BGH: Versicherung muss Regelungslücke bei Pflegeversicherung schließen
Pflegestufen gibt es seit 2017 nicht mehr. Doch viele Altverträge enthalten sie aber noch. Der BGH entschied nun, dass sich Versicherer nicht einfach auf die fehlende Einstufung berufen. Vermittler sollten ihre Bestände deshalb dringend prüfen.

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Der Bundesgerichtshof (BGH) hat am 20. August 2025 (Az.: IV ZR 164/23) ein für die Praxis bedeutsames Urteil gefällt. Denn in einem Streit um Leistungen aus einer sogenannten Existenzschutzversicherung stellte er klar, dass Versicherungsbedingungen nicht ins Leere laufen dürfen, wenn sich gesetzliche Grundlagen ändern. Hier hatte die Pflegereform aus Pflegestufen Pflegegrade gemacht. Das Urteil betrifft viele Policen, die noch auf alte Pflegestufen Bezug nehmen, obwohl diese seit 2017 nicht mehr existieren.
Ein Versicherungsnehmer hatte seit 2011 eine Existenzschutzversicherung. Diese sah unter anderem die Zahlung einer monatlichen Rente vor, wenn der Kunde in eine Pflegestufe nach dem damaligen Sozialgesetzbuch XI eingestuft wird. Doch zum 1. Januar 2017 trat das Pflegestärkungsgesetz II in Kraft und aus Pflegestufen wurden Pflegegrade. Die Versicherung passte ihre Bedingungen im alten Tarif des Kunden nicht an.
Der Mann wurde 2017 dienstunfähig in den Ruhestand versetzt und später in Pflegegrad 2 eingestuft. Er beantragte die vertraglich vereinbarte Pflegerente. Die Versicherung verweigerte die Zahlung mit der Begründung: „Pflegestufen“ seien Bedingung und diese gäbe es nicht mehr.
Während das Landgericht dem Kläger weitgehend Leistungen zusprach, hob das Oberlandesgericht Frankfurt das Urteil jedoch auf. Es gebe keine Grundlage mehr, da die Bedingung ausdrücklich Pflegestufen nenne. Eine Umdeutung auf Pflegegrade sei nicht vorgesehen.
Der BGH korrigierte das nun und stellte klar: Hier liegt eine planwidrige Regelungslücke vor. Als der Vertrag 2011 geschlossen wurde, gingen beide Parteien selbstverständlich davon aus, dass Pflegestufen die verbindliche Grundlage für Pflegebedürftigkeit sind. Dass der Gesetzgeber diesen Maßstab später abgeschafft und durch Pflegegrade ersetzt hat, konnte keiner der Vertragsparteien vorhersehen. Damit sei es nicht zulässig, das Leistungsversprechen der Versicherung ins Leere laufen zu lassen. Vielmehr müsse eine ergänzende Vertragsauslegung erfolgen: Also die Frage, was die Parteien redlicherweise vereinbart hätten, wenn sie die Reform vorausgesehen hätten.
Die Richter betonten zugleich: Pflegegrad 2 entspricht nicht automatisch der früheren Pflegestufe I. Denn mit der Reform wurde der Begriff der Pflegebedürftigkeit deutlich erweitert. Insbesondere psychische und kognitive Einschränkungen führen nun schneller zu einer Einstufung. Würde man jeden Pflegegrad 2 automatisch einer Pflegestufe gleichsetzen, könnte das die Kalkulation der Versicherer erheblich verändern.
Das bedeutet auch, ob ein Versicherter Anspruch hat, hängt vom Einzelfall ab. Gegebenenfalls müssen Sachverständige prüfen, ob der gesundheitliche Zustand nach altem Maßstab einer Pflegestufe entsprochen hätte.
Für Vermittler ergeben sich wichtige Hinweise:
- Altverträge prüfen: Policen, die noch Pflegestufen nennen, sind in der Praxis problematisch. Kunden könnten sich bei Pflegegraden auf das BGH-Urteil berufen.
- Beratungspflicht: Vermittler müssen aufklären, dass Leistungsansprüche nicht automatisch an Pflegegrade gekoppelt sind, sondern geprüft werden muss, ob die Bedingungen greifen.
- Vertrauensfrage: Kunden erwarten, dass die Versicherung in Pflegefällen zahlt. Vermittler sollten deshalb prüfen, ob Neuverträge mit klaren Regelungen zu Pflegegraden sinnvoller sind.
- Haftungsgefahr: Wer seinen Kunden nicht auf die rechtliche Unsicherheit hinweist, läuft Gefahr, später in Haftung genommen zu werden.
Das BGH hat den Sachverhalt zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht und damit an das OLG Frankfurt zurückverwiesen.