Das Versorgungswerk der Berliner Zahnärztekammer (VZB) steuert auf eine existenzielle Finanzkrise zu. Nach vorläufigen Berechnungen erwartet das VZB einen Verlust von rund 1,1 Milliarden Euro. Einhergehend damit hätte sich das Anlagevermögen nahezu halbiert. Bei den Zahlen „vorläufige Schätzungen. Das abschließende Ergebnis wird voraussichtlich im ersten Quartal 2026 vorliegen", erklärt Thomas Schieritz, neuer Vorsitzender des Verwaltungsausschusses, gegenüber "rbb24 Recherche".

Anzeige

Eine Initiative namens WEU – WirEngagierenUns hat sich direkt an Bundesgesundheitsministerin Nina Warken gewandt. Der Brief, der dem "rbb" vorliegt, lässt an Dramatik nichts vermissen. „Eindringlich“ wird die Ministerin gebeten, die Kontrolle über das in Schieflage geratene Versorgungswerk zu übernehmen. Zudem fordern die Verfasser ein „Sondervermögen des Bundes“, um die Verluste auszugleichen. Die Zahnärzte warnen in drastischen Worten vor einem „Systemkollaps“ und vor massiven Abwanderungsbewegungen junger Zahnärzte, sollte der Bund nicht eingreifen. Die ambulante Versorgung in der Region stünde sonst „ernsthaft infrage“.

Riskante Anlagen und fehlende Bewertungen

Die Misere scheint das Ergebnis mehrerer Jahre riskanter Anlagepolitik zu sein. Nachdem die Renditen sicherer Anlagen sanken, wurden offenbar zunehmend Investments getätigt, die nicht zum Risikoprofil eines Versorgungswerks passen. Darunter befinden sich etwa Ferienresorts auf Ibiza, Hotelprojekte und Beteiligungen an digitalen Versicherern.

Der neue Verwaltungsausschuss spart nicht mit Kritik. Schieritz bewertet die Vorgänge ungewöhnlich deutlich: „Diese Anlagepraxis war unzulässig, unvernünftig und strukturell fehlgesteuert.“ Ein Teil der Investments habe den Vorgaben des Versorgungswerks sowie Landes- und Bundesrecht widersprochen. Zudem habe es „über einen langen Zeitraum […] keine verlässliche Bewertung der Anlagen“ gegeben. Sein Fazit: „Ein Versorgungswerk soll und darf sein Geld so nicht anlegen.“

Gegen mehrere ehemalige Mitglieder des Verwaltungsausschusses ermittelt mittlerweile die Generalstaatsanwaltschaft. Die Vorwürfe reichen von Vorteilsnahme, über Bestechlichkeit bis hin zur Beihilfe.

BaFin will Kosten bei Pensionskassen und -fonds nicht strenger beaufsichtigen

Der Fall kommt nicht völlig überraschend. Bereits im April 2024 erklärte die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), sie wolle Pensionskassen und Versorgungswerke nicht stärker beaufsichtigen – trotz wiederholter Krisenmeldungen aus der Branche. Die damalige Entscheidung galt als Entlastung für die Institutionen, die eigenverantwortlich agieren. Heute zeigt sich die Kehrseite. Denn fehlende Kontrolle bedeutet auch größere Haftungsrisiken für die Mitglieder. Hinzu kommt, dass auch Versicherer und Pensionskassen bereits früher mit problematischen Investments konfrontiert waren. So hatte der Versicherungsbote über die Insolvenz der Element Insurance AG berichtet, die Versorgungswerke wie das der Zahnärzte unter Druck setzte. Auch der Fall um den „Berliner Fürst“ sorgte für Schlagzeilen – dort warnten Marktbeobachter vor drohenden Totalverlusten für institutionelle Investoren, darunter auch Pensionskassen.

Dass es nun ausgerechnet ein traditionsreiches Berufsversorgungswerk trifft, zeigt: Die Herausforderungen reichen weit über Einzelfälle hinaus. Sinkende Kapitalerträge, gestiegene Zinsanforderungen und der Druck, Rendite zu sichern, haben in den vergangenen Jahren zu zunehmend komplexen Anlageformen geführt. Der Fall dürfte jedoch auch die Diskussion um eine stärkere Aufsicht über Versorgungswerke neu beleben. Zudem dürfte der Ruf nach klareren Regeln für deren Kapitalanlagen lauter werden.

Anzeige