Im Koalitionsvertrag der Ampel-Parteien ist vorgesehen, die gesetzliche Anerkennung von privaten Altersvorsorgeprodukten zu prüfen, die ein höheres Renditepotenzial als die Riester-Rente aufweisen. Dafür wurde eigens die ‚Fokusgruppe private Altersvorsorge‘ ins Leben gerufen (Versicherungsbote berichtete).

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Um in dieser Debatte ‚gut gerüstet‘ zu sein, beauftragte der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) das Institut für Finanz- und Aktuarwissenschaften (ifa) mit einem Realitäts-Check typischer Vorurteile in Bezug auf die lebenslange Rente.

Als Schwerpunkt ihrer Stellungnahme benennen die Wirtschaftsforscher die Frage, wie das angesparte Geld ausgezahlt werden soll. Denn dieser Aspekt spielte den Forschern zufolge in der bisherigen Debatte kaum eine Rolle.

Das ifa geht davon aus, dass ‚gesetzliche Anerkennung‘ auch mit staatlicher Förderung eingehen wird. Damit würden sich zwei Fragen stellen: ‚Was soll gefördert werden?‘ und ‚Wie soll gefördert werden?‘
In Bezug auf das ‚Wie‘ verweisen die Forscher darauf, dass die bei der Riester-Rente erprobte Systematik der absoluten Förderbeträge pro Vertrag und pro Kind „auf jeden Fall erhalten bleiben“ sollte. Das begründet das ifa damit, dass Geringverdiener mit kleinen Verträgen von der Förderung relativ gesehen deutlich stärker als höhere Einkommensgruppen profitieren würden. Steuerliche Anreize würden hingegen dafür sorgen, dass Menschen mit höheren Einkommen aufgrund ihres höheren Steuersatzes eher davon profitieren würden.

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Dass beabsichtigt wird, renditestärkere Produkte zu fördern, begrüßt das ifa „uneingeschränkt“. Allerdings erinnern die Wirtschaftsforscher daran, dass es insbesondere die gesetzlich vorgeschriebene 100 %-ige Beitragsgarantie zum Ende der Ansparphase gewesen sei, die kaum Raum für chancenreiche Anlagen gelassen habe.

Die wichtigsten Vorurteile in Bezug auf die lebenslange Rente

Im weiteren Verlauf der Stellungnahme (PDF) geht das ifa auf „die wichtigsten Vorurteile in Bezug auf die lebenslange Rente“ ein. Versicherungsbote nennt diese Vorurteile und zitiert darunter die jeweiligen Ausführungen des ifa.

Staatlicher Verrentungszwang stellt eine Entmündigung der Bürger dar

Wenn staatlich geförderte Produkte zwingend eine Verrentung vorsehen, wird dies immer wieder, teilweise sehr polemisch, kritisiert und als Entmündigung der Bürger bezeichnet. Exemplarisch nennen wir eine „Meinungsmache“ im Managermagazin vom 6.4.2021. Hier heißt es wörtlich: „Auch wenn Sie über viele Jahre […] gezeigt haben, dass Sie bereit sind, finanzielle Verantwortung zu übernehmen, werden Sie entmündigt, sobald Sie über das ersparte Vorsorgekapital verfügen wollen. Denn Ihnen wird eingeredet, Sie seien zu dumm, auch künftig verantwortungsvoll mit Ihrem Geld umzugehen, würden es stattdessen verprassen und dann der Allgemeinheit auf der Tasche liegen.“

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Derartige Polemik ist aus fachlicher Sicht eindeutig abzulehnen. Niemand unterstellt den Bürgerinnen und Bürgern, die verantwortungsvoll fürs Alter gespart haben, dass diese sich ab Rentenbeginn „dumm“ verhalten oder das Geld „verprassen“. Die Vorschrift einer Verrentung ist lediglich Ausfluss der Tatsache, dass der Staat erkennt, dass keiner seiner Bürger bei Renteneintritt wissen kann, wie alt er wird, und dass die meisten Menschen sowohl die eigene Lebenserwartung als auch die Unsicherheit der eigenen Lebensdauer unterschätzen. Wenn auf Basis dieser beiden Fehleinschätzungen geplant wird, ergibt sich ein signifikantes Risiko, dass im Alter die laufenden Ausgaben nicht mehr durch laufende Einnahmen gedeckt werden können.

Da die staatliche Förderung für diejenigen Menschen von besonderer Bedeutung ist, bei denen die Finanzierung der laufenden Ausgaben im Alter noch nicht anderweitig gesichert ist, sollte eine Leistung in Form einer lebenslangen Rente bei staatlichen Produkten den Normalfall darstellen. Ausnahmen für einen gewissen Anteil des angesparten Geldes (um Ausgaben abzudecken, die gerade nicht regelmäßig und lebenslang wiederkehren), wie es beispielsweise bei der Riesterrente für 30 % des angesparten Geldes möglich war, oder Ausnahmen für bestimmte Bevölkerungsgruppen, die aus anderen Einnahmequellen (z.B. gesetzliche Rente, betriebliche Altersversorgung) bereits über ausreichend regelmäßige Einnahmen verfügen, können dabei natürlich sinnvoll sein. Der Vorwurf der Entmündigung ist somit nicht haltbar.

Versicherer rechnen mit einer zu hohen Lebenserwartung / Die Rente ist zu niedrig / Man muss sehr alt werden, um sein Geld zurückzuerhalten

Hinter all diesen genannten Formulierungen steckt im Prinzip derselbe Vorwurf: Die Kunden einer Rentenversicherung erhalten eine zu geringe Rente im Verhältnis zum verrenteten Betrag. Wir haben bereits in Abschnitt 4.1 erläutert, wie gesetzlich sichergestellt wird, dass Kunden von Rentenversicherungen fair behandelt werden. Die Wahrnehmung der Unfairness basiert meist auf einem offensichtlichen fachlichen Fehler: Es wird nämlich ausschließlich die garantierte Rente betrachtet, welche – wie oben erläutert – nur eine theoretische Untergrenze für die Leistungen darstellt. Und dieser Wert wird dann mit möglichen, erwarteten oder erhofften Leistungen anderer Produkte verglichen. Die ungünstigste Leistung eines Produkts mit der möglichen Leistung eines anderen Produkts zu vergleichen ist aus fachlicher Sicht schlicht unsinnig.

Ein sinnvoller Vergleich von zwei Produkten muss einerseits die garantierte (also die ungünstigste) Leistung beider Produkte und andererseits die mögliche Leistung beider Produkte miteinander vergleichen. Bei einem sinnvollen Vergleich stellt man fest, dass Produkte oder Anlagestrategien, die üblicherweise als Alternative zu Rentenversicherungen vorgeschlagen werden, überhaupt keine Untergrenze für die Leistung aufweisen. Die theoretisch ungünstigste Leistung ist also „Null“. Beim Vergleich der garantierten Leistungen schneidet somit die Rentenversicherung besser ab. Beim Vergleich der möglichen Leistungen haben dagegen typische Fondsentnahmepläne den Vorteil, dass höhere Entnahmen darstellbar sind und dass bei Tod ein eventuell noch vorhandenes Restvermögen an die Hinterbliebenen vererbt werden kann. Im Gegenzug besteht das Risiko, dass man länger lebt, als das Geld reicht. Vereinfacht gesagt sind Alternativprodukte in Bezug auf die möglichen Leistungen chancenreicher, aber auch riskanter. Sie sind damit per se weder besser noch schlechter, aber für das Ziel lebenslange Ausgaben zu finanzieren in aller Regel weniger gut geeignet.

Eine Rentenversicherung ist zu unflexibel

Gefühlt ist die Rentenversicherung ein unflexibles Produkt. Tatsächlich gibt es aber eine relativ große Produktvielfalt im Segment der lebenslangen Renten: Durch unterschiedliche Überschusssysteme können verschiedene Rentenverläufe ausgewählt werden. Beispielsweise Renten, die anfangs mit der ab Rentenbeginn garantierten Rente übereinstimmen und dann mit jeder Überschusszuteilung steigen, oder Renten, die bereits oberhalb der garantierten Rente starten und so ausgestaltet sind, dass sie dann konstant bleiben, wenn die Überschussbeteiligung sich nicht verändert. Und natürlich gibt es auch zahlreiche Varianten, die „zwischen“ den beiden genannten liegen. Man kann vereinbaren, dass bei frühem Tod noch eine Leistung an die Hinterbliebenen ausbezahlt wird. Je höher diese Leistung festgelegt wird, desto niedriger fallen naturgemäß die Renten aus.

Es ist möglich, die Produkte so auszugestalten, dass man auch nach Rentenbeginn (im Rahmen gewisser Spielregeln) flexibel auf das verrentete Geld zugreifen kann. Um zu vermeiden, dass Rentenversicherungen für Menschen mit unterdurchschnittlicher Lebenserwartung ein schlechteres Preis-Leistungs-Verhältnis aufweisen, kann man vereinbaren, dass die Rente zu Rentenbeginn entsprechen höher festgelegt wird, wenn man dann „nicht mehr ganz gesund“ ist. Darüber hinaus gibt es Renten, die sich automatisch erhöhen, wenn man pflegebedürftig wird (und die im Gegenzug typischerweise auf einem etwas niedrigeren Niveau starten). Schließlich gibt es Renten, die durch Beimischung von Fonds ein höheres Renditepotenzial aufwiesen.

[…] Insgesamt sieht man, dass es eine große Vielfalt von Rentenversicherungsprodukten gibt. Es scheint geboten, dass der Gesetzgeber sich genau überlegt, welchen Ausschnitt dieser Produktvielfalt er bei staatlich geförderten Produkten zulässt. Bei bisherigen geförderten Produkten schreibt der Gesetzgeber oft nicht nur vor, dass verrentet wird, sondern auch wie verrentet wird. Damit ist oft ein großer Teil der möglichen (und in der privaten, also nicht geförderten Altersvorsorge auch tatsächlich angebotenen) Produkte von vorneherein ausgeschlossen. Die Einschränkungen, die aus den bisherigen gesetzlichen Vorgaben resultieren, tragen nicht nur zur Stärkung von Vorurteilen gegen lebenslange Renten bei, sondern reduzieren darüber hinaus in manchen Fällen die subjektive Attraktivität und in anderen Fällen auch den objektiven Nutzen der angebotenen staatlich geförderten Lösungen.

Gelder werden zu renditeschwach angelegt

Die meisten Rentenversicherungsprodukte sind nach wie vor in der Rentenbezugsphase klassisch, d.h. die Anlage der Gelder der Kunden erfolgt im sogenannten konventionellen Sicherungsvermögen. Dieses ist die Basis für Versicherungsprodukte mit Zinsgarantie. Die Anlage der entsprechenden Gelder muss dabei vorsichtig erfolgen. Die resultierende sehr hohe Sicherheit geht aber zwingend mit einem moderaten Renditepotenzial einher. Es ist grundsätzlich auch möglich, lebenslange Renten zu konstruieren, bei denen die Anlage der Gelder zumindest teilweise in chancenreichere Fonds, beispielsweise Aktienfonds erfolgt.

Solche Produkte werden bereits angeboten und weisen in der Regel eine geringere garantierte Rente auf. Im Gegenzug bieten sie die Chance, dass die Rente deutlich höher ausfallen kann. Insbesondere Produkte, bei denen die Anfangsrente höher ist als die garantierte Rente, können für manche Menschen einen sinnvollen Kompromiss aus Sicherheit, Chance und Inflationsschutz darstellen bei gleichzeitiger Garantie, dass das Einkommen lebenslang fließen wird. Wenn die Anfangsrente höher ist als die garantierte Rente bedeutet das jedoch zwingend, dass die Rente auch sinken kann – jedoch nie unter die Garantie.

Damit auch solche Produkte im Rahmen der staatlich geförderten Altersvorsorge angeboten werden können, ist es wichtig, dass der gesetzliche Rahmen keine Vorschriften enthält, die verlangen, dass eine Rente stets nur gleichbleiben oder steigen darf. Im aktuellen Altersvorsorgeverträgezertifizierungsgesetz heißt es beispielsweise in §1 (1): „die Leistungen müssen während der gesamten Auszahlungsphase gleich bleiben oder steigen“. Durch diese Regelung wird ein wesentlicher Teil der möglichen Produktvielfalt von vorneherein ausgeschlossen. Insbesondere da der Prüfauftrag lautet, Altersvorsorgeprodukte anzuerkennen, die ein höheres Renditepotenzial als die Riesterrente aufweisen, ist wünschenswert, dass das Renditepotenzial auch in der Auszahlphase erhöht wird. Denn chancenreiche Kapitalanlage bietet insbesondere einen gewissen Inflationsschutz und die Inflation hört bekanntermaßen nicht auf, wenn man in Rente geht.

Auszahlpläne bis Alter 85 sind ausreichend – das verbleibende Restrisiko kann doch einfach der Staat übernehmen

Eine sehr einfache Überschlagsrechnung zeigt, dass es extrem teuer wird, wenn (wie vereinzelt vertreten wird) staatlich geförderte Altersvorsorgeprodukte nur eine „Zeitrente“ bis Alter 85 als Auszahlphase vorsehen und der Staat dann bei denjenigen Bürgern bis zum Tod weiterzahlt, die länger leben als bis Alter 85. Unterstellt man die in Kapitel 3 erläuterte pessimistischere (optimistischere) Einschätzung für die zukünftige Entwicklung des medizinischen Fortschritts in den Sterbetafeln des statistischen Bundesamtes, so müsste der Staat für einen durchschnittlichen männlichen 65-jährigen „Neurentner“ 42 (bzw. 47) Monate lang die Rente weiterbezahlen, die dieser aus der staatlich geförderten Altersvorsorge bis Alter 85 als Zeitrente bezogen hat; für eine durchschnittliche Rentnerin wären es sogar 62 (bzw. 69) Monate.

Fazit der Wirtschaftsforscher

In ihrem Fazit schreiben die Wirtschaftsforscher, dass bei der Ausgestaltung der Kriterien für staatlich geförderte Altersvorsorgeprodukte berücksichtigt werden müsse, dass bei finanziell schwächer gestellten Bevölkerungsgruppen, für welche eine staatliche Förderung besonders wichtig sei, die Finanzierung des gewünschten Lebensstandards sogar regelmäßig zu einem besonders großen Teil in der Finanzierung regelmäßiger Ausgaben liegen dürfte.

Das sehen ausgerechnet Verbraucherschützer völlig anders. In ihrer Stellungnahme zum Auftakt der ‚Fokusgruppe Altersvorsorge‘ stellt der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) gar in Frage, ob staatliche Förderung für die Altersvorsorge von Geringverdienern überhaupt das richtige sozialpolitische Mittel sei (Versicherungsbote berichtete).

Das ifa will die eigene Stellungnahme aber nicht als Festlegung auf einen versicherungsförmigen Sparprozess verstanden wissen. In der Rentenphase seien auch Mischmodelle geeignet, die einen Fondsentnahmeplan bis zu einem gewissen Alter mit einer lebenslangen Rente ab diesem Alter kombinieren, wie es bei Riester-Fondsprodukten bereits umgesetzt ist.

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Zudem appellieren die Wirtschaftsforscher an den Gesetzgeber, bisherige gesetzliche Einschränkungen genau zu überdenken. Diese hätten zur Stärkung der Vorurteile gegen lebenslange Renten beigetragen. In manchen Fällen sei die subjektive Attraktivität und in anderen Fällen auch der objektive Nutzen der angebotenen staatlich geförderten Lösungen reduziert worden.

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