengeren Anlageschutz hatte sich am Dienstag bereits der SPD-Politiker Ulrich Kelber ausgesprochen, Staatssekretär im Justizministerium. „Die aktuelle Debatte um Prokon zeigt, dass der Verbraucherschutz im Bereich des Finanzmarktes gestärkt werden muss“, sagte Kelber dem Handelsblatt. Die Finanzaufsicht solle schnell in die Lage versetzt werden, Finanzprodukte zu verbieten, wenn sie die Finanzmarktstabilität gefährden oder unverhältnismäßige Risiken für Anleger bergen.

Weit vorsichtiger äußert sich am Mittwoch das Bundesfinanzministerium von Wolfgang Schäuble (CDU) zu dem Vorstoß des Sozialdemokraten. „Die Bundesregierung wird die Koalitionsvereinbarung zum Verbraucherschutz eins zu eins umsetzen. Hierzu gehört zunächst auch die konsequente Aufarbeitung des aktuellen Falles Prokon und eventuell hieraus resultierende Konsequenzen“, teilte ein Sprecher mit. Unter anderem sieht der Koalitionsvertrag vor, dass BaFin und Verbraucherzentralen einen umfangreicheren Schutz für Anleger bieten sollen.

Zugleich aber wird aus der Stellungnahme von Schäubles Ressort deutlich, dass man weit weniger Handlungsbedarf sieht. Man habe den Anlegerschutz sowohl auf europäischer als auch nationaler Ebene mehrfach in den vergangenen Jahren verbessert, ließ das Finanzministerium wissen. Dies gelte auch für Genussrechte, die nun bei der Prokon-Pleite eine wichtige Rolle gespielt haben.

Frage nach der Verantwortung der Kunden

Wer die Verbraucher vor riskanten Anlagen schützen will, muss sich aber auch der Frage stellen: ab wann beginnt die Entmündigung des Kunden? Sind Geldanleger nicht auch selbst dafür verantwortlich, wenn sie riskante Anlagen tätigen und auf hohe Renditen hoffen – zumal es durchaus positivere Beispiele für riskantes Investment gibt?

Eine Frage, die auch das Finanzministerium umtreibt. Alle Regulierungsbemühungen würden nichts daran ändern, „dass dem Verbraucher und Anleger eine Schlüsselrolle bei seiner eigenen Entscheidung zu investieren zukommt“, zitiert die SZ das Ministerium. Der Anleger solle aber „in der Lage sein, eine verständige und informiere Anlageentscheidung zu treffen.“

Ähnlich äußerte sich Bafin-Chefin Elke König. Man solle nur „in Produkte investieren, die man versteht, und eine gesunde Skepsis an den Tag legen“, schließlich seien die Akteure auf den Finanzmärkten keine Wohltäter. Ein wichtiger Schritt wäre es zum Beispiel, die Vermittlung von Finanzkompetenz in den Schulen voranzutreiben.

Was verbirgt sich hinter „Venture Capital Gesetz“?

Während die Koalitionspartner um das richtige Maß der Regulierung ringen, kündigt sich ein Gesetzvorhaben an, das möglicherweise erneut die Gefahr von Firmenpleiten und Anlegerverlusten birgt. Die deutsche Regierung wurmt es, dass so viele erfolgreiche Firmengründungen im Internetbereich in den Vereinigten Staaten stattfinden und nicht in Deutschland. Google, Facebook, Twitter – alles amerikanische Firmen. In Deutschland wären sie vermutlich schon daran gescheitert, genügend Geldgeber zu finden, um ihre Ideen in die Realität umzusetzen.

Damit auch in Deutschland Start Ups und junge Unternehmen mehr Geld von Investoren einsammeln können, bekennen sich die Regierungsparteien im Koalitionsvertrag dazu, „Deutschland als Investitionsstandort für Wagniskapital international attraktiv“ zu machen. Hierfür wollen die Koalitionäre ein eigenes Regelwerk („Venture Capital Gesetz“) erlassen. Es ist zwar bisher nicht bekannt, wie dieses Gesetz im Detail ausgestaltet sein soll. Doch diskutiert werden unter anderem einfachere regulatorische Vorgaben für junge High-Tech-Firmen, etwa Ausnahmen bei den Bilanzierungsvorschriften: hier soll stärker dereguliert werden.

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Das Venture-Capital-Gesetz könnte ein Comeback des „neuen Marktes“ bewirken und damit jener Zustände, die Ende der 90er Jahre erst zu einem Internetboom, einer Dotcom-Blase und schließlich dem Zusammenbruch vieler Unternehmen geführt hat. Damals konnten viele junge Unternehmen die Gewinnerwartungen ihrer Anleger nicht erfüllen, weil sie an der Börse deutlich zu hoch bewertet worden waren. Könnte die geplante Reform eine ähnliche Blase bewirken? Man habe aus den alten Fehlern gelernt und wolle diese nicht wiederholen, argumentieren Befürworter des Reformpaketes.

Süddeutsche Zeitung

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