Es war eine Überraschung, dass die Europäische Union (EU) und ihre Organe Atomenergie und Erdgas in diesem Jahr als nachhaltig eingestuft haben. Im Juli hatte das Europäische Parlament den Weg hierfür freigemacht und einen Einspruch gegen die Verordnung der EU-Kommission zur sogenannten Taxonomie zurückgewiesen. Die Taxonomie ist ein Klassifikationssystem, um Investitionen in nachhaltige Industrien zu fördern und den Kampf gegen den Klimawandel zu unterstützen.

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“Kann sich kaum ein Unternehmen leisten“

Das Investment in Kernenergie könnte damit künftig als nachhaltig gelabelt werden. Dennoch werden entsprechende Investments für deutsche Versicherer nach Ansicht von Experten eher keine Rolle spielen. „Ich glaube, dass Versicherer das allgemein eher ausschließen werden wegen der kritischen Haltung vieler Menschen zur Atomkraft in Deutschland“, sagte der Vorsitzende der Deutschen Aktuarvereinigung (DAV), Herbert Schneidemann, der Nachrichtenagentur dpa. Und weiter: „Ich persönlich glaube, es wird sich kaum ein Unternehmen leisten können, Atomkraft in Deutschland als grün zu bezeichnen und sich dann auf die EU-Taxonomie zu berufen“.

Zwar gilt Atomkraft als emissionsarm, da die Kraftwerke selbst keine direkten CO2-Emissionen ausstoßen. Diese entstehen nur entlang der Prozesskette, etwa durch den Abbau und Transport von Uran. Aber neben Sicherheitsbedenken ist die Endlagerung des radioaktiven Mülls nach wie vor ein Aspekt, der gegen die Technik spricht.

“Atomkraft wäre klimatechnisch eine gute Technik, aber sie ist etwas, das auf Kosten der Zukunft geht“, ergänzt Schneidemann angesichts des ungelösten Endlager-Problems. Zwar gibt es aktuell Entwicklungen, die versprechen, die Halbwertzeit radioaktiver Abfallprodukte deutlich zu reduzieren. Ader auch bei neueren Techniken wie Thorium-Reaktoren muss der radioaktive Müll -Stand jetzt- für 500 Jahre sicher gelagert werden.

Versicherer halten 1,8 Billionen Euro an Geldanlagen

Deutsche Versicherer halten laut dem Dachverband GDV Kapitalanlagen von 1,8 Billionen Euro: eine Zahl mit 12 Nullen. Die Branche hat es sich zum Ziel gemacht, in der Kapitalanlage bis 2050 komplett klimaneutral zu werden. Die Branche will zum Ende des Jahres einen sogenannten Carbon-Footprint präsentieren, der Aufschluss über die Fortschritte bei der Kapitalanlage gibt.

Mit diesen investierten Geldern können die Versicherer Druck auf Unternehmen und Branchen ausüben, nachhaltiger zu werden oder notfalls das Investment zurückzuziehen. Dabei gibt es auch Kritik an der Branche. m Februar hatte die NGO Urgewald anlässlich einer Studie bemängelt, dass die Versicherer immer noch immense Summen in Kohle investiert haben: allen voran die Allianz, mit 9,4 Milliarden US-Dollar in den weltweiten Top-20 der größten Kohle-Investoren.

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Wie GDV-Präsident Wolfgang Weiler im März bei einer Veranstaltung berichtet hatte, legen die deutschen Versicherer 82 Prozent der direkt und indirekt gehaltenen Kapitalanlagen nach Nachhaltigkeitskriterien an: ohne, dass er ins Detail ging, was das bedeutet und welche Kriterien hier zugrunde liegen. Doch diese Zahl kann täuschen. So seien erst erst 0,7 Prozent der Anlagen als dezidierte Green-Bonds angelegt und 0,3 Prozent in Social-Bonds, die soziale Standards wie etwa die Beachtung der Menschenrechte berücksichtigen. Auch die erneuerbaren Energien bilden nur einen Bruchteil der investierten Gelder ab: hier stecken 0.6 Prozent der Kapitalanlagen drin.

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