Weitgehend unbeachtet von der breiten Öffentlichkeit hat die Bundesregierung kurz vor dem Jahreswechsel 2010/2011 Banken und börsennotierten Unternehmen mehr Zeit für die juristische Aufarbeitung der Finanzkrise verschafft. 2005 – also vor gut fünf Jahren – trafen viele Chefetagen von Kreditinstituten Investitionsentscheidungen, die sich möglicherweise noch als Weichen stellend für das spätere Zusammenbrechen der Institute und Finanzmärkte erweisen könnten.

Bankmanager und Bankaufseher haften jetzt zehn statt wie bisher fünf Jahre persönlich

Um zu verhindern, dass etwaige Schadenersatzansprüche der Gesellschaften gegenüber ihren damaligen Entscheidungsträgern zu Silvester sang und klanglos verjähren, verdoppelte die Regierung Mitte Dezember 2010 in ihrem Restrukturierungsgesetz „quasi auf den letzten Drücker“ die Verjährungsfristen für Entscheider von fünf auf zehn Jahre.
„Damit bleibt den betroffenen Banken jetzt genügend Zeit, Schadenersatzansprüche, die bis zum Stichtag 15. Dezember 2010 noch nicht verjährt waren, gegenüber ihren Managern und Chefkontrolleuren geltend zu machen“, erläutert Michael Hendricks, Gründer und Geschäftsführer des auf D&O-Versicherungen spezialisierten Beratungsunternehmens in Düsseldorf.

Verlängerte Managerhaftung trifft auch die Chefetagen börsennotierter Unternehmen

Doch auch börsennotierte Unternehmen haben jetzt mehr Zeit, Pflichtverletzungen aufzudecken und der Frage nachzugehen, welche Rolle ihre Vorstände und Aufsichtsräte bei Fällen von Korruption, Kartellabsprachen oder anderen Rechtsverstößen gespielt haben. „Mit den verlängerten Haftungsfristen ist das Risiko für Manager insgesamt enorm gestiegen, persönlich zur Kasse gebeten zu werden“, urteilt D&O-Experte Hendricks.
Manager konnten bislang darauf bauen, nach fünf Jahren aus dem Schneider zu sein. Jetzt aber werden sie sich kaum noch in Sicherheit wiegen können. „Im Extremfall ist es den Unternehmen nun möglich, Schadenersatz gegen Vorstände und Aufsichtsräte erfolgreich geltend zu machen, die schon zehn Jahre lang nicht mehr für das Unternehmen tätig sind“, warnt Prof. Dr. Michael Kliemt, Fachanwalt für Arbeitsrecht von der Kanzlei "Kliemt & Vollstädt" in Düsseldorf.
Zehn Jahre sind im Wirtschaftsleben eine unendlich lange Wegstrecke. Wer bei seinem Vorgänger oder Vorvorgänger Kasse machen will, hat nun genügend Zeit, nach Pflichtverletzungen zu suchen und Schadenersatzansprüche durchzusetzen. „Es ist wichtiger denn je, sich bereits im Vorstands- Dienstvertrag den Abschluss und die Aufrechterhaltung einer umfassenden D&O-Versicherung zusichern zu lassen“, rät Kliemt.

Der Faktor Zeit ist bei Schadenersatzansprüchen gegen Manager entscheidend

Spektakuläre Auseinandersetzungen wie der VW- Skandal, der Mannesmann-Prozess und die um die schwarzen Kassen bei Siemens haben gezeigt, welche entscheidende Rolle der Faktor Zeit bei der Aufdeckung von Pflichtverletzungen spielen: „Erstens kommen die Folgen von Fehlentscheidungen der Topmanager erst mit großem Zeitverzug ans Licht. Und zweitens liefert kein Vorstand oder Aufsichtsrat sich und seine Kollegen gerne selbst ans Messer“, so Hendricks. „Das Personalkarussell im Vorstand oder Aufsichtsrat muss sich in der Regel erst einmal gedreht haben, bis Unternehmen Fehlverhalten ihres eigenen Führungspersonals ahnden.“

D&O-Policen müssen jetzt an die längeren Fristen angepasst werden

Die verlängerten Haftungsfristen setzen aber auch die Unternehmen in Zugzwang. Denn wollen sie im Ernstfall nicht auf Schadenersatzansprüchen sitzen bleiben, sollten sie jetzt dafür sorgen, dass ihr D&O-Versicherer die Managerhaftpflichtpolicen ihrer Führungskräfte den neuen Verjährungsfristen anpasst. Bislang bieten D&O-Policen für die verlängerte Managerhaftung nämlich noch keinen lückenlosen Schutz. Vor allem beim Wechsel des Versicherers oder wenn der Vertrag aus anderen Gründen ausläuft, fehlt die Deckung.

Die Assekuranzen denken noch darüber nach, wie sie ihrerseits mit der gesetzlichen Neuregelung umgehen sollen. Zurzeit räumen D&O-Versicherer für die Deckung von Schadenersatzansprüchen nur Nachmeldefristen von fünf, allenfalls sechs Jahren nach Ende des Versicherungsschutzes ein. Diese Frist gilt es nun, auf zehn Jahre zu verlängern. „Die Chancen, dass die D&O-Versicherungen gegen einen Prämienaufschlag entsprechende Lösungen anbieten werden, stehen gut“, urteilt D&O-Experte Hendricks. „Die Unternehmen werden ihre Führungskräfte nicht im Regen stehen lassen können und sind häufig schon aufgrund von entsprechenden Regelungen, die sie mit ihren Managern in den Anstellungsverträgen vereinbart haben, dazu verpflichtet, die Versicherer auf Anpassung der Versicherungsverträge zu drängen“, sagt Kliemt.
Werden die Unternehmen nicht aktiv, riskieren sie, sich gegenüber den Vorstands- und Aufsichtsgremien ihrerseits schadenersatzpflichtig zu machen.

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