Bernd Raffelhüschen: 'Eine gewaltige Rentenerhöhung, über die keiner spricht'
Der Ökonom Bernd Raffelhüschen stellt sich demonstrativ hinter den Vorschlag von Wirtschaftsministerin Katherina Reiche das Renteneintrittsalter zu erhöhen. Der Rentenexperte spricht von einem „überfälligen“ Schritt und rechnet vor, wie sehr sich die Rentenbezugsdauer verlängert hat.

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Die Diskussion um eine längere Lebensarbeitszeit nimmt Fahrt auf. Nach dem Wirtschaftsministerin Katherina Reiche eine Anhebung der Lebensarbeitszeit gefordert hatte, war Kritik von vielen Seiten auf sie eingeprasselt. Dabei hatte die CDU-Politikerin insbesondere auf den demografischen Wandel sowie die steigende Lebenserwartung hingewiesen: „Der demographische Wandel und die weiter steigende Lebenserwartung machen es unumgänglich: Die Lebensarbeitszeit muss steigen“, erklärte Reiche in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Menschen in Deutschland arbeiteten verhältnismäßig zu wenig. „Es kann jedenfalls auf Dauer nicht gut gehen, dass wir nur zwei Drittel unseres Erwachsenenlebens arbeiten und ein Drittel in Rente verbringen“, mahnte Reiche. Deutschland müsse sich der Realität stellen. „Wir müssen mehr und länger arbeiten.“
Nun hat sich Rentenexperte Bernd Raffelhüschen zu dem Thema geäußert und stärkt Reiche bewusst den Rücken. Noch viel mehr: Raffelhüschen lobt den Vorstoß der Bundeswirtschaftsministerin als „generationengerecht“ und lange überfällig. Die Politik habe es über Jahrzehnte versäumt, das Renteneintrittsalter der gestiegenen Lebenserwartung anzupassen, kritisiert der Ökonom.
Reiche hatte in der „FAZ“ dafür plädiert, die Frühverrentung unattraktiver zu machen und stattdessen Anreize für längeres Arbeiten zu schaffen. Raffelhüschen unterstützt diese Haltung ausdrücklich und liefert eine klare Rechnung: Während ein Ruheständler in den 1960er- oder 70er-Jahren im Schnitt zehn bis elf Jahre Rente bezog, liegt die Rentenbezugsdauer heute bei über 20 Jahren. Zudem hätten Arbeitnehmer früher 4,5 Jahre für ein Jahr Rente gearbeitet. Heute „da liegt das Verhältnis bei zwei Jahren Arbeit für ein Jahr Rentenbezug – eine gewaltige Rentenerhöhung, über die keiner spricht. Würden wir das Renteneintrittsalter der tatsächlichen Lebenserwartung anpassen, lägen wir schon jetzt bei 68 bis 69 Jahren“, so der Rentenexperte.
Daher sei der Vorschlag „ein wertvoller Beitrag zur Sicherung des Rentensystems. Ich denke, die Union unter Kanzler Merz hat nur zu große Angst, ein weiteres Wahlversprechen zu brechen – daher die große Zurückhaltung bei CDU/CSU, ihr beiseite zu springen“, kritisiert Raffelhüschen.
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Der Ökonom sieht generell auf die gesetzliche Rentenversicherung ernsthafte Legitimationsprobleme zukommen, wenn das Rentenniveau bei mindestens 48 Prozent bestehen bleibt. Das wird massiv steigende Rentenbeiträge erfordern, sodass die junge Generation einseitig die Rentenlast zu schultern hätte. Mit dieser Politik trage die junge Generation die Rentenlast, während die alte Generation - die Babyboomer - als Verursacher der Situation geschont werde, hatte Raffelhüschen schon früher gewarnt. Und das bedeute für die gesetzliche Rentenversicherung ein ernstes Legitimationsproblem. "Wir dürfen nicht davon ausgehen, dass unsere Kinder dauerhaft massive Beitragserhöhungen schultern. Irgendwann wird die Akzeptanz für die umlagefinanzierte Rente schwinden. Dann bekommen wir einen intergenerativen Verteilungskonflikt, den wir verursachergerecht lösen müssen", warnt Raffelhüschen.
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„Das Rentenzugangsalter muss schnellstmöglich erhöht werden“, forderte der Ökonom bereits im März 2024. Notwendig seien aus seiner Sicht aber weitere Schritte, um die gesetzliche Rente zu stabilisieren: mehr Frauen sollen in Vollzeit arbeiten, die Zuwanderung solle streng nach Qualifikation gesteuert werden und der Beitragssatz zur Rente müsse gesetzlich festgeschrieben werden: folglich eine Art Obergrenze, über die der Rentenbeitrag nicht steigen darf.