Es sind keine neuen Vorwürfe, aber sie erlangen neue Brisanz. Die Provinzial, in vielen Regionen marktführender Versicherer der Sparkassen-Gruppe, soll Scheinselbstständige beschäftigt haben. Doch nun geht es nicht allein darum, ob der Versicherer dadurch zu wenig Steuern und Sozialabgaben bezahlt hat. Es drohen auch strafrechtliche Konsequenzen für zwei Vorstände.

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Laut einem Bericht des Handelsblatts ermittelt die Staatsanwaltschaft Münster gegen zwei Vorstände des Versicherers: Konzernchef Wolfgang Breuer sowie Thomas Niemöller, der die IT-Projekte der Provinzial verantwortet. Der Versicherer selbst wollte sich laut dem Bericht nicht zu den Vorwürfen äußern. Die Staatsanwaltschaft bestätigte die Ermittlungen, gab aber auch keine Details preis.

Rund 30 Berater: vornehmlich für den Versicherer tätig

Konkret geht es bei den Vorwürfen um die Zeit vor 2019, als die Provinzial Nordwest und die Provinzial Rheinland noch nicht fusioniert waren. Wie die Süddeutsche Zeitung bereits vor zwei Jahren berichtete, hatte die Provinzial Nordwest damals rund 30 IT-Experten, deren Status nun zweifelhaft ist. Offiziell waren sie als externe Berater tätig: und damit selbstständig.

Doch ob es sich tatsächlich um externe Berater handelte, daran bestehen Zweifel. Sie berieten über Jahre hinweg ausschließlich den Sparkassen-Versicherer, waren zudem in die rund 200 Personen umfassenden IT-Abteilung der Münsteraner integriert. Der Verdacht der Scheinselbstständigkeit liegt hier nahe.

Das Problem hierbei: Arbeitgeber müssen Steuern und Sozialabgaben zahlen, wenn sie jemanden abhängig beschäftigen. Nach §7 des SGB IV gilt jemand als abhängig beschäftigt, wenn er dem Weisungsrecht des Auftraggebers bezüglich Zeit, Ort und Art der Tätigkeit unterliegt. Auch, wenn eine Person ihren Job in Räumlichkeiten des Auftraggebers ausübt, kein eigenes unternehmerisches Risiko trägt und ein festes Gehalt erhält, ist dies ein Indiz für Scheinselbstständigkeit. Geprüft wird das von der Deutschen Rentenversicherung und dem Zoll: abhängig vom Einzelfall.

So habe die Provinzial Nordwest einen mittleren einstelligen Millionenbetrag gespart, so der Vorwurf. Auch die Krankenkassen-Prämien müssen Selbstständige inklusive Arbeitgeberanteil selbst stemmen. Beendet wurde die Praxis bereits 2019, als ein Teil der Verträge auslief.

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Möglicherweise aber wurde der Sparkassen-Versicherer Opfer einer sich ändernden Arbeitswelt. Idee sei gewesen, Selbstständige intern zu beauftragen, damit IT-Experten projektbezogen über Drittfirmen beschäftigt werden können. Dann muss keine eigene IT-Abteilung für bestimmte Aufgaben aufgebaut werden, die dauerhaft Geld kostet, sondern die Fachleute können beauftragt werden, solange die Aufgaben anstehen, so berichtete die "Süddeutsche" bereits 2019. Auch waren die IT-Experten relativ gut bezahlt: Der durchschnittliche Stundensatz für IT-Freiberufler habe damals bei 86,73 Euro gelegen. Zumindest der Verdacht auf Lohndumping bestätigt sich somit nicht.

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