Versicherungsbote: Trotz eines Beitragswachstums auf über vier Milliarden Euro sank der Jahresüberschuss der VHV Gruppe deutlich von 211,2 Millionen Euro auf 138,5 Millionen Euro. Worin liegen die Hauptgründe für diesen Rückgang?

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Thomas Voigt: Um unseren Erfolg zu bewerten, ziehen wir das operative Ergebnis heran, weil es unsere wirtschaftliche Leistung bemisst. Das operative Ergebnis hat sich von 217 Mio. Euro in 2023 auf 254 Mio. Euro in 2024 entwickelt, das entspricht einer Steigerung von über 17 Prozent. Für die Entwicklung des Jahresüberschusses ist vor allem die Veränderung der Schwankungsrückstellung entscheidend: Während wir im Jahr 2023 noch 83 Mio. Euro entnommen haben, wurden in 2024 wieder 22 Mio. Euro zugeführt. Allein dieser Shift von ca. 100 Mio. Euro wirkt sich auf das Ergebnis in der Gewinn-und-Verlustrechnung natürlich ganz erheblich aus. Für uns stehen die langfristige Profitabilität und Resilienz im Fokus der Unternehmensführung.

Die Anzahl der Verträge in der VHV Allgemeine ging leicht zurück – wie passt dieser Rückgang zu Ihrer Wachstumsstrategie im Kompositgeschäft?

Der leichte Rückgang in der Vertragszahl geht allein auf den Bereich Kfz zurück. Hier waren die Rahmenbedingungen im letzten Jahr erneut herausfordernd, insbesondere aufgrund der weiterhin stark steigenden Reparaturkosten. Unser oberstes Ziel im Geschäftsjahr 2024 war auch in Kfz die Sicherung der Ertragskraft, vor allem nach den Verlusten im Vorjahr. Wir haben bereits frühzeitig damit begonnen, unsere Beiträge entsprechend anzupassen, was dazu geführt hat, dass wir bereits jetzt bei einer Brutto Combined Ratio von 98 Prozent liegen. Und es entspricht auch unserer Strategie, die auf ein profitables Wachstum abzielt. Dadurch, dass wir keine Verluste aus der Vergangenheit ausgleichen müssen, können wir früher als unsere Mitbewerber von weiteren starken Preisanpassungen absehen und als verlässlicher Partner Preisstabilität gewährleisten. Wir gehen daher davon aus, auch in der Vertragszahl zukünftig wieder zuzulegen.

Die hohen Naturkatastrophenschäden wirken sich zunehmend auf die Schadenbilanz aus. Welche konkreten Präventionsstrategien verfolgen Sie, um ihre Bestände künftig besser abzusichern?

Für uns sind mögliche Kumulgefahren in Deutschland ein wesentliches Risiko im Hinblick auf Naturkatastrophenschäden. Ein Teil unserer Präventionsstrategie ist dabei Diversifikation: Durch den deutschlandweiten Vertrieb über Vermittler sind sowohl der Fahrzeugbestand als auch die Versicherungssummen im Sachgeschäft der VHV Gruppe großflächig über Deutschland verteilt. Wir haben dadurch das Risiko von Elementarschäden gestreut. Auch die fachgerechte Gebäudeplanung wird im Hinblick auf die Prävention wichtiger. In diesem Zusammenhang gewinnt vor allem das klimaangepasste Bauen an Bedeutung, bei dem es sich um bauliche Anpassungsmaßnahmen gegen die zunehmenden potenziellen Gefährdungen von Gebäuden durch Extremwetterereignisse handelt. Wir incentivieren risikobewusstes Verhalten durch geeignete Produktbausteine, die Kosten für Prävention und Vorsorge mitversichern.

Die Beitragseinnahmen der Hannoverschen Lebensversicherung gingen trotz des Wachstums im Biometriegeschäft um 2,6 Prozent zurück. Wie bewerten Sie diese Entwicklung, insbesondere im Kontext der Einmalbeiträge?

Der Rückgang der Beitragseinnahmen ist auf die Entwicklung der Einmalbeiträge zurückzuführen. Entscheidend ist für uns der Bereich Biometrie, der eines unserer Kerngeschäftsfelder bildet. Mit ihren zwei wichtigsten Produkten, der Risikolebensversicherung und der Berufsunfähigkeitsversicherung, konnte die Hannoversche einen deutlichen Zuwachs verzeichnen. Während der Markt bei der Risikolebensversicherung schrumpft, haben wir ein Neugeschäftswachstum von über fünf Prozent erzielt. Noch erfolgreicher waren wir mit der Berufsunfähigkeitsversicherung, hier sind wir um fast 27 Prozent gewachsen. Wir sind in Summe also durchaus zufrieden mit der Geschäftsentwicklung der Hannoversche.

Mit dem Einstieg der Hannoversche in den Vermittlermarkt wurde eine strategische Neuausrichtung vollzogen. Wie stark trägt dieser Multikanal-Ansatz zum Neugeschäft im Bereich Biometrie bei – und wo sehen Sie weitere Potenziale?

Die Hannoversche feiert in diesem Jahr ihr 150. Jubiläum und blickt auf eine lange Tradition zurück. Die Neupositionierung als Biometrie-Multikanal-Versicherer war demnach ein echter strategischer Meilenstein. Umso mehr freuen wir uns, dass es uns gelungen ist, das Vertrauen der Vertriebspartner in die Produktqualität und Expertise der Hannoversche zu gewinnen. Inzwischen generieren wir zwei Drittel des Neugeschäfts mit der Berufsunfähigkeitsversicherung über unsere Vertriebspartner. Das ist ein beachtlicher Erfolg, wenn man bedenkt, dass sich die Hannoversche bis vor kurzem noch als klassischer Direktversicherer positioniert hat. Potenziale bestehen natürlich nach wie vor. Zum einen streben wir an, unsere Marktanteile im Bereich Biometrie konsequent weiter auszubauen. Mit der Berufsunfähigkeitsversicherung sind wir erst seit kurzem überhaupt am Markt, hier sehen wir Chancen für weiteres Wachstum. Und mit der Einführung der Grundfähigkeitsversicherung haben wir zudem unser Biometrie Portfolio komplettiert. Zum anderen arbeiten wir fortlaufend daran, unsere Prozesse und Services weiter zu optimieren, auch in Zusammenarbeit mit unseren Vertriebspartnern.

Die internationale Expansion ist ein erklärtes Ziel der Gruppe. Welche Märkte erscheinen derzeit besonders erfolgversprechend, und wie werden Risiken im internationalen Geschäft kontrolliert?

In unserer internationalen Expansion sehen wir viel Potenzial, was sich auch in unseren Beitragseinnahmen widerspiegelt. Hier konnten wir um 20 Prozent wachsen und verbuchen für 2024 etwa 525 Mio. Euro an Beiträgen bei einer profitablen Combined Ratio von 96,6 Prozent. Wir treiben weiter den Ausbau des internationalen Geschäfts im Geschäftsfeld Bauversicherungen voran, um unsere Positionierung als europäischer Bauspezialversicherer zu stärken. In erster Linie konzentrieren wir uns auf weiteres profitables Wachstum in den Ländern, in denen wir bereits vertreten sind, vor allem Österreich, Frankreich und Italien. Unsere klare Ausrichtung auf definierte Geschäftsfelder, in denen wir Experten sind, gilt gleichermaßen für das inländische wie das ausländische Geschäft.

Zur Kontrolle der Risiken nutzen wir im lokalen Underwriting verbindliche Zeichnungsrichtlinien, Limitsysteme (u. a. zur Kumulkontrolle) sowie Obergrenzen im Hinblick auf Risikotoleranzen für Einzelrisiken nach Sparten. Diese Instrumente stellen sicher, dass die Struktur der zugrundeliegenden Risiken unserer strategischen Ausrichtung entspricht, wir lokal entscheidungsfähig sind und wir zugleich den Rahmen gruppenweit harmonisieren können. Zur Ausrichtung unserer Underwriting Strategie und bei inhaltlich anspruchsvollen Einzelfällen werden unsere lokalen Underwriting Manager fachlich von einem Team aus internationalen Underwritern aus der VHV International SE unterstützt.

Die VHV bewirbt sich als attraktiver Arbeitgeber und setzt auf die Kampagne „Gemeinsam Experten“. Wie erfolgreich ist diese Initiative bislang im Wettbewerb um Fachkräfte?

Es ist uns erfreulicherweise gelungen, auch im letzten Jahr neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einzustellen, so dass wir aktuell rund 4.600 Menschen beschäftigen – eine Rekordzahl. Und das müssen wir auch, nicht nur weil in den kommenden Jahren eine Vielzahl an Kolleginnen und Kollegen in den Ruhestand wechselt, sondern auch weil wir erfolgreich weiter wachsen. Daher betrachten wir unsere Arbeitgeberattraktivität als eine zentrale Säule unseres zukünftigen Konzernerfolgs. Bei der neuen Kampagne „Gemeinsam Experten“ geben über 80 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der VHV Gruppe ein Gesicht. Das zeigt Wirkung: Wir wurden bereits vielfach darauf angesprochen und erhalten aktuell eine Vielzahl qualifizierter Bewerbungen. Um unsere Arbeitgeberattraktivität darüber hinaus weiter zu steigern, befassen wir uns im Rahmen eines konzernweiten Projekts kontinuierlich mit Themen wie Unternehmenskultur, Führung und Entwicklungsmöglichkeiten.

Die VHV Gruppe spricht von einem „erneut erfolgreichen Geschäftsjahr“. Wie definieren Sie unternehmerischen Erfolg über reine Kennzahlen hinaus?

Im vergangenen Jahr haben wir unsere Konzernstrategie geschärft und uns intensiv mit unserer Identität und unseren Stärken befasst. Dazu zählen die tiefe Verwurzelung des Gegenseitigkeitsgedankens und eine klare Ausrichtung auf definierte Geschäftsfelder, in denen wir nachweislich Expertise aufweisen – Bau, Biometrie und Kfz. Unser Erfolg bemisst sich an Top-Positionen im Wettbewerb, aber auch an weiteren Parametern. Ein wesentlicher Erfolgsindikator ist die Kunden- und Vermittlerzufriedenheit. Unsere Kundenorientierung und unser Maklerservice werden durch Auszeichnungen der führenden Ratingagenturen wie Assekurata und AssCompact bestätigt. Darüber hinaus holen wir direktes Feedback unserer Kunden und Vertriebspartner ein, um den sich wandelnden Anforderungen und Bedürfnissen jederzeit gerecht zu werden.

Mit der Digitalisierung sollen Prozesse effizienter werden. Wie groß ist derzeit der Automatisierungsgrad in der Schadenbearbeitung?

Die voranschreitende Digitalisierung wird die Zukunft der Schadenbearbeitung entscheidend beeinflussen. Bei allen damit verbundenen Herausforderungen sehen wir es daher als großen Vorteil an, dass wir bereits in 2019 unser Schadensystem transformiert haben, welches nun die Anbindung modernster KI-gestützter Software-Lösungen erlaubt. Für uns ist wichtig, bereits bei Beginn des Schadenprozesses digitale Lösungen zu bieten, um Kunden und Geschädigten einen guten und schnellen Einstieg in den Schadenprozess zu gewährleisten. Je nach Deckung liegt der Automatisierungsgrad hier zwischen 10-50%. Im weiteren Verlauf der Schadenbearbeitung ist die Datenverfügbarkeit entscheidend für die Automatisierung weiterer Arbeitsschritte. Während im Bereich Glasschaden Automatisierungsgrade von bis zu 50% erreicht werden, liegt die Automatisierung in anderen Schadenarten und Sparten aufgrund der Komplexität teilweise noch unter dem Niveau von 50%. Die Steigerung der Automatisierungsgrade treiben wir durch die Schaffung entsprechender Datengrundlagen gezielt voran.

Welche Ziele hat sich die VHV hier für die kommenden Jahre gesetzt?

Unser gesamtes Wettbewerbsumfeld begegnet seit mehreren Jahren in Folge herausfordernden Rahmenbedingungen. Dank unserer strategischen Ausrichtung befinden wir uns trotzdem auf einem konstanten Erfolgskurs. Wir bieten nicht alle Produkte im Sinne eines „Full-Sortimenters“ an, sondern sind klar fokussiert auf unsere Kerngeschäftsfelder Bau, Biometrie und Kfz. Unser wesentliches Ziel für die nächsten Jahre besteht darin, in diesen Kerngeschäftsfeldern weiter profitabel zu wachsen. Dazu setzen wir auf unsere Erfolgsfaktoren, zu denen insbesondere die konsequente Kunden- und Vermittlerausrichtung zählt. Vor allem die partnerschaftliche Zusammenarbeit mit den Vermittlern verhilft uns dazu, mit unseren Versicherungsmarken auch zukünftig den Unterschied zu machen.

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