Die vom DIW Berlin jetzt erstmals vorgenommene erweiterte Vermögensmessung zeigt:
Die Ungleichheit ist geringer als bei herkömmlichen Analysen, die sich allein auf Geld- und Sachvermögen beziehen. Der dämpfende Effekt des Alterssicherungsvermögens hat mehrere Gründe:
So besitzt zwar mehr als ein Viertel der Bevölkerung gar keine Geldvermögen, Immobilien und Betriebsvermögen oder ist sogar verschuldet. Allerdings erwerben praktisch alle Erwachsenen Ansprüche an die diversen Alterssicherungssysteme.
Gleichzeitig sind die Rentenansprüche in der Gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) aufgrund der Beitragsbemessungsgrenze gedeckelt – selbst mit einem Spitzeneinkommen kann man hier nur Rentenansprüche bis zu einer gewissen Höhe erwerben.

„Die Konzentration der jetzt erstmals um Renten- und Pensionsanwartschaften erweiterten Vermögen bleibt aber sehr hoch und die dämpfende Wirkung des Alterssicherungsvermögens wird künftig wohl an Bedeutung verlieren,“ sagt Joachim Frick, zusammen mit Markus Grabka einer der beiden Autoren der DIW-Studie. „Gleich mehrere Faktoren schlagen hier zu Buche: Sinkende Versorgungsniveaus in Folge der Reformen der Alterssicherungssysteme, zunehmende, oft durch Arbeitslosigkeit bedingte Lücken im Erwerbsverlauf - mit dem Risiko zunehmender Altersarmut.“

Nach neuen Berechnungen auf Basis des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) beliefen sich die individuellen Renten- und Pensionsanwartschaften in Deutschland für 2007 insgesamt auf rund 4,6 Billionen Euro. Im Durchschnitt entspricht dies 67.000 Euro je Erwachsenem.
Zusammen mit dem individuellen Geld- und Sachvermögen von durchschnittlich 88.000 Euro ergibt sich dadurch ein erweitertes Gesamtvermögen von im Schnitt mehr als 150.000 Euro pro Person.

Mehr Altersarmut in Ostdeutschland

Beunruhigt sind die DIW-Experten mit Blick auf die zukünftige Entwicklung der Vermögen. „Zusätzliche private Vorsorge wird nach den Reformen bei der Alterssicherung unbestritten immer wichtiger“, betont Markus Grabka. Schon heute sei zu beobachten, dass die Vermögendsten besonders stark private Altersvorsorge betreiben, dass aber die private Vorsorge am unteren Ende der Einkommens- und Vermögensskala besonders schwach ausgeprägt ist.
Geringverdiener dürften künftig bei der Vermögensbildung also noch stärker zurückfallen als heute.
Problematisch sei außerdem, dass Langzeitarbeitslose so gut wie kein Alterssicherungsvermögen aufbauen. „Man muss deshalb davon ausgehen, dass die Vermögensungleichheit auch bei der Alterssicherung zunimmt und wir auf mehr Altersarmut zusteuern“, so das Fazit von Markus Grabka. „Dies gilt besonders für Ostdeutschland, denn hier haben wir ohnehin eine geringere Vermögensbildung als im Westen und deutlich mehr Langzeitarbeitslose.“

Große Unterschiede nach beruflicher Stellung: Beamte vorn

Die jetzt vom DIW veröffentlichte Gesamtschau der Vermögenssituation erlaubt auch einen Vergleich nach beruflicher beziehungsweise sozialer Stellung. Nicht nur die Struktur der Altersversorgung auf Basis privater, betrieblicher und gesetzlicher Vorsorgetätigkeit unterscheidet sich stark für Angestellte, Beamte und Selbständige, auch die Vermögenslage dieser Gruppen gestaltet sich sehr unterschiedlich:
Überdurchschnittlich gut schneiden bei einer solchen Gesamtschau Beamte und Pensionäre ab. „Ihnen kommt zugute, dass sie keine eigenen Beiträge für die Altersvorsorge leisten müssen. Sie unterliegen auch keinem Arbeitslosigkeitsrisiko und haben deshalb im Allgemeinen ununterbrochene Erwerbsverläufe,“ betont Joachim Frick.
Außerdem ist das allgemeine Versorgungsniveau bei Pensionären deutlich höher als bei abhängig Beschäftigten in der GRV.

Unter Berücksichtigung der Alterssicherungsvermögen relativiert sich auch die dominierende Stellung der Selbständigen in der Netto-Geld- und Sachvermögenshierarchie. So weisen Pensionäre im Durchschnitt ein erweitertes Nettovermögen (inklusive Pensionsanwartschaften) in Höhe von mehr als 500.000 Euro auf und damit mehr als beispielsweise Selbständige mit einem Betrieb mit bis zu neun Mitarbeitern.
Bezieher einer Gesetzlichen Rente erreichen dagegen nicht einmal die Hälfte dieses Wertes.

„Angesichts der aktuellen Entwicklungen in der Gesetzlichen Rentenversicherung erscheinen die Beitragsfreiheit zur Alterssicherung von Beamten während der Erwerbszeit und das überdurchschnittliche Versorgungsniveau im Pensionsalter zumindest diskussionsbedürftig“, so die Bewertung von Joachim Frick.

Hintergrund 1: Rentenanwartschaft und Pensionsanspruch – echtes oder fiktives Vermögen?

Untersuchungen zur Vermögensverteilung hatten bisher einen zentralen Schwachpunkt:
Sie blendeten aufgrund fehlender Daten aus, welche Vermögensansprüche gegenüber Alterssicherungssystemen etwa in Form von Rentenanwartschaften oder Pensionsansprüchen bestehen. Gerade im Falle von Selbständigen kann dies zu einer anderen Interpretation der Ergebnisse führen, denn: Selbständige müssen nicht in die Gesetzliche Rentenversicherung einzahlen. Sie betreiben in der Regel selbst Vorsorge für das Alter - in Form von Immobilien, privaten Versicherungen oder dem Betriebsvermögen.

Auch wenn also die neuen SOEP-Daten inklusive des Alterssicherungsvermögens nun ein umfassenderes Bild der Vermögensverteilung liefern und gesetzlich Rentenversicherte und Beamte damit im Schnitt „vermögender“ werden, so ist Vermögen doch nicht gleich Vermögen.
Mit anderen Worten: Was unterscheidet einen Angestellten mit einem Geld- und Sachvermögen von 100.000 Euro und einem zusätzlichen Vermögen aus Rentenanwartschaften in Höhe von 100.000 Euro von einem Selbständigen ohne Rentenansprüche, aber mit einem Geld- und Sachvermögen von 200.000 Euro?

Der Unterschied hat mit dem weitgehend fiktiven Charakter des Alterssicherungsvermögens zu tun. So kann man Alterssicherungsvermögen nicht beleihen und kann es sich auch nicht vorzeitig auszahlen lassen. Außerdem hat es keinen festgelegten, privatwirtschaftlich gesicherten Wert, weil in der gesetzlichen Rentenversicherung nur Entgeltpunkte gesammelt werden und der Rentenwert von der Politik neu festgelegt werden kann. Das heißt, es gibt durchaus verschiedene Argumente, warum diese Versorgungsansprüche nur eingeschränkten Vermögenscharakter haben.

Hintergrund 2: So haben die DIW-Wissenschaftler gerechnet

Die Berechnungen des DIW Berlin stützen sich auf Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) von 2007. Das SOEP ist eine am DIW Berlin angesiedelte Wiederholungsbefragung von mehr als 12.000 Haushalten zu sozialen und wirtschaftlichen Lebensverhältnissen. Da Jahr für Jahr die gleichen Menschen befragt werden, eignen sich die Daten sehr gut, um gesellschaftliche Trends und Entwicklungen zu verfolgen.

Für die hier veröffentlichte Untersuchung der Vermögensverteilung wurden neben dem Geld- und Sachvermögen erstmals in Deutschland auch die individuellen Alterssicherungsvermögen berücksichtigt. Konkret handelt es sich dabei um Anwartschaften an die gesetzliche Rentenversicherung und an die Beamtenversorgung. Ansprüche an berufsständische Versorgungssysteme, an die Alterssicherungskassen der Landwirte und an Betriebsrenten konnten nur zum Teil erfasst werden.

Hintergrund 3: So sieht die Vermögensverteilung ohne Alterssicherungsvermögen aus

Betrachtet man ausschließlich das Geld- und Sachvermögen ohne Renten- und Pensionsansprüche, gibt es deutlich größere Unterschiede bei der Vermögensverteilung. Und die Ungleichheit der Vermögensverteilung in Deutschland ist zwischen 2002 und 2007 weiter gestiegen. Dabei haben sich auch die Unterschiede zwischen West- und Ostdeutschland weiter vergrößert. Während in Westdeutschland die Nettovermögen seit 2002 um gut elf Prozent anstiegen, sind sie in Ostdeutschland um knapp zehn Prozent gesunken. Neben der hohen Arbeitslosenquote ist auch der Preisverfall selbstgenutzter Immobilien in Ostdeutschland für diese Entwicklung verantwortlich.

Mit Blick auf die künftige Alterssicherung besorgniserregend ist auch eine weitere Entwicklung: So ist für die mittleren Altersgruppen von 36 bis 65 Jahren, in denen „normalerweise“ eher Vermögen aufgebaut wird, in Ostdeutschland ein Vermögensrückgang zu konstatieren. Dieser beläuft sich je nach Altersgruppe auf 7 000 bis 14 000 Euro, was einem Verlust von 10 bis 17 Prozent entspricht.

Die untere Hälfte der Bevölkerung tritt beim Vermögen auf der Stelle

Insgesamt verfügten die privaten Haushalte in Deutschland 2007 über ein Netto-Geld- und Sachvermögen von gut sechs Billionen Euro. Rechnerisch entspricht dies rund 88.000 Euro pro Erwachsenem. Im Gegensatz zum Durchschnittsvermögen liegt jedoch der Median des Nettovermögens bei nur etwa 15.000 Euro. Der Median ist der Wert, der die reichere Hälfte der Bevölkerung von der ärmeren trennt.
Mehr als ein Viertel aller Erwachsenen (27 Prozent) verfügten über kein persönliches Vermögen oder waren sogar verschuldet, während das reichste Zehntel der Bevölkerung über ein Netto-Geld- und Sachvermögen von mindestens 222.000 Euro verfügte. Die Vermögensentwicklung zeigt auch, dass die politischen Bemühungen um eine verstärkte private Altersvorsorge zumindest bei einem Teil der Bevölkerung Wirkung zeigen. So hat sich der Wert des in privaten Versicherungen angelegten Vermögens zwischen 2002 und 2007 um rund 18 Prozent vergrößert. Diese Entwicklung kann unter anderem durch die Reformen zur Förderung der privaten Altersvorsorge (Riester- oder Rürup-Rente) erklärt werden.
Auch die Sparquote ist zwischen 2002 und 2007 deutlich von 9,9 Prozent auf 10,8 Prozent gestiegen.

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