Um den Kassenpatienten nicht behandeln zu müssen, half sich die Sprechstundenhilfe mit einer Lüge. Die Praxis „sei nur im Bereich der Fußgelenke aktiv“, sagte die Frau am Telefon, als der gesetzlich Versicherte nach einem Termin wegen seiner Rückenleiden fragte. Wenig später gab sich derselbe Anrufer als Privatpatient aus – und Schwupps, bekam er auch einen Arzttermin für seine Rückenbeschwerden.

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Die Landtagsfraktion der Grünen wollte herausfinden, ob in Bayern gesetzlich Versicherte länger auf einen Arzttermin warten müssen als Privatpatienten. Und auch, wenn das obige Beispiel ein Extremfall ist – in der Tendenz zeigt sich, dass Privatpatienten tatsächlich bei der Terminvergabe bevorteilt werden. Bayernweit müssen sich Kassenpatienten im Schnitt 17 Tage länger gedulden, bis der Facharzt einen Termin gibt. Nach 28 Tagen sind sie dran, nach 11 Tagen bereits private Patienten.

Bei der Studie bedienten sich die Grünen eines einfachen Tricks. Ein Telefoncenter wurde beauftragt, zweimal in einer Arztpraxis mit dem gleichen Problem anzurufen und nach einem Termin zu fragen. Mal wurde zu Gesprächsbeginn eine gesetzliche, mal eine private Krankenversicherung genannt. Immerhin 610 Facharztpraxen in ganz Bayern kontaktierten die Testanrufer.

Die kürzeren Wartezeiten für Privatpatienten mögen kaum verwundern, wenn man bedenkt, dass Ärzte bei einer privaten Krankenkasse das 2,3fache Honorar abrechnen dürfen. Zudem sind die Gelder für gesetzlich Versicherte quartalsweise gedeckelt.

Grüne warnen vor „Zwei-Klassen-Medizin“

Waltraud Schopper, Chefin der bayrischen Grünen, hat für die Unterschiede wenig Verständnis. „Bei diesen Zahlen liegt der Verdacht nahe, dass manchen Medizinern der eigene Geldbeutel näher ist als das Wohl der Patienten“, wird die Politikerin von der Münchener Abendzeitung zitiert. Schopper warnte vor einer „Zwei-Klassen-Medizin“. Die Grünen ziehen mit der Forderung in den Bundestagswahlkampf, die private Krankenversicherung durch eine Bürgerversicherung zu ersetzen. Dann würden die Ärzte für alle Patienten das gleiche Honorar erhalten.

Aber es gibt auch „weiße Schafe“ unter den Ärzten. Bei 30 Prozent der angerufenen Praxen in Bayern unterscheiden sich die Wartezeiten für Kassen- und Privatpatienten kaum, berichten die Grünen. Laut Gesetz werden die Kassenärzte dazu verpflichtet, mindestens 20 Stunden pro Woche für die gesetzlich Versicherten da zu sein.

Wie lange Bayerns Kassenpatienten auf einen Termin warten müssen, ist auch abhängig von der jeweiligen Region. In Aschaffenburg liegt die Differenz bei 30 Tagen, in Würzburg sind es 28, in Bayreuth, Bamberg und Hof jeweils 20. Weitaus geringer fallen die Unterschiede in München (12) und Landshut/Straubing (10) aus.

Kritik an Untersuchung

Aber sprechen die längeren Wartezeiten wirklich für eine Benachteiligung der gesetzlich Versicherten? Befürworter der PKV argumentieren, dass die höheren Arzthonorare auch Kassenpatienten zugute kommen. Ohne die Einnahmen der Privatversicherten sei manche Arztpraxis kaum zu halten, da die zehn Prozent Privatpatienten fast 25 Prozent aller Einnahmen garantieren würden.

“Ohne Privatversicherte wären 5,4 Milliarden Euro weniger im System“, zitiert Merkur Online die FDP-Politikerin Julika Sandt. Das würde die Versorgung für alle verschlechtern. Zudem sei in Bayern jeder achte Arbeitsplatz vom Gesundheitswesen abhängig. Sandt will mit einem „Bündnis gegen die Bürgerversicherung“ in den Landtagswahlkampf ziehen. Unterstützt wird sie unter Anderem von Spitzenverbänden der bayrischen Wirtschaft. Die Studie der Grünen hält Sandt für "methodisch fragwürdig".

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Doch auch die Ärzte rechtfertigen sich. Von einer Zwei-Klassen-Medizin könne keine Rede sein, denn Notfälle werden unabhängig vom Versichertenstatus sofort behandelt, versichert die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns. Grünen-Politikerin Schopper kontert mit einem Augenarzt in Kaufbeuren. Der habe Privatpatienen bereits einen Termin nach 26 Tagen angeboten - Gesetzlich Versicherten aber erst nach 280 Tagen.

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