Wenn in Deutschland die Benzinpreise steigen, die Menschen in Indonesien oder Afrika Hunger leiden, dann verweisen Finanzexperten immer öfter auf die Rolle der Spekulation. Auch wenn Termingeschäfte an den Börsen nicht allein für die enormen Preisschwankungen der letzten Jahre verantwortlich gemacht werden können, so wird ihnen doch eine wichtige Verstärkerrolle zugesprochen. Je mehr sich Finanzinvestoren auf den Rohstoffmärkten engagieren, desto öfter kommt es zu einer explosionsartigen Verteuerung von Rohstoffen und Agrarprodukten.

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Die Regierungsparteien wollen die Wetten auf Rohstoffe jedoch verstärkt unter Aufsicht stellen. Der Finanzausschuss stimmte am Mittwoch einem entsprechenden Antrag der CDU/CSU- und FDP-Fraktion zu (17/8882). „Um Fehlentwicklungen an den Rohstoffmärkten vorzubeugen, ist eine gezielte und wirksame Regulierung des Rohstoffterminhandels erforderlich“, heißt es in dem Antrag. Die SPD enthielt sich der Stimme. Linkspartei und Bündnis 90/Die Grünen stimmten dagegen, weil ihnen die vorgeschlagenen Maßnahmen nicht weit genug gehen.

Vor allem Hochfrequenzhändler im Visier

Eine stärkere Regulierung strebt die Koalition vor allem für den Hochfrequenzhandel mit Rohstoffen an. Bei dieser Form des Investments können Händler in Millisekunden Aktien kaufen und wieder verkaufen, oftmals auf der Basis von Computerprogrammen, die in Sekundenbruchteilen die aktuellen Kursentwicklungen analysieren. Je nach Automatisierungsgrad sind für die Kaufentscheidungen keine Händler mehr notwendig: Der Computer trifft selbst die Entscheidung, welche Aktien er kauft oder abstößt. Das menschliche Hirn ist für die komplexen algorithmischen Berechnungen zu langsam geworden. Es sind vor allem große Geldhäuser, die sich dem automatisierten Wettgeschäft verschrieben haben: Sie verschaffen sich mit der teuren Technik einen Wissensvorsprung gegenüber Kleinhändlern und Privatinvestoren.

Kritiker wie der Börsenexperte Dirk Müller sprechen dem Hochfrequenzhandel eine schädliche Wirkung für den Börsenhandel zu, ja sogar für die gesamte Wirtschaft. Weil das Risiko plötzlicher Kursschwankungen zu hoch sei, werde kaum noch Geld in Unternehmen, Aktien und Eigenkapital investiert. "Und diese hohen Geschwindigkeiten braucht kein Mensch. Da kann keiner mehr reagieren. Wir sehen es immer wieder, dass es durch den Hochfrequenzhandel zu extremen Kursausschlägen an den Börsen kommt", sagte Müller der ARD Tagesschau.

Diese Auffassung scheinen auch CDU/CSU und FDP zu teilen – zumindest in Ansätzen. Und die Parteien wollen Gegenmaßnahmen ergreifen. Nach dem Antrag der Koalition sollen alle Hochfrequenzhändler, die in Millisekunden Wertpapiere kaufen und verkaufen und damit erhebliche Preisschwankungen auslösen können, der Marktaufsicht unterstellt werden. Der Handel mit Rohstoffderivaten soll schärfer überwacht werden. Zudem sollen bei Fehlentwicklungen Gegenmaßnahmen wie die Begrenzung der Positionen einzelner Händler an den Börsen möglich sein.

Dennoch wird einem generellen Wettverbot eine Absage erteilt: Bei einer Regulierung sei im Blick zu behalten, dass Rohstoffderivate eine wichtige Rolle bei der Absicherung der Realwirtschaft gegen Preisrisiken spielen würden, heißt es in dem Antrag. Die Regierung will regulieren – aber bitte nicht zu viel.

Streitpunkt Agrar-Wetten

Ein wichtiger Streitpunkt bei der Regulierung der Rohstoffmärkte ist der Umgang mit Agrarwetten. Verstärkt ist in den letzten Jahren Kritik laut geworden, dass die Spekulation mit Nahrungsmitteln den Hunger in der Welt verschlimmern würde. Auch deutsche Geldhäuser sind mit Milliardenbeträgen am Wettgeschäft beteiligt und wurden Gegenstand von Informationskampagnen. Während die Verbraucherorganisation foodwatch speziell die Deutsche Bank kritisierte, derzeit Nummer 5 im weltweiten Termingeschäft mit Nahrungsmitteln, hatte Oxfam die Wetten der Allianz Versicherung im Visier.

In welchem Umfang Agrarwetten reguliert werden sollen, darüber herrscht auch zwischen Koalition und Opposition Uneinigkeit. Zwar gestehen CDU/CSU und FDP ein, dass Preisschwankungen bei Nahrungsmitteln unter besondere Aufsicht gestellt werden müssen – unter anderem soll untersucht werden, ob für Agrarderivate nicht zusätzliche Regulierungsvorgaben erforderlich sind. Doch ein generelles Verbot oder eine allzu strikte Regulierung streben die Regierungsparteien nicht an. In der Debatte des Ausschusses sagte ein CDU-Sprecher, agrarwirtschaftliche Prozesse müssten weiter abgewickelt werden können. Deutschland sei schließlich einer der größten Agrarexporteure.

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Dem entgegen beharren die Oppositionsparteien auf strengere Vorgaben. Im Ausschuss bezeichnete die SPD-Fraktion den Antrag als „weit hinter der Problemlage zurückbleibend“. Gerade bei der Nahrungsmittelproduktion gebe es Handlungsdruck. Auch die Linksfraktion vertrat die Ansicht, „dass die Koalition mit dem Antrag zu kurz springt“. Es müsse etwas gegen die Spekulation mit Nahrungsmitteln getan werden. Für Bündnis 90/Die Grünen bildet der Antrag der Koalition die Debatte vor vier Jahren ab und würde nicht den aktuellen Stand der gesellschaftlichen Diskussion widerspiegeln. Ein Sprecher der Fraktion verlangte, dass der Rohstoffmarkt stärker von den Finanzmärkten getrennt werde.

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