Der ‚Norddeutsche Versicherungstag‘ fand am 30. August in Hamburg statt. Und obwohl die Branche angesichts der politisch-wirtschaftlichen Rahmenbedingungen Gründe findet, besorgt in die Zukunft zu schauen, bemühten sich die Macher des Tages fast trotzig um ein anderes Bild. Gastgeber Tilmann J. Freyenhagen vom Alsterspree-Verlag eröffnete den Tag mit Hinweis auf die Tradition. Ein Gedanke, den Eberhard Sautter, der stellvertretende Vorsitzende der HanseMerkur, gerne aufgriff. Hamburg ist die Stadt der ersten Versicherungsbörse. 1558 wurden hier die ersten Versicherungen ausgehandelt. Zum Beispiel für Schiffe und deren Ladungen. Die Hamburger Feuerkasse ist die älteste Versicherung der Welt. Und mit der Berenberg Bank wurde 1590 die erste deutsche Privatbank in Hamburg gegründet.

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Im Weiteren verwies Sautter darauf, dass die Rahmenbedingungen derzeit zwar schwierig seien, es aber keinen Grund gäbe, zu resignieren. Er lud ein, den Blick 20 Jahre zurückzulenken. Anfang des Jahrtausends gab es zahlreiche Gesundheitsreformen. Es folgte die Abschaffung des Steuerprivilegs in der Lebensversicherung und die Hinwendung zum 3-Schichten-Modell. 2008 die Bankenkrise nach der Insolvenz der Lehman-Brothers-Bank. Dazu die verschärfte Regulierung: Solvency II, Mifid, IDD, Provisionsdeckel, um nur einige aufzuzählen. Trotzdem sie es der Branche immer wieder gelungen, mit innovativen Strategien auf das neue Marktumfeld zu reagieren. Diese Kraft gälte es jetzt zu nutzen. Die Möglichkeiten, in der Versicherungsbranche Zukunft zu gestalten, seien vielfältig.

So etabliert man erfolgreichen Multichannel-Vertrieb

Marc Fielmann, der Vorstandsvorsitzende der Fielmann AG, zeigte in seinem Gastvortrag eindrucksvoll auf, wie es gelingen kann, trotz eines beratungsintensiven Geschäftsmodells, einen Multichannel-Vertrieb aufzubauen. Fielmann verkauft heute jede zweite Brille in Deutschland und hat europaweit in 16 Ländern 27 Millionen Kunden. Er gäbe sehr viel Geld für die Messung von Kundenzufriedenheit aus, erläuterte er. Sie läge bei über 90 Prozent. 50 Prozent der Boni von Niederlassungsleitern sind abhängig von dieser Messgröße. Und selbst beim Vorstand sind es 30 Prozent. Mit Blick auf die Online-Welt sagte er, man schaue sich täglich an, wie die Technologie das Kundenverhalten verändere. Der Wunsch nach „Online-Handel“ sei ungebrochen. Man arbeite an der Transformation der Fielmann-Gruppe. Bei Sonnenbrillen liege der Online-Anteil bei 12 Prozent und bei Kontaktlinsen sogar bei 45 Prozent. Bei den gewöhnlichen Brillen unter 1 Prozent. Derzeit investiere sein Haus massiv in die Omni-Channel-Strategie, damit der Kunde von morgen online, offline oder gemischt einkaufen kann.

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McKinsey: Maklervertrieb ist „hochattraktiv“

Frau Dr. Ulrike Vogelgesang von der Unternehmensberatung McKinsey attestierte der Branche eine hervorragende Ausgangslage, insbesondere dem Maklervertrieb. Der sei nach wie vor hochattraktiv. Sie verwies aber auch auf den Trend „embedded insurance“ und nannte IKEA, booking.com und Tesla als Beispiele. „Die Trends verschieben die Schnittstellen“ ergänzte sie dazu.
Der Maklerbereich habe massiv zugenommen, was den Ertrag anginge. Die Anzahl der Makler sei konstant und der Anteil wachse sogar. Auch im Neugeschäft. Sie beobachte am Markt derweil die Tendenz zu Zusammenschlüssen und Übernahmen, die in den meisten Fällen von der Digitalisierung getrieben seien. Umfragen hätten ergeben, dass Makelnde 56 Prozent ihrer Arbeitszeit mit Administration verbringen und nur 44 Prozent mit dem Kunden. Für Dienstleister hieße das: Wer die beste Datenqualität und Datenverfügbarkeit liefere, hätte bei den Maklern die größten Chancen. Die Digitalisierungstrends seien nicht zu übersehen: zum Beispiel die angewandte KI. Es gäbe Modelle, die errechnen, welche Kunden schnell kündigen oder Zahlungsschwierigkeiten bekämen.
Bei jeder neuen Stufe der Automatisierung sei Einfachheit das oberste Gebot, vereint mit der Sicherheitsarchitektur. Dem Trend „ESG“ bescheinigte sie eine zunehmende Relevanz. „Versichern Sie noch Kohlekraftwerke“, fragte sie in die Runde.
Beim Kampf um die Talente sieht sie veränderte Anforderungen an den Maklerberuf. Es gehe nicht nur um Gehalt. Wichtig seien individuelle Fortbildung, eine gute Marke mit guter Reputation, Flexibilität beim Standort und ESG-Konformität. Alles in allem nahm sie den optimistischen Grundton der Veranstaltung auf und bescheinigte der Branche eine „tolle Ausgangslage“.

Einblick: So vollzieht ein Maklerbetrieb erfolgreich einen Generationswechsel

Interessante Einblicke in einen erfolgreich vollzogenen Generationswechsel gab die Maklerin Janine Bradfisch aus Kaiserslautern. Sie hat das Maklerhaus mit 20 Mitarbeitern und rund 7 Millionen Sachbestand von ihrem Vater übernommen. Eindrucksvoll schilderte sie die Unterschiede der Generationen. Die Babyboomer wären Workaholics mit hoher Affinität zu Statussymbolen. Sie waren die Telefonierer, die analog kontaktiert hätten und in der Firma lieber „overdressed“ als „underdressed“ gekleidet gewesen wären. „Bei uns haben selbst die Azubis Anzug und Krawatte getragen“, schmunzelte sie.
Die Generation Y ticke anders. Sie sind die Krisengeneration. 9/11 habe sie traumatisiert. Sie hätten gelernt, dass sie alleine nicht vorankommen, und seien daher deutlich teamorientierter. Sie seien Social Media-affin. Sie sind Texter und keine Telefonierer. Und sie ergänzte mit einem Schmunzeln: die Generation Y ist die Generation der Faulen. Man versuche, mit geringerem Aufwand zum Erfolg zu kommen, weil es noch andere Dinge im Leben gäbe, die wichtig seien. Werte wie Ehrlichkeit, Loyalität und Pflichtbewusstsein seien aber geblieben. Doch man habe gelernt: „Ellenbogen ausfahren“ bringt nichts. Kooperation ist der bessere Weg.

'Liste der Grausamkeiten' nicht vom Tisch

Dr. Hans-Georg Jenssen (BDVM) skizzierte in seinem Vortrag die politischen Rahmenbedingungen der Branche. Berlin und Brüssel verfolgten eine Strategie mit vier Eckpunkten: 1.) Anlegerschutz verbessern, 2.) Transparenz erhöhen 3.) Rechtssysteme vereinheitlichen und 4.) Interessenkonflikte vermeiden.
Der Begriff „independent advice“ spiele eine große Rolle. Das Ziel sei, alles dafür zu tun, dass Vermittelnde unabhängig seien. In diesem Fahrwasser gäbe es viele Protagonisten, die das Provisionssystem torpedierten. Er zählte eine ganze Reihe Persönlichkeiten auf, die es in hohe Ämter bei den Bundesministerien geschafft hätten. Die Position des BDVM sei klar: Der Kunde solle selber entscheiden. Eine komplette Umstellung auf Honorarberatung sei kritisch zu sehen. In England beispielsweise würden Vermittelnde Klienten unter 100.000 € Anlagesumme gar nicht annehmen. Derzeit würden europäisch und national regulatorische Maßnahmen diskutiert, die Jenssen als „Liste der Grausamkeiten“ bezeichnete. Darunter der Provisionsrichtwert der BaFin. Aber auch ein echter Provisionsdeckel bis hin zu einem Provisionsverbot für Lebensversicherungsprodukte. Oder Regelungen wie „hard disclosure“, was einer umfassenden Transparenz von Kosten und Vergütungen gleich käme.
Jenssen wollte nicht zu trüb in die Zukunft schauen und resümierte, es werde zwar Änderungen geben, es gäbe aber eine faire Chance, mit einem blauen Auge davon zu kommen. Dennoch sei Wachsamkeit geboten. In den Niederlande wäre bereits ein Provisionsverbot für Lebensversicherungen eingeführt worden. Wie in Großbritannien, Dänemark, Schweden und Finnland. Und es würde ernsthaft diskutiert das Verbot auf den Sachversicherungsbereich auszuweiten. Und die Versicherungsunternehmen wehren sich nicht dagegen. Die Vermittelnden seien hin und her gerissen. Auf Nachfrage räumte er ein, dass sie auch im Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft derzeit kein echtes Standing hätten. Das habe die Diskussion rund um den Vorschlag „Deutschlandrente“ aus den Reihen der CDU gezeigt. Der GDV hatte große Sympathien für ein provisionsfreies Produkt ohne Beratung. Der Markt für Lebensversicherungen müsse offen bleiben, fasste er die Position seines Verbandes zusammen. Nur so sei eine flächendeckende Versorgung nebst Beratung zu gewährleisten.

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Bemerkenswert an diesem fröhlichem und positiven Tag in Hamburg, war, dass nahezu alle Referenten betonten, wie schön es sei, sich wieder zu sehen und treffen zu können. Dafür war der Zuspruch der Maklerinnen und Makler sehr zurückhaltend. Bei den Vorträgen und im Foyer blieben viele Plätze leer.

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