Das Risiko für Kleinkinder, in Armut aufzuwachsen, ist im vergangenen Jahr weiter gesunken. Die Armutsquote in der Altersgruppe der unter Dreijährigen sank in Deutschland 2011 im Vergleich zu 2010 von 19,8 auf 18,2 Prozent und damit stärker als in den beiden Vorjahren. Dies zeigt eine aktuelle Auswertung der Bertelsmann Stiftung, die am Sonntag vorgestellt wurde.

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Mit dem erneuten Absinken des Armutsrisikos setze sich bundesweit ein positiver Trend fort, argumentiert die Stiftung auf ihrer Webseite. Noch im Jahr 2008 haben 21,2 Prozent der Kleinkinder in Familien aufwachsen müssen, die auf staatliche Grundsicherung angewiesen waren. Die absolute Zahl der Kinder unter drei Jahren in Bedarfsgemeinschaften sei seither von 435.000 auf 367.000 Kleinkinder gesunken.

Eine weitere positive Entwicklung meldet die Stiftung: Auch das Ost-West-Gefälle sei in den letzten Jahren zurückgegangen. Seit 2008 habe sich im Osten die Kinderarmutsquote bei unter Dreijährigen von 33,4 auf 25,5 Prozent reduziert. Im Westen verbesserte sie sich im selben Zeitraum von 18 auf 15,8 Prozent. Die Spreizung zwischen den Bundesländern sei aber nach wie vor sehr hoch. In Sachsen-Anhalt (31,2 Prozent) ist das Armutsrisiko für Kinder unverändert 3,5 Mal höher als in Bayern (8,7 Prozent).

Kinder in Großstädten besonders von Armut bedroht

Ein Anlass zur Euphorie sind die neuen Zahlen nicht. Im Bundesschnitt wächst immer noch beinahe jedes fünfte Kleinkind in Armut auf. Auch seien Kinder speziell in Großstädten von Armut gefährdet, berichtet die Bertelsmann Stiftung. Von den 35 Städten mit mindestens 200.000 Einwohnern, deren Zahl die Autoren der Studie gesondert ausgewertet haben, liegen nur Bonn, Münster und Dresden besser als der jeweilige Landesschnitt. In allen anderen Großstädten ist die Armutsquote zumeist mehr als ein Drittel höher als im jeweiligen Bundesland, in Einzelfällen sogar mehr als doppelt so hoch.

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Während in München lediglich jedes zehnte Kind unter drei Jahren in Familien aufwächst, die auf staatliche Grundsicherung angewiesen sind, gilt dies in Berlin für mehr als jedes dritte Kind (34,3 Prozent). Mit Hamburg (22 Prozent) und Köln (22,9 Prozent) schneiden die zwei weiteren der vier deutschen Millionenstädte vergleichsweise gut ab. Das höchste Armutsrisiko in den Großstädten haben Kleinkinder in Gelsenkirchen (40 Prozent). Allgemein entpuppt sich das Ruhrgebiet als bundesdeutsche Problemzone. Sechs der 14 Städte in dem westdeutschen Ballungszentrum melden eine Kinderarmut von mehr als 30 Prozent.

Ghettoisierung: Unterschied auch innerhalb der Städte groß

Innerhalb ein und derselben Stadt kann das Armutsgefälle durchaus erheblich höher sein als zwischen den Bundesländern und Städten. Dies zeigt sich exemplarisch in den Städten Heilbronn (Baden-Württemberg) und Jena (Thüringen), die den von der Bertelmann Stiftung entwickelten Sozialraumatlas KECK zur Analyse einzelner Stadtviertel nutzen. Dabei zeigen sich eklatante Unterschiede in den Lebensbedingungen der heranwachsenden Generation. In manchen Stadtteilen liegt die Armutsquote von Kindern unter drei Jahren nur bei etwa 1,5 Prozent, in anderen bei über 35 Prozent. Es besteht die Gefahr, dass ganze Stadtteile von den Zukunftschancen abgeschnitten werden: Wer Geld hat, zieht woanders hin.

Die Auswertung des Sozialraumatlas soll in beiden Städten in ein Konzept münden, wie durch gezielte Angebote Kinder in benachteiligten Stadtvierteln gefördert werden können. Dabei wird Armut als einer mehreren Faktoren betrachtet, die die Entwicklungschancen von Kindern stark beeinflussen.

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Jörg Dräger, Vorstandsmitglied der Bertelsmann Stiftung, plädiert als Konsequenz aus den Armutszahlen für eine bedarfsorientierte Verteilung der staatlichen Gelder: "Armut darf nicht in Chancenlosigkeit münden. Wo die Probleme größer sind, muss auch mehr Geld für gute Kitas und gezielte Förderung des Wohnumfeldes investiert werden. Gerade die frühkindliche Phase ist entscheidend für die Entwicklung eines Kindes."

Enge Armutsdefinition der Bertelsmann Stiftung

Die Bertelsmann Stiftung arbeitet mit einem vergleichsweise engen Armutsbegriff. Grundlage der Analyse ist die Definition, dass Kinder als arm gelten, die in Familien mit Bezug staatlicher Grundsicherungsleistungen (SGB-II-Bezug) aufwachsen. So fallen Eltern aus der Statistik, die zwar am Rand des Existenzminimums leben, aber gerade genug verdienen, dass sie nicht Hartz IV beantragen müssen.

Aktuell bereitet die Stiftung eine Studie vor, die die Armutsgefährdung regional stärker differenzieren kann. Unter anderem soll Armut mit Blick auf die verschiedenen Miet- und Lebenshaltungskosten in den Regionen der Bundesrepublik analysiert werden.

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Der Rückgang der Kinderarmut ist nach Meinung der Experten nicht zuletzt den Müttern zu verdanken. "Der Trend geht unter anderem zurück, weil es mehr Frauen gibt, die Kleinkinder haben und trotzdem arbeiten", sagte Anette Stein von der Bertelsmann-Stiftung bei der Vorstellung der Zahlen in Gütersloh. Ob dies tatsächlich mit einer Verbesserung der Lebenschancen von Kleinkindern einher geht, ist zumindest diskussionswürdig. Ob diese Frauen gezwungen werden eine Arbeit aufzunehmen, weil das Geld aus der Grundsicherung zum Leben nicht reicht, und ob die Kinder in der Zeit der Erwerbstätigkeit gut betreut werden, dazu trifft die Studie keine Aussage.

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