Niederlage für die HanseMerkur Krankenversicherung: Sie darf nicht mehr für ihre Zahnarzt-App „Dentinostic“ werben. Die Hamburger haben eine entsprechende Unterlassungserklärung abgegeben, nachdem sie von der Wettbewerbszentrale abgemahnt wurden. Das berichtet die Landeszahnärztekammer Baden-Württemberg, die sich bei der Wettbewerbszentrale über das Angebot des Versicherers beschwert hatte.

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Bei „Dentinostic“ handelt es sich um eine App der Firma ONEBRUSH GmbH. Die App verspricht Patientinnen und Patienten innerhalb von 24 Stunden eine professionelle Diagnose, personalisierte Therapieplanung und bei Bedarf sogar ein Privatrezept von qualifizierten Zahnärzten, wie die Landesärztekammer berichtet. Hierzu sollten die Nutzerinnen und Nutzer einen Fragebogen ausfüllen, ein Video des schmerzenden Zahnes erstellen und die Stelle in einem 3-D-Modell markieren.

Das Problem: Die Werbung für Fernbehandlungen ist in Deutschland verboten bzw. stark eingeschränkt. Die entsprechende Regel ist in § 9 des Heilmittelwerbegesetzes (HWG) festgelegt. Und tatsächlich erkannte die Wettbewerbszentrale ein Verstoß gegen dieses Verbot, weil die HanseMerkur Kundinnen und Kunden in einer Mail darauf aufmerksam gemacht hatte. Ein digitales zahnärztliches Primärversorgungsmodell entspreche nicht allgemein anerkannten fachlichen Standards, wie die Wettbewerbszentrale betont.

Gegenüber dem Fachmagazin procontra Online positioniert sich eine Sprecherin, dass es sich um eine etwas unglückliche Auslegung der Umstände handle. Mit der Mail habe man einen geschlossenen Kreis von Newsletter-Abonnenten auf das Angebot ansprechen wollen. Sie sollten die App testen - und dabei habe die HanseMerkur testen wollen, ob das Angebot auf Zuspruch stößt. „Wir haben jedoch Verständnis, wenn unser Vorgehen im weitesten Sinne als Werbung ausgelegt wurde“, zitiert das Magazin die Sprecherin.

Der Streit um Telemedizin ist nicht neu: und wird in Deutschland besonders erbittert geführt. Während entsprechende Angebote in Staaten wie der Schweiz oder Italien etabliert sind, können sie in Deutschland nur sehr eingeschränkt angeboten werden. Für Aufsehen sorgte 2021 ein Urteil des Bundesgerichtshofes (BGH), der entschied, dass der Versicherer Ottonova nicht mit solchen Behandlungen werben darf. Die Begründung: Es fehle für solche „digitale Arztbesuche“ an den allgemeinen anerkannten fachlichen Standards. Das sei ein im Bürgerlichen Gesetzbuch klar beschriebener Begriff, der Pflichten aus einem medizinischen Behandlungsvertrag regele (nach § 630a Abs. 2 BGB). Hier wäre es unter anderem Aufgabe des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), entsprechende Standards mitzuentwickeln: ein Gremium, das darüber entscheidet, welche medizinischen Leistungen Versicherte beanspruchen können.

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Dabei setzt auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) durchaus große Hoffnungen auf die Telemedizin. Sie könnte helfen, Kosten im klammen Krankenkassen-System zu reduzieren, weil speziell bei kleineren Beschwerden die Patientinnen und Patienten schneller eine medizinische Expertise beanspruchen können. Im Juni hatte Lauterbach auf einer vom Bundesgesundheitsministerium organisierten Health Data Conference angekündigt, das „modernste Digitalsystem“ Europas im Gesundheitswesen aufbauen zu wollen. Widerstand kommt jedoch oft von Medizinern selbst. So hat sich etwa die Freie Ärzteschaft gegen eine Ausweitung der Telemedizin gewendet und Lauterbach vorgeworfen, er baue "digitale Luftschlösser". Die Krux an der Geschichte: Lauterbach will Angebote der Telemedizin auch deutlich populärer machen. Das dürfte mit einem Werbeverbot schlecht gehen.

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