Bundessozialgericht: Was der „Wetten, dass..?“-Fall über den Unfallversicherungsschutz lehrt
Samuel Kochs Fall verdeutlicht die Grenzen des gesetzlichen Unfallversicherungsschutzes. Warum das Urteil des Bundessozialgerichts die Möglichkeit gibt, über eine weitergehende Auslegung des Unternehmerbegriffs zu diskutieren, erklären die Rechtsanwälte Benjamin Onnis und Meltem Kaya-Simsek von der FPS Rechtsanwaltsgesellschaft.

2010 verunglückte der 23-jährige Samuel Koch während eines Live-Auftritts in der ZDF-Sendung „Wetten, dass..?“, als er mit Sprungstelzen über mehrere fahrende Autos springen wollte und beim vierten Fahrzeug stürzte. 2020 beantragte er, den Vorfall als Arbeitsunfall anzuerkennen. Die Berufsgenossenschaft sowie das Sozialgericht Mannheim und das Landessozialgericht Baden-Württemberg lehnten dies ab. Das Bundessozialgericht hob die Entscheidung am 24. September 2025 (B 2 U 12/23 R) auf und verwies den Fall zur weiteren Prüfung zurück. Zwar liege kein Beschäftigten- oder Ehrenamtsschutz vor, offen blieb jedoch, ob Koch als nicht versicherter Unternehmer nach § 105 Abs. 2 SGB VII gleichgestellt sein könnte, da der Unfall durch seinen Vater als Fahrer verursacht wurde.
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1. Der rechtliche Rahmen: Wann besteht gesetzlicher Unfallversicherungsschutz?
Die gesetzliche Unfallversicherung (§§ 2, 8 SGB VII) schützt Personen bei Arbeitsunfällen, also bei zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignissen infolge einer versicherten Tätigkeit. Versichert sind nicht nur Arbeitnehmer (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII), sondern auch Personen, die „wie Beschäftigte“ tätig werden – etwa Teilnehmer an betrieblichen Veranstaltungen, Schüler, Studierende, ehrenamtlich Tätige oder bestimmte Freiwillige (§§ 2 Abs. 1 Nr. 8, 10, 12 SGB VII). Entscheidend ist, wie das konkrete Tätigkeitsverhältnis rechtlich einzuordnen ist.
Koch und das ZDF schlossen einen Mitwirkendenvertrag, der die Haftung des Senders auf Fahrlässigkeit begrenzte. Eine Vergütung war nicht vorgesehen, nur Reisekosten wurden erstattet. Beide Seiten gingen davon aus, dass Koch als freier Mitarbeiter handelte. Ein gesetzlicher Versicherungsschutz bestand daher nicht: Koch war weder in den Sendebetrieb eingegliedert noch weisungsgebunden, traf alle wesentlichen Entscheidungen selbst und blieb damit außerhalb eines Beschäftigtenverhältnisses.
2. Es bestand kein klassischer Beschäftigtenschutz
Die Vorinstanzen und das BSG kamen zu dem Ergebnis, dass Koch nicht in einem Arbeitsverhältnis oder in einer wie-Beschäftigten Stellung stand. Ausschlaggebend waren: Er hatte sein Wett-Team selbst zusammengestellt, agierte eigenorganisiert und war nicht in eine Betriebsorganisation des Senders eingegliedert. Zudem dient sein Engagement primär eigenen wirtschaftlichen Interessen – nämlich Bekanntheit und Vermarktung – nicht vorrangig fremdnützigen Zwecken der Sendung. Auch die Vertragsgestaltung (Mitwirkendenvertrag) unterschied sich von typischen beschäftigungsrechtlichen Verhältnissen.
Damit fehlen die typischen Merkmale einer versicherten Beschäftigung: Fremdveranlassung, Weisungsgebundenheit, betriebliche Eingliederung. Versicherungsrechtlich ist somit keine einfache Anwendung des § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII möglich.
3. War Koch ein „Wie-Beschäftigter“ ?
Als „Wie-Beschäftigter“ gilt, wer fremdnützig für ein Unternehmen in ähnlicher Weise tätig wird wie ein regulär Beschäftigter nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII. Die Tätigkeit muss für einen Unternehmer ausgeübt und für das Unternehmen einen wirtschaftlichen oder organisatorischen Wert besitzen. Das Vorliegen einer „Wie-Beschäftigung“ wurde von den Gerichten aufgrund der sogenannten Handlungstendenz verneint. Entscheidend ist, ob jemand nach seiner inneren Willensrichtung im fremden Interesse handelt und die Absicht hat, ein Geschäft für einen anderen zu besorgen. Fehlt diese Fremdnützigkeit, besteht kein Versicherungsschutz. Genau dies stellten die Gerichte im Fall Samuel Koch fest: Er hatte sein Team selbst zusammengestellt, die Wette eigenständig organisiert und handelte weder im Auftrag noch unter Weisung des ZDF. Er agierte als eigenverantwortlicher Regisseur, seine Handlungstendenz war daher überwiegend eigenwirtschaftlich geprägt.
4. Warum kein Ehrenamt vorliegt
Eine ehrenamtliche Tätigkeit wurde ebenfalls verneint. Grundsätzlich besteht bei bürgerschaftlichem Engagement in Körperschaften des öffentlichen Rechts Unfallversicherungsschutz, wenn die Tätigkeit unentgeltlich erfolgt und dem Gemeinwohl dient. Dies lag hier nicht vor. Koch übernahm keine Aufgabe im Interesse der Allgemeinheit. Zwar diene die Sendung der Unterhaltung des Publikums, jedoch war Kochs Handlungstendenz nicht auf das Gemeinwohl, sondern auf eigene Zwecke gerichtet. Er wollte in erster Linie sein Können zeigen und seine persönliche Bekanntheit steigern.
5. Möglichkeit des Schutzes als nicht versicherter Unternehmer (§ 105 Abs. 2 SGB VII)
Nach § 105 Abs. 2 SGB VII kann ein nicht versicherter Unternehmer unfallversichert sein, wenn er durch eine im Betrieb tätige Person einen Unfall erleidet. Dafür muss ein betrieblicher Zusammenhang bestehen, also ein gemeinsamer unternehmerischer Zweck.
Im Fall Koch spricht dafür, dass er sein Wett-Team selbst organisiert und die Abläufe koordiniert hat – Koch als Ausführender, sein Vater als Fahrer. Dagegen spricht, dass das Team nur für eine einmalige Show bestand und keinen dauerhaften oder wirtschaftlichen Zweck verfolgte. Auch die Tätigkeit des Vaters beruhte eher auf familiärer Hilfe als auf betrieblichem Handeln. Ob § 105 Abs. 2 SGB VII greift, bleibt daher offen.
Fazit
Samuel Koch stand beim Unfall nicht unter gesetzlichem Unfallversicherungsschutz. Weder ein Arbeits- noch ein Wie-Beschäftigtenverhältnis lag vor, da er eigenständig und im eigenen Interesse handelte. Auch eine ehrenamtliche Tätigkeit war nicht gegeben.
Ob er als nicht versicherter Unternehmer nach § 105 Abs. 2 SGB VII gleichgestellt werden kann, ist noch offen. Der Fall zeigt, dass Selbstständige und Showteilnehmer ohne Eingliederung in fremde Strukturen regelmäßig keinen gesetzlichen Unfallschutz genießen.
