Wer heute sein Auto öffnen will, der braucht kein mechanisches Schloss mehr: Per Funksignal öffnen die Schlüssel, ausgestattet mit einem Sender. Das Auto verriegelt automatisch, wenn sich der Besitzer vom Fahrzeug entfernt. Dieser Comfort hat aber auch Tücken, denn Kriminelle können das Funksignal abfangen, um ein Auto länger geöffnet zu halten als vom Fahrer gewünscht. Dann lässt sich die Türe öffnen, ohne dass irgendwelche Einbruchspuren sichtbar sind.

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Eine solche Relay Attack, auch als „Jamming“ bekannt, hat auch mit Blick auf den Versicherungsschutz Nachteile, wie ein aktuelles Urteil des Amtsgerichtes München zeigt. Denn obwohl ein Versicherungsnehmer auf diese Weise bestohlen wurde und Wertsachen aus dem Auto entwendet, muss ihn sein Hausratversicherer nicht entschädigen. Denn eines ist eine solche Attacke eben nicht: ein Einbruch.

Koffer entwendet: Elektrogeräte weg

Im verhandelten Rechtsstreit klagte ein Pilot gegen seinen Hausratversicherer. Er hatte im Dezember 2018 sein Auto mittels eines „Keyless Go“-Systems verriegelt und sich für fünf Minuten vom Fahrzeug entfernt. Als er wiederkam, stellte er fest, dass sein Reisekoffer mitsamt den wichtigen Dokumenten -Ausweise und Pilotenschein- geklaut worden war. Einbruchspuren fanden sich nicht am Fahrzeug, weshalb er eine Relay Attack vermutete.

Als der Koffer wenig später in einer Mülltonne nahe des Fahrzeugs gefunden wurde, fehlten einige Sachen, unter anderem hochwertige Geräte. Diese meldete der Pilot seiner Hausratversicherung und wollte sie ersetzt haben. Laut einer Vertragsklausel war der Diebstahl von Sachen aus einem Kfz versichert, die vorübergehend im verschlossenen Innenraum liegen und durch Aufbrechen entwendet, zerstört oder beschädigt werden. Im Vertragstext hieß es dazu: „Entschädigt werden auch versicherte Sachen, die (…) durch Aufbrechen eines verschlossenen Kraftfahrzeugs entwendet…werden.

Abfangen des Funksignals kein „Aufbrechen“

Der Versicherer aber wollte nicht zahlen: mit dem Argument, beim Abfangen eines Funksignals handle es sich nicht um ein „Aufbrechen“, folglich sei es laut Vertrag nicht mitversichert. Hierfür sei mehr erforderlich als jedes unbefugte Öffnen. Das sah auch das Amtsgericht München so. Die Definition des Begriffes „Aufbrechen“ sei laut Duden und im allgemeinen Sprachgebrauch eindeutig - und beinhalte, dass Gewalt angewendet werde. Dies sei aber hier nicht der Fall gewesen.

Laut Pressetext des Amtsgerichtes wies der zuständige Richter darauf hin, dass ein Risiko wie das Abfangen des Funksignals nicht nachträglich zum "Aufbrechen" umdefiniert werden könne, damit der Versicherer doch leiste. Denn kommen durch derartige Spitzfindigkeiten neue versicherte Risiken hinzu, würde das die Kalkulation des Versicherers quasi unmöglich machen:

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"Für die Kosten- und Risikokalkulation der Beklagten ist es zwangsläufig erforderlich, dass der Versicherungsumfang (und damit ihre zu erwartenden Risiken) klar abgegrenzt sind. Es können nicht einfach (später) zusätzliche versicherte Risiken durch Auslegung entgegen eines eindeutigen Wortlauts in den Vertrag aufgenommen werden.", führte der Richter hierzu aus.

..."nicht unerhebliche Missbrauchsgefahr"

Das Amtsgericht München hob explizit hervor, dass die Gefahr des Missbrauchs bestünde, wenn derartige "Relay Attacks" als Aufbrechen gewertet würden: zum Nachteil des Versicherers. Weil keine Spuren am Auto hinterlassen werden, könnten Fahrerinnen und Fahrer eine solche Attacke auch dann vortäuschen, wenn sich schlicht vergaßen ihren PKW abzuschließen. Denn Spuren entstehen bei einer solchen Attacke eben nicht.

Hierzu führt das Amtsgericht München aus: "Bei dem versicherten gewaltsamen Aufbrechen dürfen in der Regel Spuren hinterlassen werden. Im Fall einer elektronischen Überwindung per Funksignal könnte die Abgrenzung zum schlichten Vergessen des Absperrens durch den Versicherungsnehmer nur deutlich unsicherer anhand der Angaben des Versicherungsnehmers und ggf. Zeugen erfolgen. Für die Beklagte wäre dies kaum nachprüfbar, und es bestünde nach Auffassung des Gerichts eine nicht unerhebliche Missbrauchsgefahr."

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Ein Versicherungsnehmer kann damit nicht davon ausgehen, dass auch ein unbefugtes Öffnen des Pkw ohne Anwendung von Gewalt einen Versicherungsfall darstellen sollte. Der Mann erhält seine gestohlenen Sachen nicht ersetzt. Das Urteil ist nach Zurückweisung der Berufung rechtskräftig (Urteil vom 12.03.2020, Aktenzeichen 274 C 7752/19).

Die Tücken neuer Digitaltechniken

Im Umkehrschluss zeigt das Urteil die Risiken für Versicherungsnehmer. Bereits vor vier Jahren warnte Monika Maria Risch, Fachanwältin für Versicherungsrecht, gegenüber der Süddeutschen Zeitung: „Sind keine Einbruchspuren festzustellen, kann der Versicherungsnehmer den Versicherungsfall nur schwer beweisen“. Er mache sich schlimmstenfalls gar des Versicherungsbetruges verdächtig.

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Das Problem betrifft nicht nur den Diebstahl bei Hausrat-Policen, sondern auch die Kaskoversicherung. Und es könnte sich zukünftig noch auswachsen, je mehr Wohnungen und Häuser nicht mehr mittels mechanischer Schlüssel auf- und zugeschlossen werden, sondern per Funksignal oder Chipkarte. Technik, die sich hacken und manipulieren lässt, ohne mechanische Spuren zu hinterlassen.

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