Es sind die kleinen Wörter, die extreme Hebelkräfte entfalten können. So spielte das Wörtchen ‚namentlich‘ im Betriebsschließungskomplex eine entscheidende Rolle. Bei der Übersetzung der Delegierte Verordnung 2021/1253 hing die Zukunft der Finanzanlagenberatung am ‚oder‘ und beim sogenannten ‚Verivox-Urteil‘ war ‚hinreichend‘ das Zünglein an der Waage.

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Die Richter des Oberlandesgerichtes Karlsruhe mussten nämlich darüber befinden, wann ein Versicherungsmakler einen ‚hinreichenden Marktüberblick‘ hat. Darüber muss er laut § 60 Versicherungsvertragsgesetz verfügen. Die Richter gelangten u.a. zu der Auffassung, dass es für einen Marktüberblick im Privathaftpflichtbereich nicht ausreicht, 49 von 90 möglichen Anbietern miteinander zu vergleichen. Auf Einschränkungen bei der Anbieterauswahl müsse deutlich hingewiesen werden, so die Karlsruher Richter (Versicherungsbote berichtete).

Im Urteil hieß es u.a., dass Versicherungsmakler bei der Erteilung ihres Rates auch solche Versicherer berücksichtigen müssen, die „nicht bereit sind, ein von diesem Versicherungsmakler unterbreitetes Angebot auf Abschluss eines Versicherungsvertrags anzunehmen.“ Eine Herausforderung, die Votum-Vorstand Martin Klein „unangemessen wie realitätsfern“ nennt. Gleichwohl müsse sich die Branche dem Urteil stellen und es umsetzen. Wie diese Umsetzung aussehen kann, hat sein Verband gemeinsam mit dem AfW erarbeitet. Die Empfehlungen der beiden Verbände seien als ‚fundiertes Gerüst‘ für den Umgang der Makler mit dem ‚Verivox-Urteil‘ zu verstehen, so Martin Klein. „Bis nicht der Bundesgerichtshof sich mit einer ähnlichen Konstellation irgendwann befassen kann, müssen wir mit den Unsicherheiten aus diesem Urteil leben und bieten mit den FAQs nun eine gewisse Orientierung. Dies auch in dem Bewusstsein, keine ganz optimale Lösung präsentieren zu können“, so der geschäftsführende Vorstand des AfW, Norman Wirth.

Die FAQ-Liste der Verbände umfasst sieben Punkte, die im Folgenden zusammengefasst sind:

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  1. Geltungsbereich der Entscheidung: Im Urteil heißt es: „Der Versicherungsmakler schuldet bei seinem im Rahmen eines Online-Versicherungsvergleich erteilten Rat nach § 60 Abs. 1 Satz 1 VVG [….]“. Dieser Satz verleitet dazu, alle weiteren im Urteil getroffenen Aussagen auf Online-Versicherungsvergleiche zu beziehen. Ein Trugschluss warnt Martin Klein: „Die gesetzlichen Hinweispflichten gelten nicht nur für die Makler, die im Netz Vergleiche anbieten.“ Entscheidend ist der Verweis auf das VVG. Und das gilt für online wie offline. Die Konsequenzen aus dem Urteil betreffen also alle Versicherungsmakler. In der FAQ-Liste der Verbände heißt es sogar, dass auch Mehrfachagenten von den Hinweispflichten betroffen sein könnten.
  2. ‚Hinreichende Zahl‘ oder ‚eingeschränkte Auswahl‘: Im ‚Verivox-Urteil‘ wird ‚nur‘ festgestellt, dass weniger als die Hälfte der Anbieter nicht ‚hinreichend‘ sei. Wann nun der Zustand der ‚Hinreichung‘ erreicht ist, verraten die Karlsruher Richter aber nicht. Sind 70 Prozent der am Markt angebotenen Versicherungsverträge oder Versicherer (noch) ‚hinreichend‘? Auch die Verbände können das nicht sagen - es fehlen noch juristische Entscheidungen dazu. „Bei Spezial- oder Nischenversicherungen, bei denen es nur sehr wenige Anbieter gibt, kann es sogar erforderlich sein, alle Anbieter zu berücksichtigen“, heißt es im zweiten Punkt des Verbandspapiers. Dieser Punkt schließt mit folgendem Rat: „Versicherungsmakler sind danach also angehalten zu recherchieren, in welchem Umfang ihre Direkt- oder Poolanbindungen oder die von ihnen verwendeten Vergleichsprogramme, die am deutschen Markt angebotenen Versicherer oder Versicherungsverträge berücksichtigen.“
  3. Wie auf die eingeschränkte Auswahl hingewiesen wird: Makler, die ihren Rat auf Grundlage einer eingeschränkten Marktbetrachtung erteilen, müssen zwei Hinweise erteilt werden. 1.) dass eine eingeschränkte Beratungsgrundlage vorliegt 2.) namentliche Nennung sämtlicher Versicherungen, die für die Empfehlung berücksichtigt und geprüft wurden. Die Verbände empfehlen, beide Hinweise gesondert zu erteilen. Ein Hinweis nur in den AGB oder im Maklervertrag sei nicht ausreichend. Beide Hinweise sollten vor Antragstellung erfolgen.
  4. Formale Anforderungen an die Hinweise: Der erste Hinweis müsse unmissverständlich klarmachen, dass die Auswahl der Versicherer auf eingeschränkter Grundlage erfolgt. In der FAQ-Liste haben die Verbände eine entsprechende Formulierungshilfe bereitgestellt. Der zweite Hinweis muss in Textform (dauerhafter Datenträger) vorgenommen werden. Zudem muss angegeben werden, auf welcher Grundlage die gegebenen Informationen beruhen. Das kann beispielsweise der Maklerpool oder das Vergleichsprogramm sein. In der Verbandsliste heißt es weiter, dass auch der Marktanteil der berücksichtigten Versicherer angegeben werden muss. Das sei, so die Verbände, „selten sachgerecht zu recherchieren“. Möglicherweise könnten Pools und Softwareanbieter Hilfestellung bieten, meinen die Verbände. Kann die Abschätzung des Marktanteils nicht erfolgen, muss auch darauf hingewiesen werden. Die namentliche Liste der Anbieter, die für die Empfehlung berücksichtigt wurden, kann auch in Tabellenform erbracht werden.
  5. Drohende Rechtsfolgen bei Missachtung: Wird gegen die Hinweispflicht verstoßen, handelt es sich um einen Wettbewerbsverstoß, der kostenpflichtig abgemahnt werden kann. Außerdem droht die Haftungsfalle: Stellt sich heraus, dass eine nicht-berücksichtigte Versicherung geleistet hätte, ist der Makler gegenüber dem Kunden zu Schadenersatz verpflichtet.
  6. Verzichtserklärung: § 60 VVG sieht im 3. Absatz auch eine gesonderte Verzichtserklärung vor. Damit kann der Kunde auf den zweiten Hinweis verzichten (Informationsgrundlage und Liste berücksichtigter Versicherer). Die Verbände raten, diese Verzichtserklärung aber nicht im Maklerauftrag aufzunehmen, da rechtlich umstritten ist, ob ein solcher Verzicht standardisiert erfolgen kann.
  7. Formale Anforderungen an Verzichtserklärung: Der Verzicht muss in Schriftform erklärt werden und ist vom Kunden gesondert zu unterzeichnen. Ob das auch in einem zusätzlichen Dokument erfolgen muss, ist ebenfalls noch umstritten.

Die vollständige FAQ-Liste von Votum und AfW steht auf den jeweiligen Webseiten zum Download bereit.

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