Es ist ein nur ein kleiner Abschnitt, der im aktuellen Aktionsplan der Bundesregierung zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention, diese Woche vorgestellt von Ursula von der Leyen, den privaten Krankenversicherungen gewidmet ist. Auf Seite 49 des Papiers heißt es, dass laut Gleichbehandlungsgesetz eine Behinderung beim Abschluss eines Vertrages keine Rolle spielen darf – jedoch mit der Einschränkung, eine unterschiedliche Behandlung sei zulässig, wenn diese „auf anerkannten Prinzipien risikoadäquater Kalkulation“ beruht.

Was mit den „Prinzipien risikoadäquater Kalkulation“ gemeint ist, musste ein Jugendlicher erfahren, der sich trotz einer Behinderung in eine private Krankenversicherung einzuklagen versuchte. Der zu hundert Prozent Behinderte leidet an einer Myotonen Dystrophie: eine Krankheit, die sich durch fortschreitende Muskelschwäche, Herzrhythmusstörungen und Gelenkschmerzen äußert. Doch die private Krankenversicherung darf laut einem Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe die Aufnahme des Behinderten ablehnen. Nicht aufgrund seiner Behinderung, denn das wäre diskriminierend, sondern aufgrund der Vorerkrankung, die zu der Behinderung führte (Urteil vom 27.5.2010, 9 U 156/09).

„Private Krankenversicherung nicht für behinderte Menschen“, kommentierte ein Vergleichsportal, obwohl es mit dem Abschluss einer privaten Police gutes Geld verdienen könnte. Auch das News-Portal Acio teilte diese Einschätzung, als es argumentierte, dass das Antidiskriminierungsverbot nicht auf die PKV anzuwenden sei – solange die Ablehnung des Behinderten gut begründet und durchdacht ist. Mögen diese Behauptungen zugespitzt sein, so bleibt es für Menschen mit bestehender Behinderung dennoch ein Problem, sich in der PKV zu versichern. Denn wenn sie nicht von vorn herein abgelehnt werden, müssen sie mit weitaus höheren Beiträgen rechnen.

Die Bundesregierung würde möglicherweise widersprechen und auf einen Passus in ihrem aktuellen Aktionsplan verweisen. Dort heißt es: „Seit dem 1. Januar 2009 haben behinderte Menschen im Übrigen grundsätzlich die Möglichkeit, sich in der privaten Krankenversicherung im so genannten Basistarif zu versichern.“ Also kann ein Behinderter doch ohne Weiteres vom guten Versicherungsschutz der privaten Anbieter profitieren?

Die ungeliebten Basis-Angebote

Mit den Basistarifen werden von der Bundesregierung nun ausgerechnet jene Angebote erwähnt, die von den privaten Versicherungen selbst als lästiges Übel betrachtet werden – und von denen sie sich schnellstmöglich wieder befreien wollen. Denn als die damalige Gesundheitsministerin Ulla Schmidt die privaten Anbieter im Jahre 2009 verpflichtete, einen Tarif anzubieten, der - unabhängig von Vorerkrankungen und Risikoprüfung - allen Versicherten offen steht, zog die Assekuranz bis vor das Bundesverfassungsgericht und wollte die Einführung verhindern. Die Basistarife: sie sind das ungeliebte Stiefkind der privaten Versicherer.

Ein wesentlicher Grund für die ablehnende Haltung besteht darin, dass die Versicherungen befürchten, besonders viele alte und kranke Menschen würden den neuen Tarif in Anspruch nehmen. Da die private Assekuranz mit den Beitragszahlungen ihrer Mitglieder Altersrückstellungen ansparen muss, sieht man mit den Basistarifen einen entscheidenden Grundsatz der Beitragsberechnung gefährdet: wer als Teil einer Risikogruppe rein statistisch höhere Kosten verursachen könnte, soll gefälligst auch mehr für seinen Vertrag zahlen. Hier werden Erinnerungen an den alten Witz wach, dass nur gesunde und junge Menschen in der PKV Versicherungsschutz genießen.

Für Behinderte eher nicht empfehlenswert

Entsprechend sind auch viele Basistarife gestaltet. So mancher Vertrag leistet nicht viel – und für Behinderte noch weniger.

Ein grundsätzliches Problem besteht darin, dass die Versicherungsanbieter niedrige Gebührensätze für behandelnde Ärzte ausgehandelt haben. Sie liegen sogar noch unter den Honorarsätzen, die in der gesetzlichen Krankenversicherung gezahlt werden. Nach Recherchen des ARD-Magazins Kontraste vom Oktober 2010 muss beispielsweise ein Psychotherapeut bis zu 40 Prozent weniger Honorar einplanen, wenn er einen Basisversicherten in seiner Praxis betreut.

Die Folgen können für die Versicherungsnehmer dramatisch sein. Viele Ärzte würden eine Behandlung verweigern und keine Termine geben. Oder die Betroffenen müssen um eine Behandlung regelrecht feilschen. Ein Selbstversuch der Kontraste-Journalisten verhärtete diesen Verdacht: als sie eine Verbraucher-Hotline in Heilbronn anriefen, um herauszufinden, welche Zahnärzte Basispatienten in ihre Kundendatei aufnehmen, waren nur 5 von 128 ansässigen Ärzten dazu bereit. Auch wenn die Bundesregierung von Einzelfällen spricht, so musste sie eingestehen, dass es Probleme bei der Behandlung von Patienten geben könne.

Gerade für behinderte Menschen ist es jedoch wichtig, bei Bedarf schnell einen Arzt in Anspruch nehmen können – sind sie doch häufiger als andere Personen auf Arztbesuche angewiesen. Lange Wege, weil ein Mediziner die Behandlung verweigert, sowie lange Wartezeiten auf eine Behandlung können noch schwerwiegendere Auswirkungen haben als bei einem Menschen ohne Beeinträchtigung, gleichsam das individuelle Wohlbefinden noch stärker negativ beeinflussen. Erschwerend kommt hinzu, dass die PKV auch an Krankentherapeuten und -gymnasten niedrigere Gebührensätze zahlt und diese gleichfalls eine Behandlung verweigern können. Hier weisen die Basistarife Mängel auf, die sogar zu einer Benachteiligung von Privatpatienten gegenüber gesetzlich Versicherten führen können.

Fazit

Anstatt die Einführung des Basistarifes als wichtigen Schritt zu mehr Gleichberechtigung zu begrüßen, wäre die Bundesregierung möglicherweise besser beraten, auf die Ungenügsamkeiten vieler Basisverträge hinsichtlich einer möglichen Behinderung hinzuweisen. Behinderte können von diesen Angeboten der PKV meist nicht profitieren. Doch auch für gesunde Versicherte ist bei manchem Dumping-Tarif doppelte Vorsicht geboten.

So weisen gerade einige sehr preiswerte Policen der PKV einen eingeschränkten Hilfsmittel-Katalog auf, der sich im Fall einer Behinderung negativ auswirken kann. Bei manchen Tarifen wird nicht einmal der Rollstuhl von der Versicherung bezahlt. Auch die Erstattung von Hörgeräten oder Prothesen ist innerhalb einiger Tarife nicht vorgesehen, gleichsam werden Krankengymnastik, Logopädie und Massagen nicht erstattet. Wer einen Ramschtarif bei der PKV abgeschlossen hat, muss die Kosten dann selbst tragen, auch wenn er nach einem Schlaganfall längere Zeit in Behandlung ist.

Im Falle einer Behinderung sind es jedoch gerade solche Maßnahmen, die eine Genesung begünstigen können. Manche Anbieter haben sogar psychologische Hilfsleistungen aus dem Katalog ihrer Billigtarife gestrichen und sind dann bei Eintreten einer geistigen Behinderung von jeder Leistungspflicht befreit. Hier gilt es abzuwägen, ob man bei einer längeren Krankheit auf Erspartes zurück greifen kann.

Mehr als 11,7% der Bevölkerung lebt in der Bundesrepublik mit einer Behinderung – das entspricht 9,6 Millionen Menschen. Die meisten davon, 7,1 Millionen, weisen sogar eine schwere Behinderung auf.