Als am 21. Juni 2017 der Krankenversicherer Ottonova an den Start ging, die erste Neugründung in der PKV seit 17 Jahren, war das Interesse groß. Firmengründer Roman Rittweger wollte die „erste vollständig digitale Krankenversicherung anbieten“, wie er der FAZ sagte, ohne den üblichen Tarifdschungel. Zielgruppe sollte eine hippe und zahlungskräftige Generation sein, die mit „klassischen“ Krankenversicherungen nicht so viel anfangen kann. Das Versprechen: die Gesundheitsbranche „ein Stück weit sexy machen“. Innerhalb von drei Jahren konnte Rittweger 40 Millionen Euro an Startkapital einsammeln und namhafte Investoren wie Tengelmann, Holtzbrinck Ventures und die Debeka gewinnen.

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Doch genau dieser digitale Ansatz bringt Ottonova nun ordentlich Ärger ein. Denn nicht nur der Vertragsabschluss soll einfach per Smartphone-App oder Mausklick möglich sein, sondern auch die ärztliche Sprechstunde. Dafür kooperiert Ottonova mit dem Schweizer Anbieter Eedoctors, ein Vorreiter auf dem Gebiet der Telemedizin. Das Problem ist nur: Deutschen Ärzten ist Telemedizin bislang verboten. Und deshalb hat die Wettbewerbszentrale nun Klage gegen Ottonova eingereicht, zumal der Anbieter die Online-Sprechstunde auch auf seiner Webseite bewirbt.

In der Schweiz ist Telemedizin etabliert

Konkret wirbt Ottonova auf seiner Webseite damit, dass sich die Versicherten „nie mehr mit Schnupfen zum Arzt schleppen“ müssten, so heißt es. Und weiter: „Ab jetzt erhältst du Diagnosen und Krankschreibungen direkt über die Ottonova App - ohne extra Kosten“. Neben diesem Werbetext ist ein Smartphone zu sehen, auf dessen Display ein freundlicher Arzt lächelt. Die Botschaft ist deutlich: Man muss sich für eine Diagnose nicht mehr in eine Praxis begeben und in den Warteraum setzen, sondern einfach einen Arzt per Smartphone-App ins eigene Wohnzimmer holen.

Dass es sich bei den Medizinern tatsächlich um kompetente Leute handelt, daran kann kaum ein Zweifel bestehen. Sie sind in der Schweiz zugelassen und dort auch ansässig. Die Telemedizin ist bei den Eidgenossen längst etabliert: Seit 18 Jahren schon ist es dort Patienten erlaubt, Ärzte via Callcenter zu kontaktieren, später auch per Internet und App. Bereits im Jahr 1999 gründete sich der Digital-Health-Dienstleister Medgate mit Sitz in Basel, der heute zu den Marktführern in Europa zählt. Über 100 Ärzte führen im Schnitt 5.500 Telekonsultationen am Tag durch. Sie dürfen vereinzelt Krankschreibungen ausschreiben und Rezepte verschreiben - ohne, dass der Patient persönlich vorstellig wurde.

Ähnlich wie der Telepionier Medgate arbeitet auch das Netzwerk Eedoctors, mit dem nun Ottonova kooperiert. Die Schweizer werben damit, die „erste virtuelle Arztpraxis für das Smartphone“ zu sein, und gingen im Mai 2016 an den Start. Firmengründer ist Pascal Fraenkler, ein 50jähriger Gesundheitsökonom, der zuvor bereits als Führungskraft in Kliniken tätig war und die Patienten-Informationsplattform Eesom gründete, die größte ihrer Art in der Schweiz. Bei Eedoctors können sich Patienten täglich von 8 bis 21 Uhr mit einem Allgemein- oder Facharzt verbinden lassen, um bei Beschwerden eine Erstkonsultation einzuholen.

Gilt deutsches Recht für Schweizer Fernbehandlung?

Das Problem: In Deutschland ist Telemedizin aktuell nicht erlaubt, auch die Werbung hierfür nicht. Sie verstößt gegen Paragraph 9 des Heilmittelwerbungsgesetzes (HWG), die eine Werbung für Fernbehandlungen verbiete, erklärt Peter Breun-Goerke, Anwalt bei der Wettbewerbszentrale, gegenüber „Versicherungswirtschaft heute“. Auch verletze die Fernmedizin deutsches Approbiationsrecht. Ein wichtiges Problem hierbei: Es sei unklar, wer bei Diagnosefehlern hafte und wohin sich der Patient wenden könne. So erklärt sich nun auch die Unterlassungsklage gegen Ottonova.

Während die Wettbewerbszentrale als betont, dass die Behandlung in Deutschland stattfinde und entsprechend deutsches Recht gelte, sieht dies Ottonova anders. Die Werbung für telemedizinische Video-Konsultation wäre nur dann unzulässig, wenn die Art der angebotenen Fernbehandlung selbst unzulässig wäre, heißt es in einem Statement, das der Versicherer am Mittwoch an die Presse verschickt hat. Weil aber Telemedizin in der Schweiz erlaubt sei, verstoße man auch nicht gegen das Gesetz. Das habe man sich mit einem rechtsmedizinischen Gutachten bestätigen lassen. "Auch deutsches Standesrecht, das die ausschließliche bzw. die ärztliche Erstberatung mittels einer telemedizinischen Sprechstunde bislang nicht gestattet, steht der von Ottonova angebotenen Praxis nicht entgegen, da es sich nicht auf in der Schweiz ansässige, praktizierende Ärzte erstreckt", heißt es in dem Statement weiter.

Telemedizin - Mittel gegen Ärztemangel auf Land?

Ottonova wird jedenfalls keine Unterlassungserklärung unterschreiben und es auf einen juristischen Streit ankommen lassen. Nicht ungeschickt präsentiert sich der Digitalversicherer dabei als Vorreiter der Gesundheitsbranche. So werde das standrechtliche Fernbehandlungs-Verbot inzwischen auch von deutschen Ärzten für unnötig und überholt gehalten, zudem hätten die Bundesländer erste Pilotprojekte angestoßen. Im Pressetext appelliert Ottonova an den deutschen Ärztetag am 8. bis 11. Mai in Erfurt, das Thema Telemedizin auf die Tagesordnung zu setzen.

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Argumentationshilfe könnte dabei vom Schweizer Partner kommen. In einem Interview mit Inline, der Zeitschrift der Schweizer Fachhochschulen, erklärte Eedoctors-Gründer Fraenkler die Vorteile der Videokonsultation: 70 Prozent der Fälle, in denen sonst ein Hausarzt aufgesucht werde, ließen sich mit Telediagnosen abschließend erledigen. So könnten speziell Notfallzentren entlastet werden, wenn Patienten mit Bagatellen einen schnellen Ansprechpartner finden und nicht bei jedem Zipperlein in den Notaufnahmen der Kliniken rennen, etwa wenn an Feiertagen die Arztpraxen geschlossen sind. Auch der Ärztemangel auf dem Land ließe sich damit bekämpfen: Ältere Menschen in Randregionen, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind, finden per App oder Video schnell einen Arzt.

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