Bereits im Jahr 2009 versuchte Gerhard Spiess im Auftrag des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung die Entwicklung altersspezifischer Kriminalität und des demographischen Wandels bis 2050 aufzuzeigen. Er stellt dabei fest, dass es eine alterstypische Verteilung bei den Delikten gibt: Jugendtypisch seien leichte, nicht-geplante Delikte mit geringen Schäden, die oft aufgeklärt werden. Bei jungen Erwachsenen sind Raubdelikte und ein hoher physischer Einsatz bei Straftaten besonders häufig. Im Erwachsenenalter überwiegen vor allem Tötungsdelikte sowie wirtschaftskriminelle Aktivitäten.

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In den absoluten Zahlen der polizeilichen Kriminalstatistik hätten sich laut Spiess die demographischen Verschiebungen bereits bemerkbar gemacht: Von 1993 bis 2006 nahm die Zahl Tatverdächtiger um 230.000 zu, davon waren allein 4/5 der Tatverdächtigen 40 und älter. Ob sich mit der alternden Gesellschaft auch das Kriminalitätsaufkommen insgesamt verringert, zeigt sich vermutlich erst Mitte der 2030er Jahre. In den nächsten 20 Jahren sind aber erhebliche Umschichtungen in der Alterstrukur von Tatverdächtigen zu erwarten. Mit dem Rückgang der Delikte bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen würde aber die Kriminalität nicht verschwinden. Gerade die Bagatelldelikte seien eine typische Domäne der jungen Menschen.

Doch zum Teil sind es eher „Bagatelldelikte“ mit geringer Schadensintensität, allerdings weniger hohem physischen Einsatz, die offenbar bei Menschen mit höherem Lebensalter zunehmen: Dies zeigt sich in einer Studie der Soziologin Franziska Kunz. Sie führt aktuell am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht eine „Empirische Untersuchung zu den Bedingungsfaktoren und Korrelaten kriminellen Handelns von Menschen im höheren Lebensalter“ durch.

Untersucht werden in Kunz‘ Studie sowohl die moralischen Einstellungen als auch die gesetzeswidrigen Verhaltensweisen von Senioren. Dafür wurden zunächst 2.000 Bürger in Südbaden im Alter von 49 bis 81 Jahren auf postalischem Weg und anonym zu ihrem kriminellen Verhalten befragt. Für 14 Delikte wurden Informationen erhoben. Diese reichten von Vergehen wie Schwarzfahren im Öffentlichen Nahverkehr über Versicherungsbetrug und Sachbeschädigung bis hin zu Verbrechen wie Körperverletzung, Raub und Erpressung.


Anhand der Daten relevanter amtlicher Statistiken (PKS, Verurteiltenstatistik) über die Kriminalität von Personen ab dem 60. Lebensjahr stellt Kunz fest, dass ca. 6 Prozent aller innerhalb eines Jahres als Tatverdächtige ermittelten Personen 60 Jahre und älter sind. „Ersttäter“ sind davon sogar 70 bis 80 Prozent. Ältere Menschen würden vorwiegend Betrugs- und Vermögensdelikte begehen. Dies wird auch als „Kriminialität der Schwäche“ bezeichnet. Die Delinquenten seien häufig finanziell abgesicherte und sozial gut integrierte Personen, so Kunz.

Entgegen der landläufigen Vorstellung von Alterskriminalität spielt Ladendiebstahl dagegen keine zentrale Rolle: mit 2,7 Prozent der Befragten liegt diese Straftat nur auf Rang acht. Den ersten Platz in der Rangfolge der Straftaten nimmt Trunkenheit am Steuer ein. "Nahezu jeder Vierte kreuzte an, seit seinem 50. Geburtstag mindestens einmal betrunken Auto gefahren zu sein", erläutert die Soziologin. Jeder zehnte Befragte tat dies fünfmal oder häufiger. Im Vergleich der Altersstufen kam Kunz zu dem Ergebnis, dass vor allem die jüngeren Teilnehmer der Studie stärker zu Gesetzesübertritten neigen als die älteren. Das Moralverständnis der Älteren ist demnach ein anderes als das der Jungen. Kunz‘ Ansicht nach deutet dies auf einen Generationenwandel hinsichtlich der Moralvorstellungen hin. Inwieweit sich diese im Laufe eines Lebens wandeln, untersucht die Soziologin derzeit in einer Folgestudie.

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Spezifisch für die Straffälligkeit älterer Menschen ist, dass ältere Frauen sehr viel häufiger kriminell sind. Dies wird bislang auf demographische Ursachen zurückgeführt. Ob die aktuellen demographischen bzw. sozialen Wandlungsprozesse zukünftig zu Veränderungen hinsichtlich der Qualität und/oder Quantität von Alterskriminalität führen werden, sei derzeit ungewiss. Die Datenauswertungen sind abgeschlossen, derzeit arbeitet Kunz am Ergebnisbericht: „Die Ergebnisse des Projekts sollen u.a. helfen, einige Folgen (psycho-)sozialer Probleme im höheren Erwachsenenalter besser abschätzen zu können und ggf. geeignete „Präventionsstrategien“ zu entwickeln“ heißt es auf der Webseite des Projekts.

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