"Negativzinsen sind das neue Normalmaß"

Die Zinsen werden aber schon deshalb dauerhaft im Keller bleiben, weil die EU-Staaten Schulden machen mussten, um die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Coronakrise abzufedern. Zielke schreibt: "Die massive Verschuldung der Euroländer heißt nichts Gutes für die Lebensversicherer. Der politische Druck wird so hoch sein, dass die Europäische Zentralbank wohl kaum geneigt sein dürfte, die Zinsen zu erhöhen. Negativzinsen sind das neue Normalmaß."

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Für Lebensversicherer mit Garantiegeschäft sei diese Situation nur zu meistern, "indem man die Zinsabhängigkeit reduziert, sprich seine Kapitalanlage diversifiziert", schreibt der Experte weiter. Und das heißt vor allem: mehr in Aktien gehen. Nur sie würden eine laufende Verzinsung erlauben, die über den Garantiepflichten liege.

Ein internationaler Vergleich zeige aber, dass speziell die Abhängigkeit der deutschen Lebensversicherer vom Zins noch immer sehr hoch sei. Während zum Beispiel in Österreich die Versicherer 15 Prozent des Anlagekapitals in Aktien investiert haben, waren es in Deutschland 2019 nur 5,2 Prozent. „Hätten die deutschen Versicherer ähnlich wie die Österreicher gehandelt, hätten sie heute keine Probleme, ihre Garantieversprechen einzuhalten“, so die These Zielkes.

Viel Storno

Viele Kündigungen waren für deutsche Versicherer aber bereits vor Corona ein Problem. Der Mathematiker verweist auf eine Statistik der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). Demnach standen 2018 Rückkäufen in der kapitalbildenden Lebensversicherung von rund 7 Milliarden Euro Versicherungssumme reguläre Abläufe von 25,3 Milliarden Euro gegenüber.

Gekündigte Verträge stehen folglich in einem Missverhältnis zur Zahl jener Policen, die bis zum Vertragsablauf durchgehalten wurden. Bei den Renten-Policen ist das Verhältnis noch ungünstiger: 9,6 Milliarden Euro versicherte Summe wurden von Kundinnen und Kunden vorzeitig aufgelöst, nur rund 6,3 Milliarden sind natürlich abgelaufen.

Das sind die Zahlen vor der Coronakrise: Und diese sind schon bedenklich. Nun könnte die Pandemie zu vermehrten Kündigungen und einem dauerhaften Wirtschaftseinbruch führen. Verdoppelt sich die Zahl der aufgelösten Verträge, stünden Beitragseinnahmen von rund 90 Milliarden Euro bereits einem kurzfristigen Liquiditäts-Bedarf von 16 Milliarden gegenüber.

Hier bliebe aber einzuwenden, dass viel Storno den Versicherern mittelfristig sogar nützen könnte: Sollten sich die betroffenen Kundinnen und Kunden von hochverzinsten Altverträgen trennen, deren Garantien zum jetzigen Zeitpunkt schwer für die Gesellschaften zu erwirtschaften sind.

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Zinszusatzreserve droht zu explodieren

Infolge der Entwicklungen müssen deutsche Versicherer auch weit mehr Geld ihrem Finanzpuffer für langjährige Garantien zuführen: der Zinszusatzreserve (ZZR). Bereits 2020 könnten hier 15,3 Milliarden Euro zusätzliche Rücklagen gebildet werden müssen, 2021 weitere 14,1 Milliarden, warnt Zielke. Und bereits 2024 sei zu erwarten, dass die stillen Reserven aufgebraucht seien: Die Versicherer sind gezwungen, ihr Tafelsilber zu verscherbeln. Bis dahin seien 75 Milliarden zusätzliche Euro der Reserve zuzuführen.

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