Wenn Versicherte Leistungen bei ihrer Kranken- und Pflegeversicherung beantragen, ist es nicht ungewöhnlich, dass diese zunächst Leistungen ablehnen und die Betroffenen in Widerspruch gehen müssen, um doch noch an ihr Recht zu kommen. Mit einer durchaus hohen Erfolgsquote. Bei einer Stichprobe des Portals Finanztip, das 22 Krankenkassen mit rund 35 Millionen Versicherten untersucht hat, waren die Versicherten in rund 40 Prozent der Fälle mit ihrem Widerspruch ganz oder teilweise erfolgreich. Die Entscheidung der Kasse wurde hingegen in 37 Prozent der Fälle bestätigt - in knapp 20 Prozent der Fälle nahmen die Versicherten den Widerspruch selbst wieder zurück.

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Es lohnt sich folglich für die Krankenversicherer, wenn Versicherte von ihrem Widerspruch zurücktreten. Teure Behandlungen wie etwa Psychotherapie, Pflegeleistungen, einen Rollstuhl etc. müssen sie dann unter Umständen nicht zahlen. Und hierbei scheuen viele Anbieter offenbar nicht davor zurück, auch Methoden anzuwenden, die nicht mit dem Gesetz vereinbar sind. Oder härter formuliert: Sie schüchtern Versicherte ein, streuen falsche Informationen, üben Druck aus, dass die Betroffenen vom Widerspruch zurücktreten - um in Zeiten finanzieller Engpässe Geld zu sparen.

Bundesamt berichtet von „zahlreichen Rechtsproblemen“ bei Praktiken der Krankenkassen

Vor wenigen Tagen hat das Bundesamt für Soziale Sicherung (BAS) seinen Tätigkeitsbericht 2022 vorgelegt: Das Amt hat auch eine Watchdog-Funktion für die gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherer. Und darin werden zahlreiche Mängel der Krankenkassen im Umgang mit Widersprüchen beklagt. Nicht nur versuchen die Kassenanbieter offenbar im großen Stil, Antragsteller zur Zurücknahme ihrer Widersprüche aufzufordern. Dies geschieht demnach auch mit Systematik. Über die Vorwürfe haben zuerst Medien des Springer-Verlages berichtet.

Das Problem: Die Mitarbeiter der Krankenkassen werden demnach per Arbeitsanweisung verpflichtet, von den fragwürdigen Methoden im Umgang mit Widersprüchen Gebrauch zu machen. “Bei der Auswertung der Arbeitsanweisungen sowie durch den Austausch mit anderen Institutionen, stellte das BAS immer wieder zahlreiche Rechtsprobleme fest“, heißt es in dem Bericht. „Ein Großteil der geprüften Arbeitsanweisungen sah eine oder mehrere telefonische Kontaktaufnahmen der Krankenkassen mit den Versicherten vor, die das Ziel hatten, diese Versicherten dazu zu motivieren, ihren Widerspruch zurückzunehmen“, berichtet das Amt. Mit anderen Worten: Die Mitarbeiter rufen die Versicherten mehrfach an und fordern sie auf, den Widerspruch zurückzuziehen: obwohl dies unzulässig ist.

Ferner seien Versicherte oftmals nicht umfassend über die Rechtsfolge einer Rücknahme des Widerspruchs informiert worden, so wie dies der Gesetzgeber vorsieht, berichtet das Amt. Denn wird der Widerspruch zurückgenommen, so ist der damit verbundene Bescheid nicht mehr angreifbar und die Versicherten können keine Ansprüche mehr geltend machen. Anders sieht die Sache jedoch aus, wenn der Widerspruch auch dann aufrecht erhalten wird, wenn die Krankenkasse die Leistungen erneut ablehnt. Dann muss die Krankenkasse den Widerspruch vor dem Widerspruchsausschuss einreichen, der unabhängig arbeitet und nicht an Weisungen des Kassenanbieters gebunden ist. Er entscheidet dann - im Falle einer erneuten Ablehnung ist eine Klage vor dem Sozialgericht möglich.

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Auch wurde den Versicherten durch irreführende Schreiben der Krankenkassen vielfach der Eindruck vermittelt, die Ablehnung des Widerspruchs sei bereits beschlossen, berichtet das Bundesamt weiter. Elf Krankenkassen und zwei Pflegekassen seien aufgrund dieser Praktiken abgemahnt worden. Um welche Anbieter es sich handelt, teilt das Bundesamt nicht mit. Umfangreiche Fragen und Antworten zum Umgang mit Widersprüchen finden Patientinnen und Patienten auf der Webseite der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland (UPD).

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