Geschiedene Väter und Mütter müssen unter Umständen weniger Unterhalt für Kinder zahlen, wenn die Großeltern finanziell gut gestellt sind. Das hat mit einem aktuellen Urteil der Bundesgerichtshof (BGH) bestätigt (Beschluss vom 27. Oktober 2021 - XII ZB 123/21).

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Im konkreten Rechtsstreit hatte die vom Bundesland Sachsen getragene Unterhaltsvorschusskasse Kindesunterhalt vorausgezahlt: und vom Vater einer Tochter zurückverlangt. Das Kind war im Jahr 2010 geboren worden, die Ehe mit der Mutter des Kindes inzwischen geschieden. Auch gegenüber einem zweiten Sohn mit der geschiedenen Mutter war der Vater unterhaltspflichtig. Er verfügte über ein Nettogehalt von rund 1.400 Euro und zahlte monatlich Unterhalt für die Tochter in Höhe von 100 Euro.

Welcher Selbstbehalt darf einbehalten werden?

Die Unterhaltsvorschusskasse forderte jedoch weitere rund 760 Euro von dem Vater der Tochter ein, die er für mehrere Monate in den Jahren 2016 und 2017 rückwirkend zahlen sollte. Dabei ging es um die Frage, welchen Selbstbehalt der Vater von seinem Nettoeinkommen einbehalten durfte. Hierbei gilt es zu bedenken, dass Elternteile minderjähriger Kinder teils stärker zur Kasse gebeten werden: so ist es im § 1603 Abs. 2 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) geregelt.

Konkret: Sind die Kinder erwachsen, darf das unterhaltspflichtige Elternteil den sogenannten angemessenen Selbstbehalt (derzeit 1.400 Euro, zum Streitzeitpunkt 1.300 Euro) behalten. Ist das Kind jedoch minderjährig, bleibt dem Elternteil nur der sogenannte notwendige Selbstbehalt von derzeit 1160 Euro (damals 1080 Euro). Denn es besteht im letzten Fall eine gesteigerte Unterhaltspflicht.

Der Vater weigerte sich jedoch, das geforderte Geld nachzuzahlen. Und verwies auf die finanzkräftigen Großeltern der Tochter. Opa und Oma hatten ein Nettoeinkommen von fast 3.500 Euro und gut 2.200 Euro. So sieht besagter Paragraph im Bürgerlichen Gesetzbuch eine Ausnahme vor, auf die sich der Vater berief: Der Unterhalt muss nicht bis zum notwendigen Selbstbehalt gekürzt werden, „wenn ein anderer unterhaltspflichtiger Verwandter vorhanden ist“. Folglich sollten sich die Großeltern am Unterhalt für ihr Enkelkind beteiligen.

Großeltern auch unterhaltspflichtig

Das Bundesland legte Rechtsbeschwerde gegen den Vater ein: die der Bundesgerichtshof aber zurückwies. Danach traf den Vater hier keine gesteigerte Unterhaltspflicht, weil jedenfalls der Großvater ohne weiteres leistungsfähig für den Kindesunterhalt war. Unter Berücksichtigung des angemessenen Selbstbehalts musste der Vater daher über die bereits gezahlten 100 Euro hinaus keinen weiteren Kindesunterhalt leisten.

Verwandte in gerader Linie haben einander nach § 1601 BGB Unterhalt zu gewähren, hoben die Richter weiter hervor. Wobei die Unterhaltspflicht der Eltern für ihre Kinder derjenigen der Großeltern für ihre Enkel vorgeht. Wie der Bundesgerichtshof nun entschieden hat, führt das Vorhandensein von für den Enkelunterhalt leistungsfähigen Großeltern aber dazu, dass die gesteigerte Unterhaltspflicht der Eltern für ihre minderjährigen Kinder entfällt. Folglich darf der Selbstbehalt nicht entsprechend auf den niedrigeren Wert gekürzt werden.

Denn die gesteigerte Verpflichtung gegenüber minderjährigen Kindern tritt nach BGB eben nicht ein, wenn ein anderer unterhaltspflichtiger Verwandter vorhanden ist. Den Selbstbehalt derart zu kürzen, sei wegen der damit verbundenen Härte für die Eltern nicht gerechtfertigt, so lange andere zur Gewährung des Unterhalts verpflichtete Verwandte wie etwa Großeltern vorhanden seien. Hier verwies das Gericht darauf, dass der Gesetzgeber die Konstruktion des Verwandtenunterhalts als Ausdruck der generationenübergreifenden Solidarität angedacht hat.

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Der Bundesgerichtshof hob darüber hinaus hervor, dass die Ersatzhaftung der Großeltern die Ausnahme darstellt. So stehe Großeltern gegenüber ihren Enkeln ein deutlich höherer angemessener Selbstbehalt zu (derzeit 2.000 Euro zzgl. der Hälfte des über 2.000 Euro liegenden Einkommens) als den Eltern gegenüber ihren Kindern. Auch kann der Staat für Unterhaltsvorschusszahlungen keinen Regress bei Großeltern nehmen, wie aus dem Unterhaltsvorschussgesetz hervorgehe (§ 7 Abs. 1 Satz 1 UVG). Dass der Staat über keine Handhabe verfüge, den Unterhalt von Großeltern aktiv einzutreiben, sei eine ganz bewusste gesetzgeberische Entscheidung: Sie könne jedoch nicht dafür maßgeblich sein, welchen Umfang die zivilrechtliche Unterhaltspflicht der Eltern hat.

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