Omnichannel, Plattformgeschäft und hybride Kunden sind nur ein kleiner Auszug der Buzzwords, mit welchen seit einigen Jahren ein moderner Versicherungsvertrieb umschrieben wird. Zeit, einen kurzen Boxenstopp einzulegen und aus Kundenperspektive einen ehrlichen Blick auf die Sales Journeys von Versicherungen zu werfen. Hierfür führte das Beratungshaus Q_PERIOR 2021 eine Benchmark-Studie zur hybriden Sales Journey bei Versicherungen durch.

Anzeige

Uta Niendorf ist Partner bei Q_PERIORQ_PERIORFür den „Hybrid Sales Index© 2021“ wurde die Customer Journey von der Bedarfsfindung bis zum Abschluss der Hauptprodukte je Sparte bei 15 deutschen Erstversicherern untersucht. Die unter anderem mittels Mystery Shopping erhobenen Erkenntnisse wurden in 23 Bereichen im Abgleich mit einem modernen, idealtypischen Zielbild bewertet und mittels eines Reifegrades gebenchmarkt.

Wie viel modernes Kundenerlebnis braucht der Versicherungsvertrieb?

Bedingt durch schlechten Zugang zu verständlichen Informationen und getrieben von der Angst, etwas falsch zu machen, ist der Versicherungskauf für den Großteil der Kunden auch 2021 noch eine Herausforderung. Die Sales Journey mündet je nach Sparte in 85 bis 98 Prozent der Fälle (Quelle GDV) in einem Abschluss innerhalb eines persönlichen Gesprächs. Dass der Abschluss persönlich erfolgt, ist selbstverständlich nicht per se negativ zu bewerten. Nur wundert man sich über die fehlende Durchdringung digitaler Kaufquoten, wo wir Menschen doch sonst fast alles in die digitale Welt überführen.

Doch auch wenn die Abschlussquoten es nicht unmittelbar verdeutlichen, zeigt sich bei näherer Betrachtung, dass der persönliche Kontakt nur ein Teil einer mitunter mehrwöchigen und über mehr als zehn Touchpoints verlaufenden Sales Journey bildet. So findet zwar der Versicherungsabschluss häufig noch persönlich statt. Die Entscheidung, welche Versicherer in einen Vergleich einbezogen werden (sogenannter Relevant Set), wird allerdings häufig wesentlich früher im Rahmen einer digitalen Bewertung getroffen.

Sebastian Umlauf ist Associate Partner bei Q-VERTIONQ-VERTIONEbenso blenden Kunden die erlernte digitale Convenience von Amazon, Google und vergleichbaren Kaufprozessen nicht aus. Sie sind affin für einen leichten, vereinfachten und zugänglichen Versicherungskauf - oder sind im Umkehrschluss durchaus abbruchbereit bei aufwendigen, non-digitalen Journeys. Es geht also um mehr als „nur“ die Digitalisierung des Versicherungsabschlusses.

Es geht um die aktive Platzierung im Relevant Set der Kunden, um die begleitende Vernetzung über die kundengewählten Kanäle der Sales Journey hinweg. Und es geht letztlich um die Steigerung der Abschlusschance (egal ob analog oder digital) durch einen begeisternden Kaufprozess. Im Ergebnis geht es also nicht um die Frage nach digital oder analog, sondern um ein hybrides UND. Aber werden moderne Möglichkeiten hierzu auch genutzt?

Annex, Influencer Stories und Co. – warum reagieren, wenn man agieren kann?

Ein Blick in die frühe Phase der Bedarfsfindung bei Kunden – brauche ich ein Versicherungsprodukt und wenn ja, welche Versicherer kommen in Frage – zeigt, dass hier nur wenige aktive Akzente einzelner Versicherer zu finden sind. Auch wenn sich erste Pioniere durch hohe Anbindungsfähigkeit und flexible Produktentwicklung vorwagen, ist in vielen Sparten das sogenannte Annex-Geschäft weitestgehend ungenutzt. Während andere Branche ihre Produkte längst „mitkaufen“ lassen, integrieren sich Versicherungen nur äußerst selten in Plattformen oder branchenfremde Kaufprozesse.

Anzeige

Ebenfalls Pionierarbeit leisten einige wenige Versicherer im Rahmen der Bedarfsfindung. So gewöhnen sich Kunden zunehmend daran, auf relevante und nützliche Produkte hingewiesen zu werden, indem diese intelligent in ihre digitalen Lebenswelten integriert werden. Bedient wird dieses sogenannte digitale Muster nur in wenigen Ausnahmen. Dabei reicht es nicht aus, mit klassischen Versicherungsprodukten und abstrakten Botschaften online Werbung zu schalten. Vielmehr müssen sich Versicherer über passende Stories in die unterschiedlichen Lebenswelten der Kunden einfinden und so ihre Botschaften platzieren. Bezogen auf die Bewertungskriterien im Umfeld „Platzierung im relevant Set der Kunden“ ist der Reifegrad der im „Hybrid Sales Index© 2021“ untersuchten Versicherer sehr heterogen und bewegt sich in einem Spektrum zwischen 36 und 77 Prozent.

Digital ist keine Konkurrenz zu einer AO-Strategie, sondern kundenzentrierte Ergänzung

Um einen verbindlichen Eindruck zu den Leistungen und dem Beitrag zu bekommen, nehmen Websites und Landingpages der Versicherer einen wichtigen Zwischenschritt in der Sales Journey vieler Kunden ein. Geprägt durch die erlebte digitale Convenience anderer Branchen sind die Ansprüche an das Nutzererlebnis hoch. Kunden erwarten ein hohes Maß an Transparenz, Einfachheit und bedarfszentrierter Echtzeitunterstützung. Insbesondere bei digitalen Abschlussstrecken machen sich die zahlreichen Initiativen, die Versicherer in den vergangenen Jahren umgesetzt haben, positiv bemerkbar. Dennoch bieten immer noch neun der 15 untersuchten Versicherer nur bei weniger als 50 Prozent der betrachteten Produkte eine digitale Prämienberechnung sowie Abschlussmöglichkeit an. Außerdem sind die Abschlussstrecken in den meisten Fällen eher digitale Tarifrechner als echte Beratungsstrecken mit dem Anspruch, bedarfszentrierte Produkte zu schnüren.

Besonders hohe Einschnitte im Erlebnis müssen Kunden beim Wechsel zwischen den Touchpoints in Kauf nehmen. Hier zeigt sich eine deutliche Abbruchkante, sowohl im Wechsel von digitalen zu persönlichen als auch von persönlichen zu digitalen Touchpoints. So können Kunden beispielsweise nur bei zwei der 15 untersuchten Versicherer eine Videoberatung direkt per Terminauswahl anschließen. Darüber hinaus haben auch neue digitale Möglichkeiten, wie beispielsweise Co-Browsing, noch keine flächendeckende Durchdringung erzielt. Für ein echtes Beratungserlebnis muss der Kunde zumeist einen persönlichen Termin vereinbaren. Besonders deutlich wird der Bruch in der vernetzten Sales Journey beim Verlassen der Agentur. Denn beim Übergang von persönlich zu digital werden fast keine modernen Möglichkeiten der Vernetzung genutzt (z. B. Angebote digital von zu Hause aufrufen, bearbeiten und per Video-Call mit der Agentur im Co-Browsing abschließen).

Anzeige

Omnichannel, Plattformgeschäft und hybride Kunden – vorerst bleibt es zumeist bei Buzzwords. Der bei den untersuchten Versicherern erzielte Reifegrad im „Hybrid Sales Index© 2021“ zwischen 35 und 63 Prozent zeigt: Es gibt noch viel zu tun, um eine kundenzentrierte hybride Sales Journey aktiv zu bespielen und das maximale Abschlusspotenzial aus den modernen Möglichkeiten des Vertriebs zu heben.

Seite 1/2/

Anzeige