„Dieses klare Bekenntnis zum neunjährigen Gymnasium muss man als Ohrfeige für die Bildungspolitiker aller Parteien und die Kultusministerkonferenz werten“, sagte der Bildungsforscher Prof. Dr. Klaus-Jürgen Tillmann von der Universität Bielefeld bei der Präsentation der Studienergebnisse in Berlin. Für die repräsentative Untersuchung wurden im Januar 2012 bundesweit 3.000 Eltern mit schulpflichtigen Kindern im Alter bis zu 16 Jahren vom Sozialforschungsinstitut TNS Emnid befragt.

Eindeutige Ablehnung der gymnasialen Schulzeitverkürzung

Klare Stellung beziehen die Eltern bei der Frage, ob Kinder das Abitur nach 12 oder 13 Schuljahren machen sollen: Hätten sie die Wahl, würden acht von zehn Eltern (79 Prozent) eine neun Jahre dauernde Gymnasialzeit (G9) für ihr Kind wählen. Nur 17 Prozent sind Anhänger der achtjährigen Variante (G8).

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Ebenfalls 79 Prozent der Eltern sind der Meinung, man sollte generell zum neunjährigen Gymnasium zurückkehren. Wenn es beim achtjährigen Gymnasium bleibt, dann müssten aus Elternsicht zumindest die Lehrpläne an die kürzere Lernzeit angepasst werden. Das sagen 59 Prozent der Befragten. „Eine Reform, die auf Anpassung der Lehrpläne und Reduzierung des Leistungsdrucks zielt, ist aus Sicht der Eltern unumgänglich“, sagte Tillmann.

Weiter gestiegen: massiver Wunsch nach Ganztagsschulen

Die Forderung nach mehr Ganztagsschulen ist seit der 1. JAKO-O Bildungsstudie von 2010 noch einmal deutlich gestiegen: Damals wünschten sich 59 Prozent der Eltern für ihr Kind eine Schule mit Ganztagsangebot. 2012 sind es 70 Prozent. Nur noch knapp ein Drittel (28 Prozent) der Eltern bevorzugt eine Halbtagsschule. Die Dramatik dieses Ergebnisses: Der Ausbau der Ganztagsschulen hält mit dem Anstieg der Elternwünsche nicht Schritt. Tillmann: „In allen Bundesländern besteht eine große Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit: Knapp die Hälfte der Eltern können den gewünschten Ganztagsplatz für ihr Kind nicht erhalten.“

Dauer der Grundschule: Mehrheit für sechs Jahre

Auch bei der Frage nach der Dauer der Grundschule beziehen die Eltern eindeutig Stellung: Die gegenwärtig vorherrschende Praxis der vierjährigen Grundschule lehnen drei von vier Eltern ab. Eine deutliche Mehrheit möchte den Kindern mehr Zeit für das gemeinsame Lernen einräumen: 60 Prozent der Eltern sprechen sich für eine sechsjährige Grundschule aus, weitere 15 Prozent wollen den Übergang in die Sekundarstufe erst nach der 9. Klasse. Diese Zahlen bestätigen die Ergebnisse der 1. JAKO-O Bildungsstudie von 2010. Damit wird erneut deutlich: Elterninitiativen, die eine sechsjährige Grundschule verhindern (wollen), vertreten eine Minderheitenposition.

Zustimmung und Skepsis: gemeinsamer Unterricht mit behinderten Kindern

Der gemeinsamen Beschulung von Kindern mit und ohne Behinderungen (Inklusion) stimmen Eltern nicht vorbehaltlos zu. Wenn es um körperlich beeinträchtigte Kinder und Kinder mit Lernschwierigkeiten geht, findet der gemeinsame Unterricht große Unterstützung: 89 Prozent bzw. 72 Prozent der Eltern sprechen sich dafür aus.

Die unterrichtliche Integration von Kindern mit geistigen Behinderungen und solchen mit Verhaltensauffälligkeiten wird dagegen nur von knapp der Hälfte (jeweils 46 Prozent) unterstützt. „Diese Ergebnisse machen deutlich: Der Weg zur inklusiven Schule wird kein Selbstläufer sein“, sagte Tillmann. Notwendig seien Maßnahmen, die den beidseitigen Vorteil der gemeinsamen Beschulung für die Eltern konkret fassbar machen.

Faire und einheitliche Bildung – gewünscht, aber nicht erreicht

Mit jeweils 84 Prozent hält es die große Mehrheit der Eltern für „sehr wichtig“, dass alle Kinder in Deutschland die gleichen Bildungschancen haben und dass Wert auf soziales Verhalten gelegt wird. 80 Prozent der Eltern möchten zudem, dass ihre Kinder in der Schule eine umfassende Allgemeinbildung erhalten. 79 Prozent wünschen sich, dass lernschwache Schüler besser gefördert werden. Dass Schüler in allen Bundesländern die gleichen Bedingungen vorfinden, ist für 74 Prozent der Eltern ein „sehr wichtiges“ Ziel der deutschen Bildungspolitik.

Bessere Begabtenförderung (52 Prozent), eine stärker berufsbezogene Schulausbildung (44 Prozent) und vor allem die Betonung des Leistungsprinzips (28 Prozent) sind hingegen bildungspolitische Ziele, die auf vergleichsweise wenig Zustimmung der Eltern stoßen. Die Wünsche der Eltern decken sich jedoch nicht mit der Realität: Am ehesten sehen Eltern im heutigen Bildungssystem verwirklicht, dass Leistung im Vordergrund steht (74 Prozent) – das Ziel, dem am wenigsten Bedeutung beigemessen wird.

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Heftige Kritik äußern Eltern an der Umsetzung der Ziele, die von ihnen als am wichtigsten erachtet werden: Dass Chancengleichheit für alle Kinder herrscht meinen lediglich 28 Prozent, die Förderung lernschwacher Schüler halten 29 Prozent für umgesetzt. Von einheitlichen Bedingungen in ganz Deutschland ist die fragmentierte Schullandschaft in den Bundesländern weit entfernt – das meinen auch 83 Prozent der Eltern. Immerhin: Im Vergleich zur 1. JAKO-O Bildungsstudie 2010 sind bei allen aus Elternsicht wichtigen Zielen der Bildungspolitik leichte Verbesserungen im jeweiligen Grad der Verwirklichung zu verzeichnen.

Kompetent und motiviert, aber: Lehrer sind Einzelkämpfer

Den Lehrern stellen Eltern insgesamt ein gutes und im Vergleich zur 1. JAKO-O Bildungsstudie 2010 sogar besseres Zeugnis aus. Fast alle Eltern sind von der Fachkompetenz der Lehrer überzeugt (90 Prozent). 84 Prozent halten die Lehrer für gerecht, 80 Prozent für insgesamt sehr engagiert.

Das pädagogisch-methodische Wissen und Können der Lehrkräfte wird unterschiedlich eingeschätzt. Eltern bescheinigen den Lehrern zwar mit hoher Zustimmung, dass sie Interesse bei ihren Schülern wecken und gut erklären können (81 Prozent bzw. 78 Prozent), den Einsatz neuer Unterrichtsmethoden erkennen mit 63 Prozent hingegen deutlich weniger.

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Beim Thema Zusammenarbeit zeichnet sich ein differenziertes Bild ab: Eltern attestieren Lehrkräften, dass sie sich für gute Beziehungen zu ihren Schülern einsetzen (88 Prozent) und an einer Zusammenarbeit mit den Eltern interessiert sind (84 Prozent). Weniger gut schätzen Eltern die kollegiale Zusammenarbeit der Lehrer ein: Nur 68 Prozent meinen, dass die Lehrer sich untereinander absprechen. „Das kann sich in der Praxis an gegensätzlichen Aussagen über das Kind, an inhaltlichen Überschneidungen, an Ballungen bei den Hausaufgaben oder Projektarbeiten zeigen“, sagte die Bildungsforscherin Prof. Dr. Dagmar Killus von der Universität Hamburg auf der Pressekonferenz in Berlin.

Eltern als Hilfslehrer

91 Prozent der Eltern fühlen sich verpflichtet, sich eingehend um die schulischen Leistungen ihrer Kinder zu kümmern. Knapp drei Viertel der Eltern (74 Prozent) geben an, sich intensiv mit der Schule zu beschäftigen. Eltern werden dabei auf unterschiedliche Art und Weise aktiv: 94 Prozent stellen sicher, dass das Kind seine Hausaufgaben in Ruhe erledigen kann, 69 Prozent kontrollieren die Aufgaben anschließend. 77 Prozent der Eltern helfen ihren Kindern Klassenarbeiten und Referate vorzubereiten, 63 Prozent erarbeiten grundsätzlich gemeinsam mit ihrem Nachwuchs den Lernstoff.

Die Kritik der Eltern: Sie haben dabei häufig das Gefühl, Dinge zu leisten, die sie eigentlich als Aufgabe der Schule sehen. 60 Prozent beklagen, dass die Schule ihren Aufgaben nur unzureichend nachkommt. Killus: „Hier stellt sich die Frage, wie Eltern aktiv beteiligt werden können, ohne in die Rolle des ‚Hilfslehrers’ zu geraten. Notwendig sind adäquate Konzepte zur Einbeziehung von Eltern in das schulische Lernen ihrer Kinder, aber auch neue Unterrichtskonzepte und systematische Hausaufgabenhilfen in den Schulen.“

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Die Ergebnisse der Studie sowie daraus abzuleitende bildungspolitische Konsequenzen sind nachzulesen in: Dagmar Killus, Klaus-Jürgen Tillmann (Hrsg.), „Eltern ziehen Bilanz – Ein Trendbericht zu Schule und Bildungspolitik in Deutschland“ , 240 Seiten, Waxmann Verlag, Münster, ISBN: 978-3-8309-2755-6, Preis: 24,90 € (erhältlich über www.jako-o.de (Art.-Nr. 641-617), www.waxmann.com und im Buchhandel)

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