Seit 2019 gibt es eine DIN-Norm, um Privathaushalte zu beraten: ein Leitfaden für die Finanz- und Risikoanalyse, der als standardisiertes Verfahren sichern soll, dass die Kundinnen und Kunden möglichst lückenlos informiert werden. Diese Norm war so erfolgreich, dass ein ähnliches Regelwerk auch für Gewerbekunden installiert werden sollte. Am Freitag konnte nun Vollzug gemeldet werden. Das zuständige Institut für Normung hat die DIN-Norm 77235 veröffentlicht.

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“Die DIN 77235 beschreibt eine objektive Finanz- und Risikoanalyse von KMU sowie Selbstständigen. Auf Basis der Ergebnisse können etwa Banken, Versicherungen, Versicherungsmakler, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer ihre Kunden beraten“, schildert das Institut auf seiner Webseite. Insgesamt können mit der Norm 52 Themenfelder abgearbeitet werden. Initiiert wurde die Norm durch die Defino Institut für Finanznorm AG: Sie zertifiziert auch die Norm, wenn Versicherungsmakler und andere Beratende sie anwenden wollen. Darüber hinaus haben unter anderem Versicherer und Bankenverbände daran mitgearbeitet.

Die Norm befasse sich unter anderem mit Risiken in Zusammenhang mit der Rechtsform, mit Mitarbeitenden, Immobilien oder Waren – ein übergreifender Schwerpunkt sei die Liquiditätssicherung. Im Pressetext nennt das Institut für Normung Beispiele für relevante Fragen: Wie liquide ist mein Unternehmen? Wie abhängig ist es von Importen? Was kann zu einer Betriebsunterbrechung führen?

Standardisiertes Verfahren für Beratung von Gewerbekunden

Ziel der vorliegenden Norm: „ein standardisiertes Verfahren, das objektiv messbare Ergebnisse liefert, abgeleitet aus dem individuellen Bedarf des Unternehmens“, heißt es weiter. Die Norm soll auch erlauben, Risiken zu gewichten: Zu Klasse 1 zählen Risiken mit wahrscheinlicher, zu den Prioritätsklassen 2 und 3 Risiken mit möglicher beziehungsweise ohne Existenzbedrohung. In den Klassen 2 und 3 sind auch Geschäftspotentiale zugeordnet, die Ansatzpunkte für eine weitere Beratung liefern sollen.

„Ergebnis der Analyse ist also keine feste Rangfolge von Finanzthemen. Vielmehr ergibt sich eine Gewichtung, die zeigt, mit welchen Potenzialen und Risiken sich das Unternehmen zeitnah und mit welchen nachrangig beschäftigen sollte“, sagt Dr. Wolfgang Kuckertz, Obmann des Normungsausschusses und Vorstand der GOING PUBLIC! Akademie für Finanzberatung. Diese Zuordnung zu Prioritätsklassen habe außerdem den Vorteil, dass auch nur eine Teilanalyse relevanter Bereiche möglich sei, etwa spezielle Versicherungsprodukte.

Eine derart standardisierte Beratung sorgt aber auch für Kritik. Die Sorge: Die Beratenden arbeiten nur einen Fragenkatalog ab, ohne auf die individuellen Bedürfnisse und Besonderheiten der Unternehmen einzugehen. Und das birgt Haftungsrisiken. Der potentielle Einwand ist auch den Initiatoren des Regelwerks bekannt. Die Norm verzichte auf einen hohen Detaillierungsgrad, wie es im Pressetext des DIN-Institutes heißt, das solle ermöglichen, stärker auf die individuellen Bedürfnisse einzugehen. So werde zum Beispiel berücksichtigt, ob die Firma besondere Risiken durch Auslandsaktivitäten und Fremdwährungsgeschäfte eingehe. Eine Analyse in Bezug auf konkrete Staaten bleibe aber aus und sei einer späteren Beratung vorbehalten.

Die Finanz- und Risikoanalyse umfasse insbesondere eine quantitative Betrachtung der ausgewählten Finanzthemen, heißt es weiter. Es erfolge keine Unternehmensberatung mit entsprechenden qualitativen Aspekten. Diese Norm ersetze daher nicht ein wirksames Risikomanagementsystem innerhalb der Organisation.

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Wer die Norm bestimmen will, kann dies auf der Webseites des Beuth Verlages tun. Allerdings ist das Angebot kostenpflichtig: stolze 164,10 Euro müssen hierfür gezahlt werden.

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