Das Urteil des Landgerichts München I im ‚Vitality-Fall‘ ist noch nicht rechtskräftig - Generali legte Rechtsmittel gegen die Entscheidung der Richter ein. Dennoch erhofft sich der klagende Bund der Versicherten (BdV) Signalwirkung für Branche: Die solle darauf verzichten, Risikokollektive in der Berufsunfähigkeitsversicherung verbraucherschädlich zu verkleinern, hieß es in der BdV-Meldung zum Münchener Urteil.

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„Die Risikoverkleinerung ist keine Feststellung, die sich zwingend auf einzelne Tarife bezieht. Dieses Problem lässt sich generell am gesamtem Markt für Berufsunfähigkeitsversicherungen feststellen. Die Berufsgruppen-Differenzierung schreitet immer weiter voran. Für viele Berufe ist es finanziell gar nicht mehr zu stemmen, sich privat gegen das Risiko der Berufsunfähigkeit abzusichern. Die Versicherer versuchen durch die immer weitergehende Risikoaufspreizung die für sie schlechten Risiken möglichst aus ihrem Bestand zu halten“, so Julia Alice Böhne, vom Bund der Versicherten gegenüber Versicherungsbote.

Mit anderen Worten: Das Solidarprinzip - der ursprüngliche Versicherungsgedanke - wird Stück für Stück ausgehöhlt. „Die Vitality-BU der Dialog ist ein Tarif, der dieses Bestreben auf die Spitze treibt, da dort sogar individuelles Verhalten während der laufenden Versicherung zur Prämiengestaltung verwendet werden soll“, erklärt Böhne, warum der Generali-Tarif im Zentrum der Debatte steht.

Dieser Tarif steht damit nicht allein, sondern stellvertretend für einen Großteil der Branche. „Die meisten Versicherer bieten jährlich neue Tarife an, in denen die Risikogruppen nicht nur immer weiter aufgefächert werden, sondern sogar die ohnehin schon sehr ausdifferenzierte Berufsgruppeneinteilung aufgeben“, so Böhne weiter. Stattdessen setzen die Anbieter verstärkt auf Scoring-basierte Modelle, die u.a. folgende Risikomerkmale abfragen:

  • Tätigkeitsstatus,
  • Anteil der Bürotätigkeit,
  • Berufs- bzw. Bildungsabschluss,
  • Personalverantwortung (differenziert nach Anzahl der geführten Mitarbeiter),
  • Reisetätigkeiten,
  • Nikotinkonsum
  • gefährliche Hobbies (wie z.B. Motorradfahren oder Kampfsportarten)
  • Tätigkeitsprofile (z.B. bei Ärzten eine chirurgische Tätigkeit)

„Bei jedem dieser Risikomerkmale nehmen die Versicherer noch tiefergehende Unterteilungen vor“, kritisiert Böhne gegenüber Versicherungsbote.

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Beispiele für die Entwicklung der Risikovereinzelung und Entsolidarisierung gibt es nicht nur im Feld der Arbeitskraftabsicherung. Dort berühren sie allerdings einen zentralen Punkt: den oft zitierten sozialpolitischen Auftrag der Versicherungswirtschaft.

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